Casamorati 1888

Casamorati - Lira 2011 Eau de Parfum

Inala
04.07.2011 - 17:33 Uhr
65
Top Rezension
2.5
Haltbarkeit
2
Duft

Vom Gummibären-Thron gestürzt

Warnung: Für diese Duft-Beschreibung hab ich die oft zitierten Samthandschuhe ausgezogen, denn ich komme nicht umhin, einen kritischen Kommentar zu schreiben. Hochpreisige Düfte erzeugen leider oft ein Gefühl von "den muss man toll finden, sonst ist man ein Nasen-Alien" oder auch "Ich muss aufpassen was ich schreibe, lasse es am besten ganz sein, denn ich möchte keinem auf den Schlips treten, der sich diesen so hochgelobten Duft gönnt!". Auch ich möchte die Gefühle aller Lira-Liebhaber nicht verletzen, getraue mich jedoch trotzdem diese Gummibären-Königin vom Thron zu stürzen. Zumindest vom meinem persönlichem, ureigenen Parfum-Thron und meiner Haben-Wollen-Liste. Die glühenden Verehrer werden damit leben können und allen anderen kaufwilligen Nasen, möchte ich, meinen durchaus kritischen Blick, auf das vollkommen überbewertete Wässerchen nicht vorenthalten.

Lira stand bis vor kurzem noch ziemlich weit oben in meiner Gunst und auf meiner Wunschliste und thronte stolz über den anderen Parfums meiner Liste. Denn trotz aller nun kommenden Schelte: Lira ist Wonne und Wohlgeruch zugleich! Allerdings nur auf dem Handrücken oder auf dem Handgelenk. Immer wieder und wieder labte ich mich in den vergangenen Wochen und Monaten an Lira, immer wieder gönnte ich mir kleine wohlige Schauer und köstliche Nasen-Freuden, das erste Pröbchen wurde leer, das zweite auch schon fast und meine Lust auf Lira wuchs und nährte sich aus diesen so vermeintlich kostbaren Tropfen auf dem Handgelenk.

Lira offenbart sich von Beginn an als Fruchtbombe auf einer süßen dicken Vanille-Karamell-Basis. Durchaus köstlich, durchaus eine Verlockung, gar eine Einladung zum ins Handgelenk beißen. Wäre Lira etwas zu Essen, ich wäre süchtig danach, jegliche Diät-Versuche wären zum Scheitern verurteilt, ich könnte niemals aufhören an Lira rumzukauen, um diesem Aroma auf die Schliche zu kommen. Diese schier überbordende Fruchtigkeit kann niemals nur von der Blutorange kommen. Hier entfacht sich ein ganzer Fruchtkorb, wird nach 5 Minuten zum Sirup und legt sich honigartig auf alle Sinne. Lira ist rund, weich, wohlig, gänzlich ohne Ecken und Kanten, nichts woran die Nase sich stoßen könnte, was sie irritieren könnte.

Soweit so lecker. Denkt man so.

Als mir großzügigerweise von meinem Lieblings-Shop wieder Lira-Abfüllungen ins Haus flatterten, da beschloss ich, dass ich nun mehr endlich auch einmal die volle Ladung Lira genießen möchte.

Oh weia! Das war das Aus für Lira und mich. Unsere gemeinsame Zukunft platzte in Sekundenschnelle. Ganz so, wie eine bunte, schillernde, wunderschöne Seifenblase, die just in dem Moment ihr Leben aushaucht, wenn wir sie zu fassen bekommen und danach greifen. Zurück bleibt etwas Seife auf den Händen und ungläubiges, kindliches Staunen. Das soll alles gewesen sein?!

Lira in normaler Dosierung als Parfum entpuppte sich für mich wie eine ganze Tüte Fruchtgummi-Bären, die in Vanille-Wasser aufgelöst auf mich gesprüht wurden! Von Köstlichkeit, Exklusivität oder gar Raffinesse keine Spur! Nicht einmal eine klitzekleine. Lira zeigt mir ihr wahres Gesicht und plötzlich erkenne ich was Lira ist und was sie zu vertuschen versucht: Die König der Gummibären-Bande! Ja, Lira möchte gerne gegessen werden, nicht mehr weit entfernt davon wähnte sich ja schon so manch anderer, doch für mich erweist sich Lira als untragbar. Ein Parfum soll meiner Meinung nach die Persönlichkeit des Trägers unterstreichen, untermalen und gerne auch hervorheben. Manchmal möchte man auch mit einem Parfum in eine andere Rolle schlüpfen, das graue Kleid des Alltags abstreifen, betören, verwirren, auffallen, provozieren und was weiß ich noch alles. All das (und noch viel mehr!) ist mit einem passenden Parfum in sekundenschnelle so manches Mal möglich. Lira als Parfum ist dafür vollkommen ungeeignet. Zumindest ich möchte nicht wie ein Fruchtbonbon riechen, ich entdecke keine Facette meiner durchaus vielschichtigen Persönlichkeit, die dazu passen könnte. Ich bin doch kein Gummibärchen!

Und wie wenn all diese Gedanken, diese Erkenntnis und diese Ernüchterung beim ersten wirklich großzügigen Gebrauch von Lira noch nicht ausreichen würden, kamen gleich noch weitere Minuspunkte hinzu.

Die Gummibären-Königin zeigt so gut wie keine Sillage und nur eine sehr mäßige Haltbarkeit. Mit Haltbarkeit eines Parfums meine ich nicht nur ausschließlich, wie lange ich es erschnuppern kann, wenn ich mit der Nase auf der entsprechenden Hautstelle klebe! Da ist Lira auch für 3-4 Stunden erkennbar. Aber - wer kommt uns schon permanent im Alltag so nahe? Ich mag es gerne, wenn ich auf mein Parfum angesprochen werde und wenn ich spüre, dass die Menschen um mich rum sich schnuppernd umsehen und den Duft versuchen zu erkennen. All das kann einem mit Lira wohl kaum passieren. Lira ist (wie man es ja gerne positiv formuliert) sehr körpernah. Extrem körpernah. Bei einem Parfum in dieser Preis-Liga ein absolutes No-Go für mich. Schaue ich mir dagegen Firmen wie Amouage, Kilian oder das für mich überraschende Hause Micallef an, so wird Lira für eben mal schlappe 215,00 Euronen bei 75ml fast schon zum Ärgernis. Lira ist gepflegte, süße Langeweile.

Einen Duftverlauf gibt es übrigens nicht, Lira bleibt so wie es auch begann, wird dabei nur immer schwächer und vergebens sucht man die Spannung und die Besonderheit dieses Dufts.

Lira befindet sich nicht mehr auf meiner Wunschliste, das wird nun kaum überraschen. Ich bin froh, dass ich ihn noch nicht meinem Liebsten als meinen Geburtstagswunsch genannt habe. Mir werden ein paar Tropfen aus meinen Pröbchen ausreichen, um dann und wann mal dran zu schnuppern. Für intime Momente, ganz mit mir alleine, wenn ich einfach was leckeres, fruchtig-profanes riechen möchte. Denn das ist Lira nach wie vor: ein Leckerchen. Aber kein Parfum! Und - ähmmmm - *räusper* ich musste es austesten, vielleicht irrte ich ja mit allem und es lag nur an meiner eigenen Hautchemie, aber Lira ist auch auf anderer Haut wirklich nichts besonders schönes. Apropos anderer Haut: Männerhaut und Lira mutet fast schon ein wenig grotesk an und geht gar nicht, finde ich. Mein Sohnemann mag gerne eher süßliche, weiblichere Düfte, aber selbst er findet Lira todeslangweilig und nichtssagend. Lira besitzt keine Verführungskünste, außer es zählt auch die Lust, die man auf Süßigkeiten dabei bekommt!

So, ich bin nun also der unwissende Banause und vergebe nur angestrengte 30%, mit der ich die runde, weiche Konzeption anerkenne. Als Körperöl oder als (preiswerte) Bodylotion sicherlich ganz nett, aber als Parfum gänzlich ohne Charakter und Fülle.

Die fehlenden Ecken und Kanten, die fehlende Spannung, quasi die fehlende Priese Salz in der Suppe, machen Lira für mich zum reinen Handschmeichler, aber niemals zum tragbaren luxeriösem Parfum.

Die Gummibären-Königin darf also in Schimpf und Schande abdanken.
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