24.04.2016 - 11:17 Uhr
Meggi
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36
Ein Giuseppe-Di-Stefano-Duft
Giuseppe-Di-Stefano-Düfte gibt es einige. Der Vergleich fiel mir bloß deshalb erstmals ein, weil ich jüngst wieder in Jürgen Kestings epochalem Vierbänder „Die großen Sänger“ geschmökert hatte.
Di Stefano war Sizilianer. Er bediente manches Klischee, welches einem allein dazu spontan durch den Kopf gehen mag. Den Besuch eines jesuitischen Priesterseminars brach er schon nach kurzer Zeit ab. Der Monsignore hatte das längst geahnt und orakelt: „Mit diesen Augen wirst Du wohl nicht lange bei uns bleiben…“.
Von Gesangstechnik hielt der junge Tenor nichts; sämtliche Warnungen, er singe zu Lasten der Stimme, schlug er in den Wind. Wozu etwas ändern, wenn alles großartig klang? Fortissimo! Allzu begierig drängte er ins dramatische Fach, weil er - wie Tenor-Kollege Mario del Monaco es ausdrückte - „eine lyrische Stimme hatte, aber das Herz eines dramatischen Sängers“.
Er verließ sich völlig auf die Gunst der Stunde, auf seine Wirkung auf der Bühne. Zweifellos gelegentlich auch auf Kosten interpretatorischer Feinheiten. Vielleicht zehn Jahre blieben ihm, bis der Raubbau seinen Tribut zu fordern begann und der Schaden an der Stimme immer deutlicher hörbar wurde.
Doch in den zehn Jahren war er hinreißend.
Man schmachte bei meiner italienischen Lieblingsarie „Che gelida manina“ aus „La Bohème“ von Giacomo Puccini, 1950 mit unversehrter Stimme aufgenommen (youtube.com/watch?v=yg8grGjeCRE), und seufze bei der letzten erhältlichen Aufnahme aus dem Jahr 1974 (youtube.com/watch?v=Y097U_T8nDY – ab 4:20 min.).
Red Hoba nun, deswegen die Bezeichnung als ‚Giuseppe-Di-Stefano-Duft‘, haut mich (hier: nach ganz kurzer Gewöhnung) vornean schlichtweg aus den Socken. Er eröffnet mit ordentlich Rauch. Ein winziges bisschen Räucherschinken. Daneben was Frisches, Eukalyptus womöglich. Und ein Akzent noch undefinierbarer, konzentrierter Frucht, wie ein plötzlicher Luftstoß, rasch abschwellend, bevor sich die eingedickte Frucht wieder in den Untergrund verzieht. Vorläufig.
Eine karamellige Süße übernimmt. Der Räucher-Eindruck hat sich an was Süßes rangehängt. Ich rieche geräuchertes Toffee oder Fudge. Gute Idee - gleichermaßen für die Nascherei! Sofern dieser karamellhafte Dreh, und so wird es sein, auf Guajak zurückzuführen ist, wäre das dessen bisher bester Auftritt für mich, geschuldet natürlich auch dem famosen Begleiter. Nix H-Sahne! Das Wogen von cremig-gedämpfter Süße und dem weihefreien, stattdessen mehr katenhaften Rauch ist klasse. Innerhalb weniger Minuten kommt zusätzlich Patchouli als raues Korrektiv durch.
Und irgendeine Frucht. Üppig, reif, sinnlich, erotisch. Sie rein technisch zu beschreiben, nämlich als olle Trockenpflaume oder Dörr-Aprikose, würde ihr nicht gerecht. Langsam, binnen der beiden Auftakt-Stunden, gewinnt sie an Gewicht und schiebt Karamell wie Rauch allmählich zur Seite. Diese Melange aus Karamellsüße, Rauch, Patchouli-Rauheit und Frucht ist glühende Leidenschaft!
In der Zusammenstellung erinnert mich das an den einen oder anderen Slumberhouse, Kiste oder Sova vielleicht, die ebenfalls Rauch oder Ähnliches mit einer ins Klebrige reichenden Süße bzw. Frucht verbinden. Freilich sind Letztere dabei fraglos eher der Gemütlichkeit verpflichtet als der Leidenschaft.
In der dritten Stunde ist Red Hoba bitterer, unsüßer geworden. Der Rauch ist wieder stärker. Eine säuerlich-animalische Note (Castoreum passt) bringt das gewisse Etwas hinein und hält den Duft für einige Stunden auf Geilomat-Niveau. Erst in der fünften, sechsten Stunde hat sich dieser zwischenzeitliche animalische Einschlag weitgehend verzogen. Ich denke jetzt an einen milden Obst-Schmeichler, wie es manche gibt.
Und zum Nachmittag hin bezahlen wir schließlich für die wuchtig-sinnenfrohe Opulenz der Frucht den Preis - wie dereinst Di Stefano den seinen für stimmlich rücksichtslose Italianità entrichten musste: Nach sieben Stunden herrscht ein wächsern-obstiges Aroma. Wie wenn besagte Trocken-Pflaumen ihre beste Zeit noch viel länger als ohnehin schon hinter sich haben und schmierig geworden sind. Sie sehen dann übrigens aus wie die Moorleichen auf Schloss Gottorf bei Schleswig, ein Top-Tipp für einen kleinen Grusel-Familienausflug. Das nur nebenbei.
Das angegebene Holz hat einfach zu viel Mühe, dagegen anzukommen
Zu einem anderen Sänger: Der Spanier Alfredo Kraus bewahrte sich durch Beschränkung auf eine relativ geringe Zahl zu ihm passender Partien seine Stimme bis ins Alter. „Che gelida manina“ hat er (meines Wissens) aus eben diesem Grund auf der Opern-Bühne nie gesungen. Eine konzertante Aufnahme (youtube.com/watch?v=PM430alrTZA) präsentiert … na ja … sicherlich nicht mehr die Vitalität eines jugendlichen Heißsporns, aber wir erleben einen 67-jährigen Tenor mit einer beeindruckend intakten Stimme. Nun mag man argumentieren, dass ein Giuseppe-Di-Stefano-Duft-Beginn es doch wert sei, wenn es danach halt irgendwann bergab geht. Hm. Es gibt eine Aufnahme mit dem jüngeren Alfredo Kraus (aus einem kitschigen Opernfilm oder so – bitte Augen zu! - youtube.com/watch?v=qYxlsL8Gxjk). War er nicht ebenfalls hinreißend?
Ich wünsche mir von Red Hoba eine Alfredo-Kraus-Fassung. Ohne Moorleichen.
Vielen Dank an Ergoproxy für die Probe!
Di Stefano war Sizilianer. Er bediente manches Klischee, welches einem allein dazu spontan durch den Kopf gehen mag. Den Besuch eines jesuitischen Priesterseminars brach er schon nach kurzer Zeit ab. Der Monsignore hatte das längst geahnt und orakelt: „Mit diesen Augen wirst Du wohl nicht lange bei uns bleiben…“.
Von Gesangstechnik hielt der junge Tenor nichts; sämtliche Warnungen, er singe zu Lasten der Stimme, schlug er in den Wind. Wozu etwas ändern, wenn alles großartig klang? Fortissimo! Allzu begierig drängte er ins dramatische Fach, weil er - wie Tenor-Kollege Mario del Monaco es ausdrückte - „eine lyrische Stimme hatte, aber das Herz eines dramatischen Sängers“.
Er verließ sich völlig auf die Gunst der Stunde, auf seine Wirkung auf der Bühne. Zweifellos gelegentlich auch auf Kosten interpretatorischer Feinheiten. Vielleicht zehn Jahre blieben ihm, bis der Raubbau seinen Tribut zu fordern begann und der Schaden an der Stimme immer deutlicher hörbar wurde.
Doch in den zehn Jahren war er hinreißend.
Man schmachte bei meiner italienischen Lieblingsarie „Che gelida manina“ aus „La Bohème“ von Giacomo Puccini, 1950 mit unversehrter Stimme aufgenommen (youtube.com/watch?v=yg8grGjeCRE), und seufze bei der letzten erhältlichen Aufnahme aus dem Jahr 1974 (youtube.com/watch?v=Y097U_T8nDY – ab 4:20 min.).
Red Hoba nun, deswegen die Bezeichnung als ‚Giuseppe-Di-Stefano-Duft‘, haut mich (hier: nach ganz kurzer Gewöhnung) vornean schlichtweg aus den Socken. Er eröffnet mit ordentlich Rauch. Ein winziges bisschen Räucherschinken. Daneben was Frisches, Eukalyptus womöglich. Und ein Akzent noch undefinierbarer, konzentrierter Frucht, wie ein plötzlicher Luftstoß, rasch abschwellend, bevor sich die eingedickte Frucht wieder in den Untergrund verzieht. Vorläufig.
Eine karamellige Süße übernimmt. Der Räucher-Eindruck hat sich an was Süßes rangehängt. Ich rieche geräuchertes Toffee oder Fudge. Gute Idee - gleichermaßen für die Nascherei! Sofern dieser karamellhafte Dreh, und so wird es sein, auf Guajak zurückzuführen ist, wäre das dessen bisher bester Auftritt für mich, geschuldet natürlich auch dem famosen Begleiter. Nix H-Sahne! Das Wogen von cremig-gedämpfter Süße und dem weihefreien, stattdessen mehr katenhaften Rauch ist klasse. Innerhalb weniger Minuten kommt zusätzlich Patchouli als raues Korrektiv durch.
Und irgendeine Frucht. Üppig, reif, sinnlich, erotisch. Sie rein technisch zu beschreiben, nämlich als olle Trockenpflaume oder Dörr-Aprikose, würde ihr nicht gerecht. Langsam, binnen der beiden Auftakt-Stunden, gewinnt sie an Gewicht und schiebt Karamell wie Rauch allmählich zur Seite. Diese Melange aus Karamellsüße, Rauch, Patchouli-Rauheit und Frucht ist glühende Leidenschaft!
In der Zusammenstellung erinnert mich das an den einen oder anderen Slumberhouse, Kiste oder Sova vielleicht, die ebenfalls Rauch oder Ähnliches mit einer ins Klebrige reichenden Süße bzw. Frucht verbinden. Freilich sind Letztere dabei fraglos eher der Gemütlichkeit verpflichtet als der Leidenschaft.
In der dritten Stunde ist Red Hoba bitterer, unsüßer geworden. Der Rauch ist wieder stärker. Eine säuerlich-animalische Note (Castoreum passt) bringt das gewisse Etwas hinein und hält den Duft für einige Stunden auf Geilomat-Niveau. Erst in der fünften, sechsten Stunde hat sich dieser zwischenzeitliche animalische Einschlag weitgehend verzogen. Ich denke jetzt an einen milden Obst-Schmeichler, wie es manche gibt.
Und zum Nachmittag hin bezahlen wir schließlich für die wuchtig-sinnenfrohe Opulenz der Frucht den Preis - wie dereinst Di Stefano den seinen für stimmlich rücksichtslose Italianità entrichten musste: Nach sieben Stunden herrscht ein wächsern-obstiges Aroma. Wie wenn besagte Trocken-Pflaumen ihre beste Zeit noch viel länger als ohnehin schon hinter sich haben und schmierig geworden sind. Sie sehen dann übrigens aus wie die Moorleichen auf Schloss Gottorf bei Schleswig, ein Top-Tipp für einen kleinen Grusel-Familienausflug. Das nur nebenbei.
Das angegebene Holz hat einfach zu viel Mühe, dagegen anzukommen
Zu einem anderen Sänger: Der Spanier Alfredo Kraus bewahrte sich durch Beschränkung auf eine relativ geringe Zahl zu ihm passender Partien seine Stimme bis ins Alter. „Che gelida manina“ hat er (meines Wissens) aus eben diesem Grund auf der Opern-Bühne nie gesungen. Eine konzertante Aufnahme (youtube.com/watch?v=PM430alrTZA) präsentiert … na ja … sicherlich nicht mehr die Vitalität eines jugendlichen Heißsporns, aber wir erleben einen 67-jährigen Tenor mit einer beeindruckend intakten Stimme. Nun mag man argumentieren, dass ein Giuseppe-Di-Stefano-Duft-Beginn es doch wert sei, wenn es danach halt irgendwann bergab geht. Hm. Es gibt eine Aufnahme mit dem jüngeren Alfredo Kraus (aus einem kitschigen Opernfilm oder so – bitte Augen zu! - youtube.com/watch?v=qYxlsL8Gxjk). War er nicht ebenfalls hinreißend?
Ich wünsche mir von Red Hoba eine Alfredo-Kraus-Fassung. Ohne Moorleichen.
Vielen Dank an Ergoproxy für die Probe!
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