27.01.2015 - 08:00 Uhr
Buchmensch
20 Rezensionen
Buchmensch
Sehr hilfreiche Rezension
25
Dann stinke ich eben zurück!
Cantate von Yves Rocher markiert einen Wendepunkt in meiner Parfümkarriere: Es ist der erste Duft, den ich tatsächlich getragen habe, regelmäßig und öffentlich und ohne mich an den gerümpften Nasen meiner Mitmenschen aufzuhalten. Ich hatte keine andere Wahl. Es war eine Frage von Stinken oder Bestunken werden.
Damals, im Winter 2004/05, arbeitete ich als Buchhändlerin in Münster im Vertrieb eines Verlags. Ich mochte meine Arbeit, aber das Betriebsklima war entsetzlich, der Chef tyrannisierte seine Mitarbeiter, wo immer er konnte, und als ich nach vierzehn Monaten wieder vor der Tür stand, war ich ein Fall für die Therapie. Mit meinen Kollegen verstand ich mich gut, zumindest mit den meisten, aber es gehörte schon einiges dazu, um in mir so eine Ellbogenmentalität zu erwecken, dass ich bereit war, rücksichtslos niederzustinken, was immer mir in den Weg kam - war ich doch sonst allzu scheu, zurückhaltend und nur darauf bedacht, bloß nicht zu sehr anzuecken, am wenigsten auf der olfaktorischen Seite.
Aber zwei Dinge stellten sich meiner Nase in den Weg, und ich zog erhobenen Hauptes in die Schlacht. Wenn ich mich schon von meinem Chef tyrannisieren lassen musste, dann würde ich nicht auch noch meine Nase den Kürzeren ziehen lassen! Da war zum einen mein neues Auto. Mein geliebert zitronengelber Daihatsu Move hatte Anfang Dezember 2004 einen Totalschaden erlitten, als ich unglücklich mit einem LKW kollidierte, und so brauchte ich kurzfristig ein neues Auto - nicht zu teuer und, wenn irgendwie möglich, wieder ein Move. Ich wurde fündig, das Auto war erschwinglich, aber leider stellte sich bald heraus, dass die Vorbesitzerin im Auto geraucht haben musste. Ich bin beim Fahren ohnehin schon nervös, so kurz nach meinem Unfall erst recht, und der unterschwellige Nikotingeruch machte mir zu schaffen. Ich versuchte es mit Lufterfrischern, aber die verstärkten den Effekt nur noch. So sehr ich mich auch bemühte, mein neues Auto zu mögen: Es müffelte.
Und dann war da noch die Kollegin aus der Buchhaltung. Frau B, Immer freundlich, immer elegant, eine echte Dame - wenn da nicht ihr Parfüm gewesen wäre. Es roch nicht mal besonders schlecht, aber holla die Waldfee, was für eine Sillage! Da wir immer mit offenen Bürotüren arbeiten mussten, Teil der Permanentüberwachung durch den Chef, musste die gute Frau noch nicht mal in unser Büro kommen - wir rochen es, wenn sie auf dem Flur an unserem Raum vorbeiging, und das auch noch eine halbe Stunde später. Ich war auch so schon ein Nervenbündel, und die ständige olfaktorische Herausforderung brachte mich an den Rand meiner Belastsamkeit. Da half nur eins: zurückstinken.
Ich hatte die fromme Hoffnung, dass, wenn ich mich in meine eigene Wolke hüllen würde, diese alle anderen Gerüche aussperren und mir eine Arbeitsatmosphäre schaffen, so behaglich das unter den Umständen möglich war. Immerhin besaß ich eine gutsortierte Sammlung von Yves-Rocher-Düften aus den Neunzigerjahren, die meisten komplett ungetragen, und so suchte ich mir denjenigen heraus, der mir am Dominanstesn erschien: Cantate. Man darf mich bitte nicht falsch verstehen: Ich liebe den Duft von Cantate sehr, bis heute. Aber er hat schon ordentlich Wumms und Charakter. Man muss ihn mögen oder nicht mögen. Ich mochte ihn, und er erfüllte seinen Zweck: Im Auto roch ich kein Nikotin mehr, und auch unser Sillagemonster aus der Buchhaltung musste jetzt vor mir zurückweichen.
Weniger begeistert waren die Kollegen aus dem Vertrieb, mit denen ich das Büro teilte. Vor allem Studentische Aushilfe T., ein Lehramtsstudent, der ungefähr einen Meter von mir entfernt saß, bekam die volle Dröhnung ab und verstand die Welt nicht mehr. Man kannte mich als den legeren Geek-Nerd mit Jeans, T-Shirt und abgewetzten Schuhen, nichts an mir war irgendwie Damenhaft oder elegant - und dann toppte ich das plötzlich mit einem Duft, der von der reinen Optik unserer Buchhalterin besser zu Gesicht gestanden hätte.
Cantate ist süß, würzig und ein bisschen streng, mit leichtem Hang ins Stechende. Wie die meisten guten alten Yves-Rocher-Düfte ist er sofort da - er hat nicht viel Potenzial, sich zu entwickeln, und wirkt dadurch auf die Dauer ein bisschen eindimensional, aber dafür bekommt man auch genau das, was draufsteht, vom ersten Sprühstoß bis zum anderen Morgen. Kräftige Sillage. Haltbar wie nur was. Ein Sprühstoß reicht für den vollen Acht-Stunden-Arbeitstag, plus Hin- und Rückfahrt. Cantate ist ein Gesamtkunstwerk, aus dem sich die Einzelnoten nicht herausheben - ich rieche keine Rose, kein Sandelholz, nur Cantate, aber das kann auch die Gewöhnung sein: Immerhin habe ich Cantate schon so lange getragen, bevor ich angefangen habe, mir über einzelne Duftkomponenten Gedanken zu machen.
Der Name ist vielleicht ein bisschen zu beliebig, die Flasche ein bisschen zu sehr Chloé Narcisse für Arme, und sein Jahrzehnt, die Neunzigerjahre auf ihrem Höhepunkt, vertritt der Duft immer noch mit Stolz. Für heutige Verhältnisse ist er zu direkt, zu aufdringlich, nicht gourmandig genug, nicht süß genug, als Orientale weder klassisch noch innovativ, und insgesamt zu seifig - und trotzdem war er das erste Parfüm, für das ich ein Kompliment bekommen habe, allerdings erst Jahre nach meinem Intermezzo bei diesem Verlag - wo meine Kollegen zugegebenermaßen wenig begeistert waren von meinem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.
Das erstaunlichste für mich ist, dass ich Cantate immer noch lieben kann. Das Jahr, das ich in diesem Verlag verbracht habe, war eines der Schlimmsten meines Lebens, und vieles, was ich damit assoziiere, weckt heute noch schlimme Erinnerungen in mir: nicht so Cantate. Das umschmeichelt heute wie damals meine Nase, und da ich mittlerweile freiberuflich bin, muss ich auch keine Rücksicht mehr auf Kollegen nehmen. Und eines hat sich bis heute nicht geändert: Cantate nimmt mir beim Autofahren die Nervosität, auch jetzt, zehn Jahre und zwei Autos später. Danke, Onkel Yves. Du hast mir in einer schweren Zeit geholfen.
Damals, im Winter 2004/05, arbeitete ich als Buchhändlerin in Münster im Vertrieb eines Verlags. Ich mochte meine Arbeit, aber das Betriebsklima war entsetzlich, der Chef tyrannisierte seine Mitarbeiter, wo immer er konnte, und als ich nach vierzehn Monaten wieder vor der Tür stand, war ich ein Fall für die Therapie. Mit meinen Kollegen verstand ich mich gut, zumindest mit den meisten, aber es gehörte schon einiges dazu, um in mir so eine Ellbogenmentalität zu erwecken, dass ich bereit war, rücksichtslos niederzustinken, was immer mir in den Weg kam - war ich doch sonst allzu scheu, zurückhaltend und nur darauf bedacht, bloß nicht zu sehr anzuecken, am wenigsten auf der olfaktorischen Seite.
Aber zwei Dinge stellten sich meiner Nase in den Weg, und ich zog erhobenen Hauptes in die Schlacht. Wenn ich mich schon von meinem Chef tyrannisieren lassen musste, dann würde ich nicht auch noch meine Nase den Kürzeren ziehen lassen! Da war zum einen mein neues Auto. Mein geliebert zitronengelber Daihatsu Move hatte Anfang Dezember 2004 einen Totalschaden erlitten, als ich unglücklich mit einem LKW kollidierte, und so brauchte ich kurzfristig ein neues Auto - nicht zu teuer und, wenn irgendwie möglich, wieder ein Move. Ich wurde fündig, das Auto war erschwinglich, aber leider stellte sich bald heraus, dass die Vorbesitzerin im Auto geraucht haben musste. Ich bin beim Fahren ohnehin schon nervös, so kurz nach meinem Unfall erst recht, und der unterschwellige Nikotingeruch machte mir zu schaffen. Ich versuchte es mit Lufterfrischern, aber die verstärkten den Effekt nur noch. So sehr ich mich auch bemühte, mein neues Auto zu mögen: Es müffelte.
Und dann war da noch die Kollegin aus der Buchhaltung. Frau B, Immer freundlich, immer elegant, eine echte Dame - wenn da nicht ihr Parfüm gewesen wäre. Es roch nicht mal besonders schlecht, aber holla die Waldfee, was für eine Sillage! Da wir immer mit offenen Bürotüren arbeiten mussten, Teil der Permanentüberwachung durch den Chef, musste die gute Frau noch nicht mal in unser Büro kommen - wir rochen es, wenn sie auf dem Flur an unserem Raum vorbeiging, und das auch noch eine halbe Stunde später. Ich war auch so schon ein Nervenbündel, und die ständige olfaktorische Herausforderung brachte mich an den Rand meiner Belastsamkeit. Da half nur eins: zurückstinken.
Ich hatte die fromme Hoffnung, dass, wenn ich mich in meine eigene Wolke hüllen würde, diese alle anderen Gerüche aussperren und mir eine Arbeitsatmosphäre schaffen, so behaglich das unter den Umständen möglich war. Immerhin besaß ich eine gutsortierte Sammlung von Yves-Rocher-Düften aus den Neunzigerjahren, die meisten komplett ungetragen, und so suchte ich mir denjenigen heraus, der mir am Dominanstesn erschien: Cantate. Man darf mich bitte nicht falsch verstehen: Ich liebe den Duft von Cantate sehr, bis heute. Aber er hat schon ordentlich Wumms und Charakter. Man muss ihn mögen oder nicht mögen. Ich mochte ihn, und er erfüllte seinen Zweck: Im Auto roch ich kein Nikotin mehr, und auch unser Sillagemonster aus der Buchhaltung musste jetzt vor mir zurückweichen.
Weniger begeistert waren die Kollegen aus dem Vertrieb, mit denen ich das Büro teilte. Vor allem Studentische Aushilfe T., ein Lehramtsstudent, der ungefähr einen Meter von mir entfernt saß, bekam die volle Dröhnung ab und verstand die Welt nicht mehr. Man kannte mich als den legeren Geek-Nerd mit Jeans, T-Shirt und abgewetzten Schuhen, nichts an mir war irgendwie Damenhaft oder elegant - und dann toppte ich das plötzlich mit einem Duft, der von der reinen Optik unserer Buchhalterin besser zu Gesicht gestanden hätte.
Cantate ist süß, würzig und ein bisschen streng, mit leichtem Hang ins Stechende. Wie die meisten guten alten Yves-Rocher-Düfte ist er sofort da - er hat nicht viel Potenzial, sich zu entwickeln, und wirkt dadurch auf die Dauer ein bisschen eindimensional, aber dafür bekommt man auch genau das, was draufsteht, vom ersten Sprühstoß bis zum anderen Morgen. Kräftige Sillage. Haltbar wie nur was. Ein Sprühstoß reicht für den vollen Acht-Stunden-Arbeitstag, plus Hin- und Rückfahrt. Cantate ist ein Gesamtkunstwerk, aus dem sich die Einzelnoten nicht herausheben - ich rieche keine Rose, kein Sandelholz, nur Cantate, aber das kann auch die Gewöhnung sein: Immerhin habe ich Cantate schon so lange getragen, bevor ich angefangen habe, mir über einzelne Duftkomponenten Gedanken zu machen.
Der Name ist vielleicht ein bisschen zu beliebig, die Flasche ein bisschen zu sehr Chloé Narcisse für Arme, und sein Jahrzehnt, die Neunzigerjahre auf ihrem Höhepunkt, vertritt der Duft immer noch mit Stolz. Für heutige Verhältnisse ist er zu direkt, zu aufdringlich, nicht gourmandig genug, nicht süß genug, als Orientale weder klassisch noch innovativ, und insgesamt zu seifig - und trotzdem war er das erste Parfüm, für das ich ein Kompliment bekommen habe, allerdings erst Jahre nach meinem Intermezzo bei diesem Verlag - wo meine Kollegen zugegebenermaßen wenig begeistert waren von meinem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.
Das erstaunlichste für mich ist, dass ich Cantate immer noch lieben kann. Das Jahr, das ich in diesem Verlag verbracht habe, war eines der Schlimmsten meines Lebens, und vieles, was ich damit assoziiere, weckt heute noch schlimme Erinnerungen in mir: nicht so Cantate. Das umschmeichelt heute wie damals meine Nase, und da ich mittlerweile freiberuflich bin, muss ich auch keine Rücksicht mehr auf Kollegen nehmen. Und eines hat sich bis heute nicht geändert: Cantate nimmt mir beim Autofahren die Nervosität, auch jetzt, zehn Jahre und zwei Autos später. Danke, Onkel Yves. Du hast mir in einer schweren Zeit geholfen.
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