Wer sich dafür interessiert, wie die Entwicklung synthetischer, moderner Nischendüfte weitergeht, wird wie ich irgendwann einmal auf Zarkoperfume stoßen. Für alle, die es noch nicht wissen: Der aus Jugoslawien stammende 50-jährige Däne Zarko Ahlmann Pavlov hat sich auf Düfte auf Molekularebene spezialisiert. Das Besondere an diesen Molekülparfums besteht darin, dass sie beim Hautkontakt so mit dem individuellen Körpergeruch verschmelzen, dass ein einzigartiger Duft entsteht, der die Persönlichkeit betont und die Ausstrahlung des Einzelnen verstärkt. Dadurch soll er auch „pheromonisch“ wirken, also anziehend.
Die im Labor produzierten Duftmoleküle interagieren aber nicht nur mit der Haut, sondern auch mit Umgebungseinflüssen wie Temperatur, Luftdruck, Atmosphäre und Wetter. Diese hohe Sensibilität verdanken die Moleküle dem Umstand, dass sie wasserbasiert sind. Während bei „herkömmlichen“ Parfums, die nach der klassischen französischen Tradition hergestellt werden, das Duftöl auf dem Wasser schwimmt, verhält es sich bei den Molekülparfums genau umgekehrt. Der – meist dezente - Duft soll dadurch länger auf der Haut halten.
Warum Zarko sich diesen neuen Regeln der Duftmacherkünste verschrieb? Er wollte damit innovative Unisexdüfte kreieren, die das spezielle Flair von Skandinavien bzw. dem Norden Europas wiedergeben. Düfte, die leicht und einfach wirken, klar und minimalistisch.
Die alte Dreiklang-„Duftpyramide“ ist für den ehemaligen Modedesigner überholt. Er setzt auf Düfte, die sich nicht nacheinander, sondern parallel entwickeln. Zarko gehört zu den Pionieren der Parfumeure, die sich mit der Technik der Molekulardüfte beschäftigen. Er ist sich bewusst, dass seine Düfte nicht mainstreamtauglich sind. Dafür sollen sie Menschen ansprechen, denen das Wesentliche wichtiger ist als ein aufwändiges Marketing. So Zarko.
Kein Marketing ist natürlich auch ein – sehr zielgruppenspezifisches – Marketing. Mich hat es erreicht und neugierig gemacht.
Die Düfte von Zarkoperfume sind eher im höheren Preissegment angesiedelt. Sie werden allesamt handgefertigt und manuell abgefüllt. Ein Hauch von Luxus darf also bei aller Reduziertheit schon sein.
Da ich einige Zarkos kennen lernen wollte, bot sich mir das Duftset Zarkoperfume 5 Star Kit an, das 5 Zarkoparfums – je 5 ml im Sprayflakon - enthält, die sich gut miteinander layern lassen.
Für den ersten Test wähle ich „e’L“ aus. Zarko hat diesen Duft für seine Frau Lene geschaffen. Die Kreation „e’L“, so heißt es, wäre nach den Regeln der konventionellen Duftpyramide nicht möglich gewesen, weil die Verbindung des warmen Grundtons mit frischen Noten angeblich niemals in dieser harmonischen Weise geklappt hätte.
Meine Neugier ist geweckt.
Der Duft wurde für Frauen entwickelt, die sich in der Hektik des Alltags behaupten und sich bewusst Luxus gönnen. Ich bin nicht sicher, ob ich diesem Typ entspreche.
Wie hat man sich nun einen Duft vorzustellen, der die Atmosphäre des Nordens verkörpern will?
Ich denke an etwas Maritim-Aquatisches, fern von allem Mediterranen wie zitrischen Noten. Blümchen? Ja. Vielleicht eine grüne Frische … Natürlich, einfach und klar.
Ich sprühe „e’L“ auf. Der Start ist etwas scharf und unerwartet „zitrisch“. Aha, der Granatapfel! Doch gleich darauf wird es angenehm weich und blumig. Weiße Blumen, die fast mehr an süße Gräser erinnern. Kurz darauf kommen aquatische Töne ins Spiel und etwas leicht Metallisches, das möglicherweise die „ozonischen Noten“ sind.
Unisex? An einem Mann kann ich mir „e’L“ nicht wirklich vorstellen. Es ist für mich ein femininer, zarter Duft, leicht, dezent und „natürlich“. Leicht bedeutet, dass der Duft kaum Sillage entwickelt.
Das berühmte Zusammenspiel zwischen warmem Grundton und frischen Noten kann ich nicht deutlich wahrnehmen. Es ist vielmehr so, dass der Duft „changiert“ wie ein Iso und einmal die Blüten dominieren, dann wieder das Aquatische und umgekehrt. Der Duft hat daher einen spannenden Verlauf, der tatsächlich parallel erfolgt, was schon seine Reize hat.
Ein weiterer Reiz besteht darin, dass der Duft natürlich, aber zugleich synthetisch wirkt. Das erzeugt ein interessantes Spannungsfeld.
Ich kenne den Norden. Nicht unbedingt Dänemark, aber Schweden und vor allem Schleswig-Holstein bzw. Angeln. Und plötzlich ist das alles präsent. Die Urlaube als Kind bei Tante Ilse in Ulsnis an der Schlei, der Heimat meines Großvaters. Tante Ilse, die immer so sonnig und fröhlich war, und ihre drei Söhne, mit denen ich gern spielte – besonders natürlich mit dem mir gleichaltrigen. Für mich als Großstadtkind war das eine völlig neue, aufregende Welt – auf Bäume und über Zäune klettern, fischen … Naja, das war nicht so meins. Als plötzlich der kleine Barsch an meiner Angel hing, tat er mir leid. Er durfte wieder zurück in die Schlei – und Angeln war für mich für alle Zeiten vorbei. Abends versammelte sich Alt und Jung in Tante Ilses Haus und spielte vergnügt „Knack“, ein Kartenspiel, bei dem es ein paar Pfennig zu verdienen gab. Die Regeln hab ich längst vergessen.
Ja, es ist Norden in „e’L“. Der sommerlich blaue Himmel über dem idyllischen Dorf mit seiner uralten romanischen Kirche, dem Glockentürmchen daneben und dem Friedhof mit Fernblick auf die Schlei. Ein Grabstein, auf dem eine steinerne Katze saß, hatte es mir besonders angetan. Ich liebte damals schon Katzen und dachte, unter so einem Grabstein muss es sich – wenn schon - angenehm ruhen lassen. So einen wollte ich auch einmal haben. Im Vergleich zum riesengroßen Wiener Zentralfriedhof mit seinen prunkvollen Mausoleen und dunklen Grabsteinen, der für mich immer etwas Düsteres, Unheimliches hatte, schien dieser freundliche, helle Friedhof dem Tod den Stachel zu nehmen.
Ulsnis war sozusagen mein Bullerbü, von dem die 7-jährige Lisa sagt, sie sei traurig, dass nicht alle Menschen hier leben können. Solche Gedanken hatte ich als 7-Jährige nie. Aber Lisa ist genau so eine Erfindung einer Erwachsenen wie die ganze fiktive Idylle Bullerbü, nach der wir uns alle sehnten, wenn wir „Wir Kinder von Bullerbü“ lasen.
In meinem Bullerbü Ulsnis war es immer Sommer, die Kinder hatten immer Ferien und genug Zeit zum Spielen. Summertime and the livin is easy sozusagen.
„e’L“ hat diese Stimmung eingefangen – die kräftigen Farben des Sommers, das träge dahinfließende Leben, die grünen Gärten, ausgelassene Spiele und Urlaubsfeeling at its best. Selbst das ruhige Wasser des Ostseefjords, buntes, schönes, fröhliches Leben ringsum, Lachen, Abenteuer, Geborgenheit.
Ich bin an sich nicht so der Fan von aquatischen Düften, aber hier sind sie sozusagen neu interpretiert. Ich weiß schon, der Norden besteht nicht nur aus Küste, aber zu einem großen Teil. Und wenn man bedenkt, dass Zarkos Haus, in dem er seine Parfums braut oder besser gesagt konstruiert, direkt am Meer liegt, muss es einfach aquatisch zugehen mit frisch lackierten Booten, Möwen, Seetang, Wind und Wellen.
Es stimmt. Düfte können manchmal Erinnerungen wecken. Und wenn man Glück hat, sind es angenehme.
„e’L“ kann es bei mir. Leider sind Haltbarkeit und Sillage schwach bei diesem Duft. Andererseits passt dieses Leichte, Unbeschwerte, Ätherische gut zur fröhlichen Duftnote, die die Stimmung hebt, ohne ins Banale abzugleiten.
Mir gefällt dieser Duft. Ganz kann ich mich allerdings nicht mit ihm identifizieren. Dazu bin ich wohl zu urban oder halt nicht dänisch genug. Mein Signaturduft wird das wohl nie werden, aber ein freundlicher Begleiter für einen schönen Ferientag.