Bat 2015

Version von 2015
Siebter
24.04.2016 - 18:10 Uhr
35
Top Rezension

Modrig, aber freundlich

Obwohl Zoologist erst seit wenigen Jahren auf dem Markt ist und man bis vor kurzem nur mit mittelschwerem Aufwand bzw. der freundlichen Unterstützung der Parfumo-Community an Testmöglichkeiten kam, gehört diese Marke spätestens seit der zweiten Veröffentlichungswelle zu meinen Lieblingshäusern. Bat hat daran einen entscheidenden Anteil, denn, das möchte ich gleich zu Anfang klarstellen, dieser Duft ist wirklich avantgardistisch.

Dass Wissenschaftler auf Umwegen an die Parfümerie geraten, ist nicht ganz ungewöhnlich, im Falle von Ellen Covey muss aber erwähnt werden, dass sie eine renommierte Fledermausforscherin ist, die zahlreiche Artikel zum Thema (insbesondere über das komplexe Ultraschallortungssystem der Fledermäuse) geschrieben hat und dafür z.B. in Fledermaushöhlen im Dschungel von Jamaika herumgekrochen ist. Darüber hinaus veröffentlichte sie mit ihrer Marke Olympic Orchids bereits einige Dutzend Düfte. Bezogen auf Bat sind das schon arg glückliche Fügungen, finde ich. Zudem hält sie übrigens Vorlesungen an der University of Washington in Psychologie und betreibt professionelle Orchideenzucht.

Schon zu Beginn löscht Bat jeden Versuch aus, ihn zu kategorisieren. Aufgewühlte und sehr feuchte, schwere und dunkle Erde rollt heran, innerhalb von wenigen Sekunden erhöht sich die Luftfeuchtigkeit auf hundert Prozent. Dem basslastigen Auftakt folgt der greifbar erscheinende Eindruck einer sich langsam legenden Erdmasse, sehr einhüllend und dominant. Trotzdem mit einer recht hellen und süßen Banane ein deutlicher Kontrast gesetzt wird, fällt es zunächst schwer, die Aufmerksamkeit von dieser in ihrer Wucht fremdartigen und durchaus ins Modrige spielenden Erdigkeit zu lösen. Man sollte schon bereit sein dafür.

Bat ist ein Roomfiller, provozierend, fordernd und dunkel. Er ist jedoch nicht düster oder gar grimmig, ganz im Gegenteil. Die Banane wandelt sich bald zu einem mangoartigen Früchtematsch und lässt den Duft zusammen mit der durchgehend hohen Luftfeuchtigkeit warm und freundlich erscheinen. Ellen Covey erwähnt in einem Interview, dass bestimmte Fledermausarten in ihrem Verhalten und ihrer Ernährung den Kolibris ähneln und somit in der Nacht die selbe Nische besetzen wie tagsüber die Kolibris – tatsächlich finde ich, dass die Fruchtmatschaspekte von Bat Parallelen zu der nektarartigen Fruchtigkeit von Hummingbird der selben Marke haben. Das Zusammenspiel aus tropischen Früchten und feuchter Erde bleibt für die nächsten Stunden bestimmend, trotzdem ist Bat ein äußerst entwicklungsstarker Duft: Rote-Beete-artige Wurzeln durchziehen die Erde, die Luft wird mineralischer und kühler, der Anteil an Früchten schwankt stark. Dabei wird Bat mit der Zeit immer ruhiger und runder, die Atmosphäre geprägt von Gegensätzen wie feucht und mineralisch, warm und kühl, erdig und fruchtig. Mir erscheint er wie eine verliebte Ode an das Fledermausleben, ein Versuch, zu erklären, warum es cool ist, eine Fledermaus zu sein.

Bat ist aus einem ganz bestimmten Grund ein avantgardistisches Parfum: es enthält eine sehr hohe Dosis Geosmin. In Notenpyramiden findet man Geosmin selten, die Datenbank von Parfumo kennt gerade mal zwei Düfte mit diesem Stoff, zudem fünf weitere, wenn man nach „Petrichor“ sucht, womit man das Aroma in der Luft nach einem Regenguss bezeichnet; Geosmin ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Dufteindrucks. Ich vermute, dass The Smell of Weather Turning von Lush (in geringem Maße) und Coven von Andrea Maack (in etwas höherer Dosierung) ebenfalls Geosmin enthalten. Man findet es außerdem in Erde und Schimmel, das modrig-grüne Aroma, welches beispielsweise aus Biotonnen oder Komposthaufen aufsteigt, das ist Geosmin. Und Bat enthält richtig viel davon.

Ich mochte Bat von Anfang an, obwohl insbesondere die Assoziation von Schimmel für mich sehr stark im Vordergrund steht. Selbst Patschuli erscheint wie ein Chorknabe im Vergleich zu dieser archaischen und grummelnden Erdigkeit. Mein Bruder assoziierte bei einem Papiertest verschimmelte Banane. Bat ist nicht bürotauglich: Arbeitskollegen fragten mich, ob ich gerade „irgendwo“ war oder ob hier eventuell irgendetwas „Komisches“ herumläge – der Hinweis, dass es sich bei dem die Irritationen verursachenden Duft um ein Parfum handelt, löste nachhaltiges Kopfschütteln aus. Eine (mäßig parfumaffine) Kollegin war allerdings so angetan von Bat, dass ich ihr demnächst die Probe davon mitbringen muss.

An meiner Freundin finde ich Bat wundervoll. Dieser Duft zeichnet ganz ohne blättrige oder florale Anteile eine authentische Tropenatmosphäre, warm, exotisch, auch sinnlich. Überaus präsent und damit ein unterhaltsamer Protagonist. Es macht Spaß, sich über ihn auszutauschen. Es ist schön, jemanden zu umarmen, der Bat trägt.

Aber wie gesagt: man sollte dafür bereit sein. Geosmin besitzt eine extrem niedrige Wahrnehmungsschwelle. Die 25% Parfümölanteil, die Bat eigentlich als Extrait ausweisen, imprägnieren Kleidung für Tage und Wochen, wodurch der Duft immer wieder unverhofft auftaucht. Um ihn zu verstehen oder auch nur bereit zu sein, sich ihm zu nähern, ist das Wissen um seinen Kontext notwendig. Dieser Umstand spricht für mich keinesfalls gegen diesen Duft, denn sobald sein Kontext bekannt ist, zeigt sich eine umfangreiche und konsequent umgesetzte Palette an Bildern und Stimmungen. Jedoch zwingt seine Präsenz die Umgebung des Trägers zur Auseinandersetzung mit ihm. Dem gegenüber steht die kaum erfüllbare Aufgabe, jedem Mitfahrgast in der U-Bahn das Konzept einer kanadischen Indiehousemarke zu erläutern bzw. den Umstand, dass es sich überhaupt um ein Parfüm handelt. Irritation sollte man in Kauf nehmen können.

Irritation soll hier nicht für Ekel stehen; ich konnte mit Bat vielfältige Reaktionen hervorrufen, aber niemand fühlte sich unmittelbar abgestoßen, immer überwog Verwunderung und Interesse. Mit der Zeit wird Bat durchaus tragbarer, weicher, harziger und immer runder. Die feuchtschwüle Fruchtmatschigkeit wirkt warm, entspannend und kompakt, die mineralische Erdigkeit auf ungewöhnliche Weise clean und luftig, die schönen Gegensätze machen den Duft dynamisch und interessant. So schwer dieser Duft zu handhaben ist, sehe ich ihn keinesfalls als bloße Spielerei oder Konzeptkunst.
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