Anarlan
13.03.2021 - 13:42 Uhr
56
Top Rezension
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Kopi Luwak und eine alte Bekannte

Sobald ein Duft nach einem - freilich heutzutage synthetisch hergestellten - animalischen Duftbaustein benannt wird, kann man sich im Falle von Zibet eigentlich schon mehrerer Mißverständnisse und der daraus resultierenden typischen Reaktionen („Iiih!“, „Uäähh!“, „Bäh!“) sicher sein: Nämlich, dass der Duft irgendetwas mit Katzen und/oder Katzenurin-Geruch zu tun hätte. Das Mißverständnis beruht teilweise auf der Annahme, Zibetkatzen seien echte Katzen. Sie sind aber nachtaktive Säugetiere, die von Südeuropa über Afrika bis Asien in mehreren Unterarten vorkommen und mit den uns bekannten Katzen herzlich wenig zu tun haben. Von Fern und im Dunkeln sehen sie beim Herumschleichen vielleicht ein bisschen aus wie Katzen, weswegen sie auch „Schleichkatzen“ genannt werden.

Dass Zibet als Duftbaustein in den Verdacht gekommen ist, nach Katzenpipi zu riechen, hat seine Ursache möglicherweise darin, dass die Substanz früher aus dem stark fettigen und übel riechenden Sekret der Analdrüsen von Zibetkatzen gewonnen wurde, was mit Urin aber nichts zu tun hat, und daß unter Anderem urinöse Duftnoten in zibethaltigen Parfums wahrnehmbar sein können, was aber nur mittelbar mit dem Zibet darin in Zusammenhang steht.

Das, was man gemeinhin als urinösen Geruch wahrnimmt, ist nämlich gar nicht dem Urin selbst geschuldet. Frischer Urin ist relativ geruchsarm, was jeder durch einen beherzten Schnüffler selbst feststellen kann. Keine Scheu! Wir sind hier ja unter uns und ich erzähle es nicht weiter. Wo wir gerade dabei sind: Wissen Sie, wie Ärzte früher einen Diabetes mellitus bei Patienten diagnostiziert haben? Sie haben ihren Finger in den Patientenurin getaucht, um den Geschmack des Urins zu kosten: Süss gleich Zucker gleich Diabetes. Bittesehr. Und jetzt kommen Sie mir nochmal mit „Huuuh, der Duft hier hat ja eine fuurchtbare Pipinote, mir wird ganz blümerant!“.

Wie kommt dann der typische Uringeruch im Urin zustande? Es sind bakterielle Abbauprodukte, namentlich das scharf-bittere Ammoniak, die den typischen unangenehmen Pipigeruch erzeugen. Animalische Düfte, und so auch urinöse Duftnoten (es tut mir ja leid, aber man muss das Kind mit den vollgemachten Windeln leider beim Namen nennen) in Parfum können dennoch -in der richtigen homöopathischen Verdünnung- den speziellen Reiz eines Duftes ausmachen und dem Duft die nötige Spur Raffinesse ein-, ähm, träufeln. Ohne diese Prise Untenrum wären weder Kouros, noch Jicky, als moderner Vertreter fällt mir sofort noch MAAI ein, möglicherweise jemals zu ihrem legendären Ruf und ihrer Qualität gelangt.

Allerdings sind diese geruchlichen Erinnerungen daran, dass wir der Tierwelt entstammen, und mit denen wir uns anscheinend in unserer heutigen durchdesinfizierten, keimarmen, maskenbewehrten Zeit doch irgendwie schwer tun, oft gar nicht alleine auf die verwendeten animalischen Bestandteile wie Zibet, Moschus, Amber, Hyraceum, Castoreum und Konsorten zurück zu führen. Die genannten Stoffe haben nämlich neben ihrer eigenen geruchlichen Berechtigung in Düften auch fixierende oder andere Duftbestandteile stärker projezierende Funktionen. Vielmehr entsteht der geruchliche „touch of piss“ (oder andere Substanzen, wir wollen es jetzt aber nicht übertreiben) auch durch die geschickte Kombination mit floralen Noten wie Nelke, Neroli, Jasmin und Weissblühern mit ihren verantwortlichen Anteilen an Idol und Skatol. Auch zitrische oder krautige Noten wie z.B. Salbei und Lavendel können je nach Kontext einen urinösen Duftaspekt erzeugen.
Tut mir aufrichtig leid. Ich wollte Ihnen Ihre frischgeduschten Blütenträume nicht zerstören. Und „Klosteinzitrone“, daran sehen Sie, wie nah Pipi und Zitrik manchmal buchstäblich beieinander liegen, ist hier in diesem Forum ja mittlerweile fester Bestandteil des Parfumo-Sprechs.

Die grossen Chypres der Vergangenheit spielen mit ihren oftmals ausgeprägten animalischen Noten virtuos auf dieser Klaviatur. Und „Civet“ knüpft mit einem Hauch dieser „Old Vibes“ an diese Tradition an. Um zu verstehen, welche Geschichte Victor Wong, kreativer Kopf von Zoologist, zusammen mit seiner Parfümeurin Shelley Waddington in Civet erzählt, muss man noch mal kurz zur indonesischen Schleichkatze zurück.

Kopi Luwak wird unter anderem in Indonesien hergestellt und gehört zu den weltweit teuersten Kaffee-Sorten. Ursprünglich ein buchstäbliches Abfallprodukt des kolonialen Kaffeeanbaus - der mühsam angebaute Plantagenkaffee war ausschließlich den Kolonialmächten und deren Export vorbehalten - griffen die Einheimischen zu einer anderen Methode, um an das begehrte Heißgetränk zu kommen. Sie sammelten unverdaute Kaffeebohnen, die sich in den Exkrementen von Schleichkatzen fanden. Im Darm des Tieres sind die Kaffeekirschen einer Fermentation durch Enzyme ausgesetzt, welche die Geschmackseigenschaften ändert und dem Kaffee ein erdiges, sirupartiges, gehaltvolles und mit Untertönen von Dschungel und Schokolade versehenes Aroma verleiht, was ich bestätigen würde, sofern mich meine Erinnerung an die Tasse Kopi Luwak, die ich mal in Indonesien kredenzt bekam, nicht trügt.

„Civet“ überrascht in einem Moment mit einer karamelligen Kaffeenote, wenn man nicht damit rechnet, doch dazu später mehr. Mir würde dennoch nicht einfallen, den Duft als Gourmand zu bezeichnen, dafür fehlt ihm die nötige Süße und der Eindruck, etwas Essbares vor sich zu haben. Auch fehlen mir für die Kategorie "animalischer Duft" die entsprechend starken Aspekte.

Der Duft eröffnet mit einer gehörigen Portion schwarzem Pfeffer, einem Hauch grüner Krautigkeit und Zitrusnoten von herber Bergamotte, einem Spritzer Zitrone und vor allem Orange.
Herznah wird es dann schnell unsüß floral. Gartennelke und eine cremige, leicht kampherige, unkitschig-tropisch von Frangipani und Ylang Ylang gerahmte alte Bekannte leuchten im Dämmerlicht des Dschungels auf: Eine wunderschöne sanfte Tuberose mit Vintage-Touch.
Man ahnt allerdings langsam, dass hier möglicherweise auch flinke Raubtiere mit Krallen-bewehrten samtigen Pfoten schattenartig unter den Bäumen umher huschen. Der Duft entwickelt nun eine leicht spröde, drahtige, angeraute, schlanke Textur durch die stärker hervor tretenden Basisbestandteile. Labdanum und Eichenmoos sowie eine ledrige und leicht harzig-balsamische, warme Qualität, die ich Moschus und Zibet zuschreiben würde, kommen zum Vorschein.

Spätestes jetzt rückt er aus meiner Sicht in die Verwandtschaft von florientalen Chypres, hält aber noch eine letzte Überraschung bereit: Das Kaffeearoma von Kopi Luwak, was zusammen mit einem Hauch vanilligem Heliotrop einen weichmachenden Effekt hat und eine aus meiner Sicht wunderbar anziehende Einheit mit Zibet und Tuberose bildet.

Die Kombination von Tuberose und Kaffee mit Chypre-Aspekten ist sicherlich gewagt, und könnte, und jetzt kommt für heute der letzte Flachwitz in dieser Richtung, voll in die Hose gehen, was aber nicht der Fall ist. Der Duft ist komplett alltagstauglich und dabei überaus haltbar, ich kann ihn noch Tage später auf meinem Jackenkragen wahrnehmen.

Meinen Dank an Ergoproxy für die Probe!
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