Serenissima
Top Rezension
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"Die Abtei im Eichwald"
Annick Goutals Düfte faszinieren mich immer wieder; auch weil sie Geschichten erzählen.
Manchmal eben auch, weil sie mir meine höchst persönlichen Geschichten erzählen.
"Encens Flamboyant" lernte ich kennen, weil mich FvSpee nach meinen Kommentar zu "Ambre Fétiche" darauf aufmerksam machte. An dieser Stelle herzlichen Dank dafür!
Erst wollte ich mich mit einer Abfüllung des Duftes zufriedengeben - zum Kennenlernen lohnt das ja.
Dann aber ergab es sich, dass mein "Lieblings"-Parfumversand im Internet eine große Charge davon anbot und ich so für wenig Geld einen Flacon ersteigern konnte.
FvSpee hatte fast ein schlechtes Gewissen, als ich diesen Kauf ihm gegenüber erwähnte; das muss nicht sein!
Wir beide, "Encens Flamboyant" und ich, sind sehr zufrieden miteinander.
Im Gegensatz zum "Ambre Fétiche" erscheint dieser Duft erst einmal "grau".
Es fehlt das goldene Leuchten, das Ambra immer mit sich bringt; auch birgt dieser Duft eine gewisse sakrale Note: die Erinnerung an eine leere Kirche ist hier nicht so ganz falsch.
Dieses gefühlte "Grau" führte mich direkt zu Caspar David Friedrich und seinem Gemälde "Die Abtei im Eichwald".
Friedrich, einer der bekannten deutschen Maler der Romantik schuf dieses Werk 1809.
Wie auch bei dem Pendent "Der Mönch am Meer" dominiert die gedeckte Stimmung: die Reste des Klosters Eldena, das offene Grab und der Winter sind auch hier Vergänglichkeitssymbole.
Ich erinnere mich sehr gut, wie ich die Werke dieses Malers als junge Frau Anfang der siebziger Jahre kennenlernte.
Der gesamte Bereich um das Schloss Charlottenburg war endlich restauriert worden; so auch der sogenannte Schinkel-Pavillon.
Dieses Sommerhaus erbaute Karl Friedrich Schinkel 1824/25 für König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und seine in morganatischer Ehe im Jahr 1824 angetraute zweite Frau Auguste Fürstin von Liegnitz am Rande des Schlossparks, direkt an der Spree gelegen. Das ist noch heute ein schöner Platz.
Es hatte schon seinen Sinn, diesen Ort zu wählen; Potsdam z. B. wäre, trotz der vielen Seen, nicht ganz so geeignet gewesen.
Denn die Berliner vergötterten die 1810 verstorbene Königin Luise und waren mit einer Wiederverheiratung ihres Königs, der sehr bürgerlich war, nicht recht einverstanden.
Ich denke, damals muss der Hype um diese Frau dem "Starkult" Lady Dianas von England nahe gekommen sein.
Allein der Name "Königin Luise" lässt noch heute viele Menschen, besonders Frauen, schwärmen.
In diesem luftigen, klassizistischen Bau wirkten die Werke C. D. Friedrichs immer ein wenig fehl am Platz.
Dort waren die Gemälde Eduard Gärtners, Franz Krügers (auch "Pferde-Krüger" genannt: wegen seiner riesigen Bilder von Paraden mit sehr vielen Menschen) und auch Karl Friedrich Schinkels sehr viel passender; es ist eben ein Sommerhaus.
Inzwischen hängen sie fast alle in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel bei den anderen Romantikern; dort scheinen sich die Friedrichs Bilder sehr viel wohler zu fühlen.
Mich beeindruckt schon das Werk dieses Mannes, nur liegt mir die allgemeine Themenauswahl nicht so sehr; eigentlich möchte ich sie mit "Bonjour Tristesse" überschreiben.
Nur ist das wieder einmal etwas, was ich nicht laut sagen darf; schnell fällt das böse Wort "Kunstbanause"!
Obwohl mich "Encens Flamboyant" gerade an dieses von mir fast vergessene Gemälde erinnerte, hat dieser Duft nichts Düsteres oder Trauriges, sondern eher etwas Besinnliches an sich.
Weihrauch in vielen Varianten bildet hier die Basis; ich liebe Weihrauch und dadurch verstehen wir uns schon sehr gut.
Kirchenweihrauch bringt mich zur Einkehr und durch ihn merke ich deutlich, dass ein Duft nicht immer Heiterkeit und Fröhlichkeit verbreiten muss. Er darf auch zum Nachdenken, zum Besinnen einladen!
Scharfer, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer und sein aromatischer rosa Gefährte setzen gewisse Lichtzeichen: sie zünden in diesem Gesamtkunstwerk ein Feuer an!
Ein Feuer, das warm und ohne zu flackern brennt und so die Würze der unterschiedlichen Harze und des Tannenbalsams erst lebendig werden lässt.
Diese doch recht kräftigen Bestandteile lassen diesen Duft ganz leicht vibrieren.
Eine nicht geringe Prise Muskatnuss sorgt für einen zusätzlichen Aromaschub; damit wird "Encens Flamboyant" gekonnt und rund vollendet.
Es entsteht ein Duft, der zur Ruhe kommen lässt, zum Verweilen einlädt; bei dem die Gedanken wandern können, um zum Schluss dann ganz leicht zu werden. (Ob sie nun "auf goldenen Flügeln" unterwegs sind, weiß ich leider nicht.)
Mit "Encens Flamboyant" ist Isabelle Doyen und Camille Goutal (die übrigens den Künstlernamen ihrer Mutter Annick übernahm) ein ungewöhnliches und auch außergewöhnliches Duftkunstwerk gelungen.
Dieser Duft ist nicht für jeden Tag und sicher auch nicht für jeden Menschen geeignet. Man braucht schon ein wenig Mut, um, mit einem leicht sakral anmutenden Hauch von Rauch umgeben, unterwegs zu sein.
Sillage und Haltbarkeit entsprechen auch hier den mit den meisten Düften dieses Hauses gemachten Erfahrungen.
Auch "Encens Flamboyant" wird im Laufe der Zeit leichter und feiner, bis nur noch eine zarte Nuance von Weihrauch (wie sie nach einem Kirchenbesuch in der Kleidung hängt) zurückbleibt.
Ich habe diesen Duft in den letzten, doch recht heißen Tagen häufig getragen; ich fühlte mich einfach wohl mit ihm.
Hinterfragen werde ich diese Sympathie nicht; zu gut kenne ich mich, um nicht zu wissen, dass ich hier auf eine gewiss unübliche Art die innere Ruhe finde, die mir in der letzten Zeit oft fehlte. Und das ist gut so!
Schon deshalb bin ich FvSpee für seine Empfehlung sehr dankbar und glaube auch, dass die 100 ml, die der klassische Flacon aus klarem Glas umschließt, mich "bis zur bitteren Neige" (wie komme ich jetzt auf Johannes Mario Simmel?) begleiten werden.