Serenissima
Hilfreiche Rezension
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ein Traum von Grasse
Ein bisschen fremd ist er mir schon, dieser neue frische Duft aus dem Haus Annick Goutal.
Wunderschön und lieblich im Anklang, aber fremd.
Meine Sinne sind zweigeteilt: einerseits möchte ich mich diesem Dufttraum ganz hingeben, andererseits aber doch herausfinden, was mich ein wenig fremdeln lässt.
Das Internet und auch der gestern erst eingetroffene Newsletter von Goutal, der frische Sommerdüfte vorstellt und diesen gleich an erster Stelle, geben schnell Auskunft.
Hier waren nicht Camille Goutal und Isabelle Doyen, in ihrer bewährten Partnerschaft, am Duftwerk: Man ist fremdgegangen im Haus Annick Goutal!
So hat sich mein kleines Näschen also doch nicht getäuscht!
Camille Goutal hat sich für "Le Temps des Rêves" mit zwei befreundeten Parfumeuren aus Grasse, der Stadt, der dieser Duft gewidmet ist, zusammengetan.
Annicks Tochter hat also "fremdgeträumt" und gleichzeitig eine Hommage an ihre Mutter geschaffen, die in Grasse ihren duftenden Traum zu leben begann. Annick Goutal erlebte ihre "Duft-Lehrjahre" hier.
Mutter und Tochter sind immer noch tief im Duft verbunden.
So ist also die "lebhafte Ode an Grasse und die Orangenblüte" (Zitat: AG) zustande gekommen.
Da nun diese Irritation meiner sinnliches Wahrnehmung beseitigt ist, kann ich mich doch endlich ganz und voller Muße dieser neuen Duft-Komposition hingeben und sie entdecken und "erschnüffeln".
Denn es ist gelebter Sommer unter der Sonne der Provence, was sich auf meiner Haut einrichtet: zart und doch bodenständig, ausgeglichen in sich ruhend, von natürlicher Sinnlichkeit und lächelnd.
Ja, "Le Temps des Rêves" ist wieder einmal ein lächelnder Duft!
Neroli leuchtet schon von Beginn an und sorgt für Wohlbehagen. Eine der schönsten und wichtigsten Eigenarten dieses Blütenöls; es wirkt ausgleichend; wie die sanften Bewegungen einer liebevollen Hand, die alles Belastende wegstreichelt: wie gut sie tut, diese Zärtlichkeit in Duftform.
Bergamotte kommt leichtfüßig und leicht spritzig duftend heran, die würzige Myrte in ihrer Begleitung.
Sogleich beginnen diese drei Schönheiten des Südens zu plaudern, zu lachen; man merkt, dass sie sich miteinander sehr wohlfühlen.
Sie wollen in die Orangenhaine, wo Orangenblüten ihr fragiles und doch so warmes und starkes Herz diesem Duft-Kleinod hinzufügen werden.
Diese heiteren Kinder der Sonne lassen sich nun endgültig bei mir nieder und haben sogar noch Gesellschaft mitgebracht.
Die bisherige schon berührende Herzlichkeit dieses Duft-Traumes wird von geschmeidigem Sandelholz vertieft und dadurch auch verlängert. (Und dennoch bleibt auch hier die nur mittelmäßige Haltbarkeit die Schwäche der Annick Goutal-Düfte!)
Eine streichelzarte Moschus-Nuance rundet ein sehr schönes, sommerlich-leichtes und doch tief berührendes Duft-Aquarell in zarten Farben ab.
"Le Temps des Rêves" ist ein duftender Spaziergang durch Grasse; diesmal nicht über die weiten Blumenfelder vor der Stadt, sondern ein Bummeln durch enge Gassen (mit schlechtem Pflaster), in denen Menschen und Häuser immer noch die schönsten Geschichten kennen und sie bereitwillig weitererzählen.
Man sitzt an einem kleinem Tisch, vor sich den ersten Pastis des Tages, und träumt sich während einer leicht dahin plätschernden Unterhaltung in eine Duft-Impression.
Auch hier hat das Haus Annick Goutal wieder seine liebevollste Eigenschaft vermittelt und durch einen bezaubernden Sommerduft Geschichten erzählt.
Eine wunderschöne Sommergeschichte in einem (nicht mehr ganz so schönen) Flacon, die mittels Rückgriffe auf die Aromatherapie Wohlbehagen verbreitet und die den Sommer und seine Träume in Duft wahrwerden lässt.
Wie schon erwähnt, kann auch von "Le Temps des Rêves" keine allzu lange Haltbarkeit erwartet werden. Das ist aber auch nicht selten bei dieser Marke.
Aber sind nicht auch Träume nur kurzzeitige Gäste?
"Le Temps des Rêves" ermöglicht es, diese flüchtigen Besucher, die häufig tiefe Eindrücke hinterlassen, mit Knopfdruck wieder lebendig werden zu lassen.
So ist also hier "nach dem Traum vor dem Traum"!
Träumen wir gemeinsam noch ein bisschen ...