04.07.2020 - 20:04 Uhr

FvSpee
323 Rezensionen

FvSpee
Top Rezension
31
Colonialwaren I: Russische Rätsel.
Die mit diesen Zeilen beginnende neue Serie "Colonialwaren" soll den Düften gewidmet sein, die ich als "braune Colognes" bezeichnen möchte. Sie weisen alle colognigen Eigenschaften auf, die für die Aufnahme in meine anderen Kölnischwasser-Serien qualifizieren, sind aber zusätzlich durch braune Noten wie etwa Gewürznelke, Tabak oder Leder geprägt.
Der Titel der Serie spielt natürlich auf die ehemalige römische Kolonie am Rhein an, Colonia Claudia Ara Agrippinensium, Geburtsstadt und Namensgeberin der Kölnischwässer, und jedenfalls Heimat auch von braunen Colognes wie Russisch Leder von Farina Gegenüber. Zugleich will der Name die Brücke schlagen zu den Einzelhandelsgeschäften, in denen überseeische Gewürze, Tabak, Kaffee, Kakao und derlei Waren feilgeboten wurden und die noch bis vor wenigen Jahrzehnten als "Colonialwarenladen" firmierten.
Rückversichernd sei hinzugefügt: Ich halte es für ausgemacht, dass das Leid und die Ungerechtigkeit, die mit der Errichtung von Kolonien (und deren wirtschaftlicher Ausbeutung etwa durch den Export von Kolonialwaren) einhergingen, und ebenso die Großverbrechen des Kolonialismus wie die Kongogräuel oder der Völkermord an den Herero nach der Schlacht am Waterberg, nie vergessen werden dürfen. Dass der Begriff der Kolonialwaren deshalb aus dem Wörterbuch zu tilgen wäre, glaube ich indes nicht.
Die Düfte von Harry Lehmann zu beschreiben, entspricht stets der Herausforderung eines Blindtests, da die Firma die Angabe einer Duftpyramide hartnäckig verweigert und sich mit kryptischen, oft genug merkwürdig wenig zum eigenen Duftempfinden passenden und die Verwirrung noch steigernden Kurzangaben (in diesem Fall: "balsamisch-tabacartig", aha) begnügt. Der Trick, bei Frau Toni zu lugen, die eine erkleckliche Menge Lehmänner im Parallelvertrieb (mit Pyramide!) verkauft, zieht hier sortimentbedingt nicht. Bleiben nur die eigene Nase und das gesetzlich vorgeschriebene, sich auf potenziell allergene Duftnoten fokussierende, Etikett auf dem Flakon.
Ich gebe der geschätzten Ttfortwo recht, Russische Eau de Cologne startet zitrisch. Darüber bin ich auch erleichtert, denn damit und mit der Bezeichnung als "Cologne" ist der gewährte Einlass in diese Serie schon so gut wie legitimiert. Diese ist allerdings, und darauf möchte ich pochen, keine gewöhnliche, womöglich noch bergamottig-nerolige, tradiditonskölnische, sondern eine schraubstockfest in stark braunwürzig-aromatische Noten verbaute Zitrik. Fast möchte ich mich festlegen: Die typische, leicht ziehende Zitrik als Auftakt eines Chypreakkords.
Der Duft hält hautnah enorm lange: gesplasht mindestens sechs Stunden, eher mehr. Das ist genug Zeit für eine gewisse Duftentwicklung, mindestens aber für ein Spiel von sich ändernden Geruchseindrücken. Bisweilen treten weiche, fast vanillige Noten hervor, meist imponiert Russische eindeutig frisch, fast sommerfrisch, und qualifiziert sich damit endgültig als würdiges Cologne. Die hier vielfach beschriebenen Kognaknoten kann ich nicht erkennen. Zeichnet sich der Duft durch die Ledernoten alten Stils (wie etwa in Knize Ten) aus? Ich zögere. Da ist eine Verwandtschaft, aber keine allzu enge. Vielleicht heißt der Duft nicht ohne Hintergedanken zwar "Russisch", aber eben nicht "Russisch Leder" oder "Russisch Juchten" wie so viele andere.
Diese kernige, männliche, etwas knarzige Frische foppt und vexiert mich; sie nimmt bisweilen fougèrige Gestalt an, nur um dann wieder umso eindeutiger als Chypre zu erscheinen (bisweilen meine ich die männlichere, kühlere Version von Alpas Chypre-Cologne zu riechen). Zum Glück bekomme ich keine Prämie fürs Festlegen: also beschränke ich mich darauf, dass wir hier einen etwas rätselhaften, aber sehr schönen, abgrundtief oldschooligen und doch überhaupt nicht langweiligen, krachend männlichen und doch auch an einer vornehmen Dame oder einem jungen Mädchen gut vorstellbaren Cologneduft vor uns haben. Und darauf, dass er nach Stunden, noch einmal sehr gewandelt, in einem sehr schönen Fond ausklingt, der für meine Nase als vorwitzig tonkierte Lavendelpudrigkeit daherkommt.
Nachdem Konsalik, Ttfortwo und Grenouille diesen Duft schon viel schöner beschrieben haben, muss ich, um diesen Kommentar zu rechtfertigen, noch zwei bisher ungelöste Menschheitsfragen zu klären versuchen:
Handelt es sich bei Russische Eau de Cologne um die verdünnte Version von Russisch Juchten? Ich neige nach einem Paralleltest dazu, die Frage zu verneinen. Die Düfte ähneln sich, ja, keine Frage, insbesondere kommt mir Russisch Juchten ebenfalls (und noch mehr sogar als der hier besprochene) als würziger Chypre daher. Sie dürften auch beide aus den Anfangsjahren des Dufthauses stammen, und die Inhaltsstoffe auf dem Etikett lesen sich verdächtig ähnlich (insbesondere leuchtet bei beiden Coumarin und Eichenmoos hervor und finden sich Citronellol und Limonene). Dennoch scheint es mir Unterschiede zu geben; das Cologne wirkt trockener und solider als das EdP und zudem, anders als jenes, ein bisschen holzig.
Wieso Russische Eau de Cologne und nicht Russisches Eau de Cologne? Zunächst dachte ich, wir hätten es mit einer Schwundform zu tun, bei der im Laufe der Jahrzehnte von "Das Russische Eau de Cologne" oder gar, wie in einem Lexikon: "Russische Eau de Cologne, das" der Artikel evaporiert wäre. Inzwischen denke ich, dieser Duft dürfte aus den goldenen Zwanzigern oder frühen Dreißigern stammen, als "der Franzose" zwar noch der Erbfeind war, aber jeder Schüler die französische Sprache noch so paukte, dass nichts selbstverständlicher auf der Welt war als dass "L'Eau" weiblich ist. Und dass somit das auf Russland verweisende deutsche Adjektiv sich im Genus nach dem französischen wässrigen Substantiv zu richten hat: "Die russische Kölnisch-Eau" eben, nicht anders als "Acqua di Colonia Russa" (und halt nicht Russo) von Santa Maria Novella. Womit wir bei einem anderen Duft wären, den ich nur allzu gerne in dieser Reihe besprechen würde - wenn ich ihn nur in die Hände bekäme!
Der Titel der Serie spielt natürlich auf die ehemalige römische Kolonie am Rhein an, Colonia Claudia Ara Agrippinensium, Geburtsstadt und Namensgeberin der Kölnischwässer, und jedenfalls Heimat auch von braunen Colognes wie Russisch Leder von Farina Gegenüber. Zugleich will der Name die Brücke schlagen zu den Einzelhandelsgeschäften, in denen überseeische Gewürze, Tabak, Kaffee, Kakao und derlei Waren feilgeboten wurden und die noch bis vor wenigen Jahrzehnten als "Colonialwarenladen" firmierten.
Rückversichernd sei hinzugefügt: Ich halte es für ausgemacht, dass das Leid und die Ungerechtigkeit, die mit der Errichtung von Kolonien (und deren wirtschaftlicher Ausbeutung etwa durch den Export von Kolonialwaren) einhergingen, und ebenso die Großverbrechen des Kolonialismus wie die Kongogräuel oder der Völkermord an den Herero nach der Schlacht am Waterberg, nie vergessen werden dürfen. Dass der Begriff der Kolonialwaren deshalb aus dem Wörterbuch zu tilgen wäre, glaube ich indes nicht.
Die Düfte von Harry Lehmann zu beschreiben, entspricht stets der Herausforderung eines Blindtests, da die Firma die Angabe einer Duftpyramide hartnäckig verweigert und sich mit kryptischen, oft genug merkwürdig wenig zum eigenen Duftempfinden passenden und die Verwirrung noch steigernden Kurzangaben (in diesem Fall: "balsamisch-tabacartig", aha) begnügt. Der Trick, bei Frau Toni zu lugen, die eine erkleckliche Menge Lehmänner im Parallelvertrieb (mit Pyramide!) verkauft, zieht hier sortimentbedingt nicht. Bleiben nur die eigene Nase und das gesetzlich vorgeschriebene, sich auf potenziell allergene Duftnoten fokussierende, Etikett auf dem Flakon.
Ich gebe der geschätzten Ttfortwo recht, Russische Eau de Cologne startet zitrisch. Darüber bin ich auch erleichtert, denn damit und mit der Bezeichnung als "Cologne" ist der gewährte Einlass in diese Serie schon so gut wie legitimiert. Diese ist allerdings, und darauf möchte ich pochen, keine gewöhnliche, womöglich noch bergamottig-nerolige, tradiditonskölnische, sondern eine schraubstockfest in stark braunwürzig-aromatische Noten verbaute Zitrik. Fast möchte ich mich festlegen: Die typische, leicht ziehende Zitrik als Auftakt eines Chypreakkords.
Der Duft hält hautnah enorm lange: gesplasht mindestens sechs Stunden, eher mehr. Das ist genug Zeit für eine gewisse Duftentwicklung, mindestens aber für ein Spiel von sich ändernden Geruchseindrücken. Bisweilen treten weiche, fast vanillige Noten hervor, meist imponiert Russische eindeutig frisch, fast sommerfrisch, und qualifiziert sich damit endgültig als würdiges Cologne. Die hier vielfach beschriebenen Kognaknoten kann ich nicht erkennen. Zeichnet sich der Duft durch die Ledernoten alten Stils (wie etwa in Knize Ten) aus? Ich zögere. Da ist eine Verwandtschaft, aber keine allzu enge. Vielleicht heißt der Duft nicht ohne Hintergedanken zwar "Russisch", aber eben nicht "Russisch Leder" oder "Russisch Juchten" wie so viele andere.
Diese kernige, männliche, etwas knarzige Frische foppt und vexiert mich; sie nimmt bisweilen fougèrige Gestalt an, nur um dann wieder umso eindeutiger als Chypre zu erscheinen (bisweilen meine ich die männlichere, kühlere Version von Alpas Chypre-Cologne zu riechen). Zum Glück bekomme ich keine Prämie fürs Festlegen: also beschränke ich mich darauf, dass wir hier einen etwas rätselhaften, aber sehr schönen, abgrundtief oldschooligen und doch überhaupt nicht langweiligen, krachend männlichen und doch auch an einer vornehmen Dame oder einem jungen Mädchen gut vorstellbaren Cologneduft vor uns haben. Und darauf, dass er nach Stunden, noch einmal sehr gewandelt, in einem sehr schönen Fond ausklingt, der für meine Nase als vorwitzig tonkierte Lavendelpudrigkeit daherkommt.
Nachdem Konsalik, Ttfortwo und Grenouille diesen Duft schon viel schöner beschrieben haben, muss ich, um diesen Kommentar zu rechtfertigen, noch zwei bisher ungelöste Menschheitsfragen zu klären versuchen:
Handelt es sich bei Russische Eau de Cologne um die verdünnte Version von Russisch Juchten? Ich neige nach einem Paralleltest dazu, die Frage zu verneinen. Die Düfte ähneln sich, ja, keine Frage, insbesondere kommt mir Russisch Juchten ebenfalls (und noch mehr sogar als der hier besprochene) als würziger Chypre daher. Sie dürften auch beide aus den Anfangsjahren des Dufthauses stammen, und die Inhaltsstoffe auf dem Etikett lesen sich verdächtig ähnlich (insbesondere leuchtet bei beiden Coumarin und Eichenmoos hervor und finden sich Citronellol und Limonene). Dennoch scheint es mir Unterschiede zu geben; das Cologne wirkt trockener und solider als das EdP und zudem, anders als jenes, ein bisschen holzig.
Wieso Russische Eau de Cologne und nicht Russisches Eau de Cologne? Zunächst dachte ich, wir hätten es mit einer Schwundform zu tun, bei der im Laufe der Jahrzehnte von "Das Russische Eau de Cologne" oder gar, wie in einem Lexikon: "Russische Eau de Cologne, das" der Artikel evaporiert wäre. Inzwischen denke ich, dieser Duft dürfte aus den goldenen Zwanzigern oder frühen Dreißigern stammen, als "der Franzose" zwar noch der Erbfeind war, aber jeder Schüler die französische Sprache noch so paukte, dass nichts selbstverständlicher auf der Welt war als dass "L'Eau" weiblich ist. Und dass somit das auf Russland verweisende deutsche Adjektiv sich im Genus nach dem französischen wässrigen Substantiv zu richten hat: "Die russische Kölnisch-Eau" eben, nicht anders als "Acqua di Colonia Russa" (und halt nicht Russo) von Santa Maria Novella. Womit wir bei einem anderen Duft wären, den ich nur allzu gerne in dieser Reihe besprechen würde - wenn ich ihn nur in die Hände bekäme!
23 Antworten