Womanity 2010 Eau de Parfum

Herbstblond
29.01.2021 - 03:23 Uhr
47
Top Rezension
10
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Meine Antiheldin

Womanity verfiel ich lange vor Parfumo.

Es war ein Sommer, der sich in die Seele brannte, ich verlor fast zeitgleich meine Oma, bei der ich aufgewachsen war, und meine Arbeit - letzteres war jedoch nicht schlimm, da mich die letzte Stelle körperlich und auch psychisch an meine Grenzen brachte. Nun war ich also erstmal ohne berufliche Perspektive, trauernd, und stand noch dazu im spitzen Scherbenhaufen einer langjährigen Beziehung, die ich schon vor langer Zeit hätte beenden sollen.

An einem dieser Tage sprühte ich mir in der Parfumerie Womanity auf, las ich doch in diversen Blogs, wie eklig der sein soll. Eklig, nein. Aber sehr, sehr anders. Dieser Duft möchte überhaupt nicht gefallen. Kein "Crowdpleaser", fast sogar "nischig" - Worte, von denen ich sehr viel später das erste Mal hier bei Parfumo las.
Ehrlich gesagt, ausschlaggebend für den Kauf war die sichtbar angeekelte Reaktion meines Damaligen.

Für ihn war es gar eine Provokation, dass ich mir ein Parfum zulegte, das er abstoßend fand. Schließlich hatte die Frau dem Mann zu gefallen.

Für mich jedoch war es eine kleine Revolution - ein erster Schritt, mich frei zu machen, frei von allem, was die Seele schwärzt, den kleinen, eingeschüchterten Vogel einsperrt. An diesem Tag schaute der Vogel das erste Mal zaghaft aus dem Käfig, auch wenn es noch etwas dauern sollte, bis er die Flügel ausbreitete und alles hinter sich ließ.

Womanity ist für mich viel mehr als nur ein Parfum. Es symbolisiert Stärke, Kraft, Mut, Widerstand - das Auflehnen gegen gesellschaftliche Konventionen, für Neuanfang.

Bezeichnenderweise ist das genau die Aussage der Kampagne, die Mugler damals lancierte. Womanity, ein Duft für Frauen unter Frauen, für die Gemeinschaft, den Zusammenhalt. Ein eindeutig feministischer Gedanke.
Frauen können so viel erreichen, wenn sie für ihre Rechte kämpfen, und es ist traurig, dass Gleichberechtigung in vielen Ländern dieser Welt auch heute noch ein frommer Wunsch ist.

Leider war die schöne Aussage hinter dem Duft der breiten Masse nicht zugänglich, ebenso wie der Duft selbst. Zu fremd, zu widersprüchlich die Komponenten, süß und salzig, gar fischig, las ich, oder sogar Assoziationen mit dem Geruch weiblicher Genitalien soll der eine oder andere gehabt haben - dazu sag ich nur, der Mensch sieht, was er sehen will (oder auch nicht) und riecht, was er riechen will.

Allein das Wort Kaviar in der Pyramide führt bei vielen im Gehirn zur Fisch-Verknüpfung.
Womanity riecht aber nicht fischig. Womanity riecht nach salziger Meeresbrise, süßlich, nach warmer Haut, holzig, und ja, es riecht auch metallisch, animalisch, ein wenig sexuell. Es ist jedoch das Zusammenspiel der Komponenten, die Womanity ausmachen, ich kenne keinen vergleichbaren Duft.
Haltbarkeit und Sillage sind nicht von dieser Welt.

Der Salzakkord ist mittlerweile in vielen Düften, aber als Womanity auf den Markt kam, da war es noch zu früh für solch olfaktorischen Avantgardismus, zumal er ja nicht exklusiv vermarktet wurde, sondern ganz normal in den Parfumerien der Innenstädte. Ich bin mir sicher, heute, unter einem nischigen Label, würde er sich gut verkaufen.

Leider findet man ihn in den Parfumerien nicht mehr, auch auf der Mugler Homepage muss man etwas suchen.
Mittlerweile hat L' Oréal die Rechte an Womanity, was über kurz oder lang das Todesurteil bedeuten dürfte, der Duft verkauft sich einfach nicht gut genug, zu unkonventionell für die heutige Zielgruppe.

Der Flakon, einst ein Kunstwerk, monumental futuristisch, ist nur noch in der 90ml Variante erhältlich und auch nicht mehr so schön verarbeitet. Das Metall war früher oxidiert und ergab ein wunderbares Muster, heute ist es nur noch langweilig silber.

Womanity ist für mich große Kunst, das war der letzte, echte Mugler.

Ein Duft wie eine schillernde Persönlichkeit, eine Art Freddy Mercury, den ich vergöttere, ebenso wie Womanity - das Symbol für meine Freiheit.

Heute trage ich ihn nur noch sehr selten, obwohl ich mir einen Vorrat angelegt habe, sicherheitshalber. Aber wenn ich ihn trage, dann bin ich gleich zehn Zentimeter größer, und fühle mich gewappnet für was auch immer der Tag bringen mag.

Irgendwie schade, dass er bei so vielen auf völlige Ablehnung stößt. Aber vielleicht ist das so, bei denen, die gegen den (Duft)Strom schwimmen, sie polarisieren, und irgendwann verschwinden sie, still und leise. Aber manchmal auch nicht. Dann schreiben sie Geschichte. Darauf hoffe ich.
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