14.10.2020 - 05:54 Uhr
Parfümlein
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Wertvoller Dachbodenfund - neues Licht auf Effi Briests Chinesen?
Beinah ähnlich euphorisch wie auf die kürzlich erfolgte Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke reagierte die literarhistorische Fachwelt auf den Dachbodenfund eines bislang völlig unbekannten Dokumentes zu A. O-Fu-Jing, der als gruseliger Chinese in das große Werk des Poetischen Realismus, "Effi Briest", Eingang fand. Obwohl man sich über die näheren Umstände sowohl des Fundes als auch des Inhaltes und der Urheberschaft bislang nicht vollständig im Klaren ist, gab der Verlag, auf dessen Dachboden das vergilbte Manuskript gefunden wurde, grünes Licht für einen Vorabdruck der in großer Eile und noch nicht vollständig übersetzten biografischen Aufzeichnung, die offensichtlich die Vorgeschichte des unglücklichen Chinesen in "Effi Briest" dokumentiert. Mit großer Freude präsentieren wir hier diese Übersetzung.
"Vor langer, langer Zeit lebte im fernen China ein [das Adjektiv ist leider einem Fleck alkoholischer Herkunft zum Opfer gefallen; Anm. d. Verf.] ... Chinese. Sein Name war O-Fu-Jing, was soviel bedeutet wie "Reich mal den Kakao rüber, Du Armleuchter" [an dieser Stelle herrscht noch Uneinigkeit über die korrekte Auslegung des einer älteren Sprachschicht entstammenden Mandarin, auch denkbar scheint eine Verballhornung des zärtlich hingehauchten "Ef-fi-chen", das aber an dieser Stelle und überdies wegen der fehlenden Vokalkongruenz keinen Sinn machen würde; Anm. d. Verf.]. Herr O-Fu-Jing wohnte in Shanghai, an der zwielichtigen Ecke (gibt es nicht nur in London). Herr O-Fu-Jing war kein glücklicher Mensch, denn er war Single. Seinen Single-Kummer ertränkte er jeden Abend in Gin Tonic. Single war natürlich nicht sein Beruf - in Wahrheit war er Bäcker, und durch diese Gabe hatte sein Unglück auch seinen Anfang genommen: Vor vielen, vielen Jahren hatte er sich in eine Engländerin verliebt, die auf der Suche nach einem anständigen Yoga-Kurs in den falschen Flieger gestiegen und in seiner Bäckerei gelandet war. Sie liebte seine Grapefruit-Mohn-Kekse und auch sein feines Vetiver-Parfum, und da Liebe bekanntlich durch den Magen und die Nase geht, verliebten sich der Single-Bäcker (das war er ja auch damals schon) und die yogabegeisterte Engländerin ineinander und sie machten einen ausgedehnten Landurlaub in ihrer Heimat. Dort tranken sie viele, viele Gin Tonic und waren sehr, sehr glücklich, doch wie das Schicksal es will, wurde die Engländerin, als sie eines Morgens ahnungslos in ihrem Cottage Garden nach ein wenig Bergamotte suchen wollte (sie wusste, dass es dort nicht wuchs, hatte den Traum eines mediterranen Gartens jedoch nie ganz aufgegeben, vor allem nachts nicht), von einem heruntersausenden Dachbalken ihres vierhunderteinundzwanzig Jahre alten Cottages erschlagen und ließ Herrn O-Fu-Jing für immer im Stich. Zu ihrer Beerdigung opferte er den Gewinn zweier Monate Grapefruit-Mohn-Kekse und ließ einige bezaubernde Ylang-Ylang einfliegen, die mitsamt dem von ihr sehr geliebten Osmanthus einen wunderbaren Duft über dem englischen Friedhof verströmten. Dann kehrte Herr O-Fu-Jing in seine Heimat zurück.
Dort sehen wir ihn nun, einen Verzweifelten, einsam und gebrochen in den illegalen Hinterhöfen des Kneipenviertels, zwischen den Opiumschmugglern und den Liebespaaren, und der geneigte Leser wird sich einer Träne des heiß empfundenen Mitleids nicht erwehren können, wenn er den Armen dort beobachtet, wie er träumt, tagein, tagaus, von seiner erloschenen Flamme. Immer mehr Gin Tonic trank der Unglückliche und immer näher rückte die Versuchung, sich den lasziven, dekadenten Vergnügen, die die schweren, würzigen Opiumschwaden verhießen, selbst hinzugeben, bis er schließlich einen Fuß in eine dieser geheimen Kneipen setzte, wo ihn ein warmsüßer, köstlich-fremder Duft von Kakao, von Karamell und Weihrauch empfing. Nun waren seine Zweifel hinfällig und er überließ sich ganz den Genüssen einer schweren, süßen Opiumpfeife und einer gewissen Liu und ihrem bezaubernden Ylang-Ylang-Parfum. All seiner Sinne beraubt, torkelte er frühmorgens zum Meer, wo er über einen riesigen Klumpen grauer Ambra stolperte. Nicht ahnend, welchen Fund er gemacht hatte, schlief er im kühlen Sand ein. Dort fand ihn kurze Zeit später der joggende [sic!] Matrose eines Handelsschiffes aus fernen Landen. Der Kapitän dieses Schiffes, Thomsen, nahm voller Fürsorge den fetten Klumpen Ambergris an sich und schenkte dem armen, unglücklichen Chinesen dafür ein neues Leben als Diener an seiner Seite [Während die Forschung sich über die Motive dieses Handelns noch nicht im Klaren ist, besteht an der neuen Bestimmung des Chinesen offensichtlich kein Zweifel, Anm. d. Verf.]. Das Schicksal führte die beiden zurück ins kleine ostpreußische Kaff Kessin, wo unser unglücklicher Herr O-Fu-Jing die Nichte des Kapitäns kennenlernte. Mehrmals buk er für sie seine unnachahmlich guten Grapefruit-Mohn-Kekse, nur dass er die Rezeptur seit dem Abend in der Kneipe ein wenig verändert hatte: Als besondere Zutat fügte er...[...]."
An dieser Stelle bricht das hochinteressante Zeugnis eines dramatischen Lebens leider ab, doch der Rest ist für treue Fontane-Fans ohnehin obsolet. Umso schöner ist es, dass sein Leben sich in einem außergewöhnlichen Duft widerspiegelt, der sich vom frischen Auftakt her immer mehr in Richtung zwielichtige Ecke entwickelt und dabei an fremdländischer Süße und Blumigkeit stets gewinnt, um in eine gelungene Ambra-Basis zu gleiten. Allein, um die olfaktorische Reise des armen Herrn O-Fu-Jing nachzuvollziehen, ist dieser Duft einen Versuch wert.
"Vor langer, langer Zeit lebte im fernen China ein [das Adjektiv ist leider einem Fleck alkoholischer Herkunft zum Opfer gefallen; Anm. d. Verf.] ... Chinese. Sein Name war O-Fu-Jing, was soviel bedeutet wie "Reich mal den Kakao rüber, Du Armleuchter" [an dieser Stelle herrscht noch Uneinigkeit über die korrekte Auslegung des einer älteren Sprachschicht entstammenden Mandarin, auch denkbar scheint eine Verballhornung des zärtlich hingehauchten "Ef-fi-chen", das aber an dieser Stelle und überdies wegen der fehlenden Vokalkongruenz keinen Sinn machen würde; Anm. d. Verf.]. Herr O-Fu-Jing wohnte in Shanghai, an der zwielichtigen Ecke (gibt es nicht nur in London). Herr O-Fu-Jing war kein glücklicher Mensch, denn er war Single. Seinen Single-Kummer ertränkte er jeden Abend in Gin Tonic. Single war natürlich nicht sein Beruf - in Wahrheit war er Bäcker, und durch diese Gabe hatte sein Unglück auch seinen Anfang genommen: Vor vielen, vielen Jahren hatte er sich in eine Engländerin verliebt, die auf der Suche nach einem anständigen Yoga-Kurs in den falschen Flieger gestiegen und in seiner Bäckerei gelandet war. Sie liebte seine Grapefruit-Mohn-Kekse und auch sein feines Vetiver-Parfum, und da Liebe bekanntlich durch den Magen und die Nase geht, verliebten sich der Single-Bäcker (das war er ja auch damals schon) und die yogabegeisterte Engländerin ineinander und sie machten einen ausgedehnten Landurlaub in ihrer Heimat. Dort tranken sie viele, viele Gin Tonic und waren sehr, sehr glücklich, doch wie das Schicksal es will, wurde die Engländerin, als sie eines Morgens ahnungslos in ihrem Cottage Garden nach ein wenig Bergamotte suchen wollte (sie wusste, dass es dort nicht wuchs, hatte den Traum eines mediterranen Gartens jedoch nie ganz aufgegeben, vor allem nachts nicht), von einem heruntersausenden Dachbalken ihres vierhunderteinundzwanzig Jahre alten Cottages erschlagen und ließ Herrn O-Fu-Jing für immer im Stich. Zu ihrer Beerdigung opferte er den Gewinn zweier Monate Grapefruit-Mohn-Kekse und ließ einige bezaubernde Ylang-Ylang einfliegen, die mitsamt dem von ihr sehr geliebten Osmanthus einen wunderbaren Duft über dem englischen Friedhof verströmten. Dann kehrte Herr O-Fu-Jing in seine Heimat zurück.
Dort sehen wir ihn nun, einen Verzweifelten, einsam und gebrochen in den illegalen Hinterhöfen des Kneipenviertels, zwischen den Opiumschmugglern und den Liebespaaren, und der geneigte Leser wird sich einer Träne des heiß empfundenen Mitleids nicht erwehren können, wenn er den Armen dort beobachtet, wie er träumt, tagein, tagaus, von seiner erloschenen Flamme. Immer mehr Gin Tonic trank der Unglückliche und immer näher rückte die Versuchung, sich den lasziven, dekadenten Vergnügen, die die schweren, würzigen Opiumschwaden verhießen, selbst hinzugeben, bis er schließlich einen Fuß in eine dieser geheimen Kneipen setzte, wo ihn ein warmsüßer, köstlich-fremder Duft von Kakao, von Karamell und Weihrauch empfing. Nun waren seine Zweifel hinfällig und er überließ sich ganz den Genüssen einer schweren, süßen Opiumpfeife und einer gewissen Liu und ihrem bezaubernden Ylang-Ylang-Parfum. All seiner Sinne beraubt, torkelte er frühmorgens zum Meer, wo er über einen riesigen Klumpen grauer Ambra stolperte. Nicht ahnend, welchen Fund er gemacht hatte, schlief er im kühlen Sand ein. Dort fand ihn kurze Zeit später der joggende [sic!] Matrose eines Handelsschiffes aus fernen Landen. Der Kapitän dieses Schiffes, Thomsen, nahm voller Fürsorge den fetten Klumpen Ambergris an sich und schenkte dem armen, unglücklichen Chinesen dafür ein neues Leben als Diener an seiner Seite [Während die Forschung sich über die Motive dieses Handelns noch nicht im Klaren ist, besteht an der neuen Bestimmung des Chinesen offensichtlich kein Zweifel, Anm. d. Verf.]. Das Schicksal führte die beiden zurück ins kleine ostpreußische Kaff Kessin, wo unser unglücklicher Herr O-Fu-Jing die Nichte des Kapitäns kennenlernte. Mehrmals buk er für sie seine unnachahmlich guten Grapefruit-Mohn-Kekse, nur dass er die Rezeptur seit dem Abend in der Kneipe ein wenig verändert hatte: Als besondere Zutat fügte er...[...]."
An dieser Stelle bricht das hochinteressante Zeugnis eines dramatischen Lebens leider ab, doch der Rest ist für treue Fontane-Fans ohnehin obsolet. Umso schöner ist es, dass sein Leben sich in einem außergewöhnlichen Duft widerspiegelt, der sich vom frischen Auftakt her immer mehr in Richtung zwielichtige Ecke entwickelt und dabei an fremdländischer Süße und Blumigkeit stets gewinnt, um in eine gelungene Ambra-Basis zu gleiten. Allein, um die olfaktorische Reise des armen Herrn O-Fu-Jing nachzuvollziehen, ist dieser Duft einen Versuch wert.
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