Chimo
18.03.2021 - 13:52 Uhr
24
Top Rezension
9
Preis
7
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
7.5
Duft

Der Aufschneider

Es liegt eine Wehmut in Parfums, die ihrem Wesen innewohnt. Sie entfernen sich in dem Moment, wo sie zu uns kommen. Wenn ihre Schönheit besonders groß ist, sterben sie längst wie die Blumen in der Vase. Sie verabschieden sich in die Luft. Vielleicht ist das die Melancholie, die ich hier oft spüre. Wir wollen es festhalten.

Als ich gestern morgen zum ersten Mal diesen Duft aufgesprüht habe, wusste ich sofort, dass er sich diesem zärtlich schönen Kummer verweigern will. Er hat es vom ersten Moment an mitgeteilt. Eine seltsame Präsenz außen und eine verwirrende Genugtuung innen stellten sich ein. Ich ging unter Bäumen, und er war da. Ich saß am Schreibtisch, und er war da. Ich stand an der Supermarktkasse, und er war da. Abendessen, Zähneputzen, Lesen. Immer wieder Präsenz. Der Duft winkte mir zu, und manchmal schnalzte er mit dem Finger wie in der Schule bei einer dringenden Wortmeldung.

Es war eine Raumeroberung, und zu all dem kam noch ein anderes Erlebnis hinzu. Es war die Begegnung mit einem Hybridwesen. Denn Casino Elixir 2.0 ist nicht nur ein Duft, sondern zwei. Er kreuzt zwei bekannte Parfums als das Ergebnis einer Labormöglichkeit. Aventus und Baccarat Rouge 540. Man sieht förmlich Menschen in weißen Kitteln schmunzeln, weil sie es geschafft haben uns zu verwirren.

Zuerst ist da dieser konvexe Silberakkord, den wir von Aventus kennen. Rasch breitet sich schillernd der bekannte Johannisbeerfougere aus mit dem Pinselstrich eines Third Hand Smoke, der Raucher*innen in den Klamotten hängt. Aber man glaubt es kaum, es schiebt sich mehr und mehr diese medizinische Zuckerwatte von Baccarat Rouge ins Bild. Und so steht man da in einem mal interessanten, mal verwirrenden bipolaren Dufterlebnis.

Ich habe mich sofort gefragt, ob das nun raffiniert ist oder ein Horrorclown aus dem Chemiebaukasten. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob nicht auch dieser Duft dafür verantwortlich war, dass ich heute Nacht um 2.49 Uhr aufgewacht bin. Er war auf jeden Fall da. Fast hätte ich geschaut, ob ein roter Luftballon unter dem Bett liegt.

Es ist Segen und Fluch zugleich bei Dua Düften, dass sie uns ihre Aufdringlichkeit schenken. Interessant ist allemal, dass sie so klar sind. Sie trennen die Farben im Malkasten sehr kontrolliert. Da ist kein Herumpinseln, durch das sich Mischtöne einschleichen (oder sogar dieses seltsame Wasserfarbenbraun, das wir aus dem Kindergarten kennen). Das Konzept der Firma scheint Trennschärfe aus dem Chromatographen zu sein. Es ist die digitale Hochauflösung bekannter Parfums. Ein einwandfrei reproduziertes Bild, in dem die Kontraste und Farben hochgedreht wurden. Es ist ein bisschen wie im Iphone, wenn man zu stark an den Foto-Filtern dreht.

Gleichzeitig sparen sie nicht an den Duftstoffen. Es ist ja nicht besonders teuer, einen größeren Schluck aus dem Zutatenbottich in die Flakons zu schütten, und sicher liegt auch darin der Erfolg der Marke begründet. Man fragt sich gleichzeitig, warum die Hersteller der Originale oft so zurückhaltend sind.

Vielleicht liegt es daran, dass diese berechnende Hochdosierung auch beklemmend sein kann. Es ist schnell von allem zu viel. Eine bunte Neonreklame. Will man das?

Am Ende habe ich etwas gelernt. Als ich heute nach dem Duschen ein normales Eau de Toilette aufgetragen habe, kam es mir in den Sinn. Vielleicht ist es ganz einfach.

Zurückhaltung ist Lächeln. Aufschneider grinsen.
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