Die Kultur der Nassrasur – Ein Beitrag zur Entschleunigung, Taylor of Old Bond Street

Eine angenehme Überraschung für mich war es, Taylor of Old Bond Street mit ihrem Angebot an Rasur- und Pflegeartikeln auf der GAoP anzutreffen.

Die Nassrasur erlebt seit Jahren eine Renaissance, insbesondere mit den traditionellen Gerätschaften wie Rasierhobel, Messer und Rasierpinsel. Es gibt hierzu bereits einschlägige Internetforen und in denen geht es nicht einzig um Klingen, Hobeltypen, Pinseln und Rasiermesser. Der so genannten „Software“ wird ebenfalls ein breiter Platz eingeräumt - den Rasierseifen und Creams, Preshaves, Aftershaves, also allem, was zu einer optimalen Rasur beitragen kann und der Haut ein Gefühl von Frische und Gepflegt sein verschafft, und natürlich gut duftet.

In Anbetracht moderner Multiklingen-Systeme und elektrischer Ultraschall Rasierer mag dieser Rückgriff auf längst überholt erscheinende Rasurtechnik wie Messer und Hobel antiquiert wirken, da sie doch verhältnismäßig aufwändig ist und Übung benötigt. Für meinen Vater und die erwachsenen Männer zu Zeiten meiner Kindheit, aber auch für mich in den Jahrzehnten später, war die Rasur in der Regel doch eher ein lästiges Übel. Hilfreich und gefragt war also, womit diese Prozedur schnell, sicher und preiswert erledigt werden konnte.

Als 1854 Jeremias Taylor in der Londoner Bond Street seinen Barbiersalon eröffnete, war die Rasur mit dem Messer noch die gängige Methode. Viele Männer scheuten aber diesen Aufwand und so war es üblich, sich vom Barbier oder Friseur rasieren zu lassen. Damals musste man sich nun mal für eine Rasur Zeit nehmen, aber eine scharfe Klinge und eine geschickte Hand alleine genügten damals wie heute nicht für eine gründliche, sanfte und pflegende Rasur. Was wäre eine Nassrasur ohne die Vorbereitung der Haut mit warmen Kompressen, ohne die Preshave-Öle für ein gutes Gleiten der Klinge, ohne einen feinporigen, stabilen und Feuchte haltenden Schaum und ohne wohlriechende und adstringierende Lotionen, Gels und Balsame für die Pflege nach der Rasur?

So entwickelte Taylor seine eigenen Pflegemittel und er legte hier besonderen Wert auf pflanzliche Ingredienzen.

Unterdessen suchten findige Köpfe nach Möglichkeiten, die Rasur sicherer und einfacher zu gestalten. 1901 kam erstmals ein von King Camp Gillette und seinem Partner entwickelter Rasierhobel mit Doppelschneidenklingen aus dünnem Bandstahl auf den Markt – der Rasierhobel, wie wir ihn heute kennen. Die Klinge musste nicht mehr abgezogen werden, sondern konnte gegen preiswerte Ersatzklingen getauscht werden. Den gängigen Quellen zu Folge, wurden von der Gillette Company 1904 bereits 90.000 Hobel und 10.000 Ersatzklingenpäckchen.

1917 trat die USA in den Ersten Weltkrieg ein. An den Fronten gehörte die Gasmaske zum überlebenswichtigen Teil der Feldausrüstung. Für ihren dichten Sitz war eine glatt rasierte Haut nötig. Gillette machte den großen Deal und belieferte die Army exklusiv mit ihren Rasierern. So erhielten 3,5 Millionen Männer einen Rasierhobel.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn der Barber-Shop mit der Zeit von der Masse der Männer immer seltener aufgesucht wurde und zu etwas wurde, das sich Mann nur gelegentlich gönnte.

Was aber weiterhin blieb, war der Bedarf an Rasier-Utensilien und Pflegemitteln. Taylor eröffnete aufgrund der Nachfrage in London ein weiteres Geschäft in der Jermyn Street und baute seinen Vertrieb aus.

In den Nachkriegsjahrzehnten wurden bei der Entwicklung des Rasierhobels weitere Meilesteine gesetzt. So wurde an der Möglichkeit gearbeitet, den Klingenwechsel einfacher zu gestalten. Gillette entwickelte für seine Modelle das „Twist To Open“ System (TTO). Beispiele hierfür sind die verschiedenen „Super Speed“ Modelle aus den 1940er und 1950er Jahren. Einen weiteren Komfort boten schließlich die „Adjustables“, bei denen erstmals die Möglichkeit bestand, den Klingenspalt durch einen Drehmechanismus zu verändern und den Hobel dem individuellen Bartwuchs anzupassen.

Das „Goldene Zeitalter“ der Rasierhobel lag sicher zwischen dem Ende der 1940er und den frühen 1960er Jahren. Wenn man die heutigen Konstruktionen mit den damaligen vergleicht, wird man einräumen müssen, dass bereits vor Jahrzehnten das Thema Rasierhobel technisch auf einem hohen Stand und nahezu ausgereizt war. Schließlich greifen heute nahezu alle Hersteller auf die seinerzeit gemachten Erkenntnisse und Konstruktionsmerkmale zurück. Die heutigen Rasierhobel unterscheiden sich gelegentlich noch im Design der Griffe und im Material von ihren historischen Vorbildern. Anstelle von vernickeltem oder verchromtem Messing wird nun auch Edelstahl verwendet.

In den 1950er und mehr noch in den 1960er Jahren wurden die elektrischen Rasierer immer populärer. Der Elektrorasierer bot noch mehr Sicherheit und ersparte eine aufwändige Rasurvorbereitung. Die Hersteller von Nassrasierern hielten mit Dosenschaum und mit Multiklingensystemen dagegen. Es entstand eine Art Wettstreit der Systeme – „trocken“ vs. „nass“.

Beide Seiten preisen ihre Systeme als sicher, einfach, gründlich, sanft und Zeit sparend an. Umso erstaunlicher ist es daher, dass viele Benutzer von Multiklingensystemen und Elektrorasierern nunmehr einen scheinbaren Rückschritt zu Messer und Hobel machen. Gut, blank polierte Messerklingen und Rasierhobel die eher wie ein Tool wirken und an denen Mann herumschrauben kann – diese Dinge üben eine gewisse Faszination aus. Reicht das als Erklärung für das wachsende Interesse an der traditionellen Rasurtechnik?

Hier schließt sich für mich der Kreis. Wenn ich mich unter Männern, die sich von Dosenschaum und System- oder Elektrorasierern abgewendet haben oder auch von mir selbst aus gehe, so spielt der Faktor Zeitersparnis keine Rolle mehr. Im Gegenteil, Mann nimmt sich Zeit. Die Rasur wird zum Entschleunigungsritual. Mann gönnt sich eine kleine Auszeit für die Rasur. Dazu gehören hochwertige Produkte für die Vorbereitung und die Pflege, und sie müssen angenehm Duften – aber da hat ja jeder seine eigenen Vorlieben. Schön, wenn es also eine Auswahl gibt.

Taylor of Old Bond Street – ein Beitrag zur Entschleunigung.

Gerry für ParfumoBlog von der Global Art of Perfumery 2012 / Düsseldorf

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