Zu Besuch bei Micallef

Es ist früher Nachmittag eines Hochsommerfreitags in Grasse. Die gesamte Duftstadt atmet drückende Hitze und die Ausdünstungen der Menschen reichen von seifiger Gewaschenheit über auffällig schrilles Touristenparfum, frisches EdC und unpassend schweres Abendparfum zu langsam versagendem Deodorant und vom Schweiß bereits gestern überwundenem Deodorant. Auch die Stadt selbst steuert ihre Ausdünstungen bei: Eine Gasse der Altstadt wird im Minutentakt mit Veilchenduft aus über den Köpfen gespannten kleinen Schläuchen besprüht und Tröpfchen davon fallen in unsere Tassen mit Café au Lait, während wir kurz in einem Straßen-Café verschnaufen. Gleich sind wir verabredet mit Martine Micallef und Geoffrey Nejman im Werks- und Bürogebäude von Micallef, ein paar Minuten außerhalb des Stadtzentrums in einem Vorort. Sie haben uns eingeladen auf der GAoP-Messe in Düsseldorf im April, als wir erwähnten, dass wir im Sommer in der Provence sein würden. Die liebenswürdige Herzlichkeit der beiden wollen wir jetzt im Business-Alltag kennen lernen und Einblicke in die Parfumerie gewinnen, von denen uns die schöne Innenstadt Grasses nichts erzählen kann. Wir schauen auf die Uhr, während über uns ein „Pfffft“ die nächste Veilchendosis ankündigt: Los geht’s.

Die Micallef-Räume teilen sich ein schmuckloses Haus mit anderen Firmen. Erst der Blick zur hinteren Seite zeigt ein großes, schönes Metalltor mit bronzenem Micallef-Schriftzug, das die Hofeinfahrt verschließt und Gästen Zugang gewährt. Es öffnet sich für uns. Wir treffen in der angenehm kühlen Halle ein Grüppchen merklich gut gelaunter Leute, die sofort unseren (ordentlich unter der Hitze leidenden und hechelnden) Hund mit Wasser, Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten versorgen und uns einen groben ersten Überblick geben. Ein imposantes Lager beherbergt hektorliterweise Parfum auf meterhohen Regalen, in einem weiteren Raum finden Abfüllung, Flakon-Fertigstellung und Verpackung statt und dahinter sind Büroräume. Sofort kommt auch Martine Micallef aus den Fertigungsräumen, wo sie gerade damit beschäftigt ist, selbst und von Hand Verzierungen auf Flakons aufzukleben und zu signieren. Sie ist genauso hübsch und einnehmend, wie wir sie in Düsseldorf erlebt haben und lädt uns ein, alles zu besichtigen und mit der Marketingmanagerin Sandrine, mit ihr selbst und mit ihrem Gatten Geoffrey nach Herzenslust neugierig zu sein und hinter die Kulissen zu schauen.

Sandrine erzählt uns, dass neben den vielen anstehenden routinierten Arbeiten gerade alle Energie verwandt wird auf den Launch des neuen Duftes „Ylang in Gold“. Den blumig-sahnigen Duft mit dem feinen Glitzerpuder in der Parfumflüssigkeit konnten wir auf der GAoP testen und lernen jetzt seine dunkel-vanillige späte Basis kennen, als Sandrine uns an ihrem Handgelenk riechen lässt. Mit leuchtenden Augen erzählt sie, wie sehr sie und ihr Team selbst bezaubert sind von den Düften, die sie herstellen und vertreiben. Wir erzählen ihr von Parfumo, zeigen es ihr auf ihrem Laptop und freuen uns, wie sehr diese Möglichkeit zum Kontakt mit der Kundschaft sie interessiert. Die Meinungen und Erfahrungen zu Micallef-Düften direkt und quasi persönlich erfahren zu können sei sehr wertvoll für das Marketing, erzählt uns Sandrine, die ihr Schuldeutsch und die Unterstützung des deutschen Micallef-Vertreibers nutzen will, um Parfumo ausgiebig zu studieren.

Geoffrey Nejman holt uns in ihrem Büro ab, wo der Hund dankbar auf Sandrines Teppich liegen bleibt, und führt uns durch die Fertigungsräume. Mit seinem sehr guten Deutsch erklärt er uns, was an den verschiedenen Arbeitsstationen passiert. Die Abfüllung findet unter einem ausgeklügelten Belüftungssystem statt, „Sonst wären die Leute, die das machen, nach kurzer Zeit volltrunken allein durch das dauernde Einatmen der alkoholhaltigen Luft.“ erklärt er grinsend. 30 Liter-Plastikkanister werden an eine Pumpe angeschlossen, mit der dann die Flakons befüllt werden, um danach mit einem Vaporisateur-Aufsatz verschlossen zu werden. Auf dem Tisch stapeln sich palettenweise die Kartons mit frisch abgefülltem Parfum. Gerade wird der neue Leder-Vanille-Duft „Vanille Cuir“ abgezapft und fertig gestellt. Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, auch gerade Martine Micallef selbst, sind beschäftigt mit dem Gestalten der Flakons. Wir sind überrascht, dass tatsächlich jeder einzelne kleine Swarowski-Stein von Hand aufgeklebt wird! Jeder Schriftzug, jede Flakondekoration und jede Verzierung der Verpackung wird nach Martines Vorgaben genau angebracht und sie selbst steht im Moment sehr konzentriert vor einer Unmenge an frisch abgefüllten Flakons, um jeden einzelnen zu verschönern. Im Lager kommen wir aus dem Staunen nicht raus, als uns Geoffrey Nejman durch die Reihen der hohen Regale führt. Auf Zetteln an der Vorderseite steht der jeweils gelagerte Duft: „Aoud“, „Mon Parfum“, „Jewel“ und so weiter; lange Reihen von unglaublichen Litermengen. Hinter jedem Zettel sind viele, sehr viele Flakons. Wir müssen uns klar machen, dass das ein Nischenlabel ist und können uns gar nicht vorstellen, wie ein Lager von viel breiter vertriebenem Parfum im Mainstreambereich aussehen muss. Geoffrey Nejman zeigt uns auch das Büro seiner Frau mit einer großen Regalwand von allen jemals produzierten Flakons. Von jedem steht da ein Beispielexemplar. Beeindruckend. Wir sehen auch „work in progress“, wo von ihr gerade an einem Flakondesign getüftelt wird und Testexemplare neben Entwürfen auf Papier zu sehen sind, während verschiedene Farben, Schriftzüge und Bilder nebeneinander an der Wand hängen. Ein lebhafter, kreativer Arbeitsplatz, der bei aller Ordnung in der großen Buntheit, sehr zwanglos wirkt.

Danach sitzen wir mit ihm in seinem Büro und er spricht über das Parfummachen. Bisher war er charmant, freundlich und souverän. Ein perfekter, zuvorkommender Gastgeber. Jetzt aber sehen und hören wir auch seine Leidenschaft, merken, wie viel Herzblut und wirkliche Hingabe von ihm und Martine hinter allem steht, was wir besichtigen konnten. Er spricht über den kreativen Prozess, über die Bedeutung, dass er frei von Vorgaben das machen kann, was ihm wichtig ist und dass der schöpferische Weg den Paares Micallef-Nejman nur von ihnen selbst bestimmt wird. Das Künstlerische der Arbeit betont er mit Nachdruck: „Wir wollen gar nicht wissen, was Mode und Markt gerade vorgeben. Wir machen etwas anderes hier.“ Als wir an zwei Parfums riechen, die erst im nächsten Jahr erscheinen werden (das eine davon aktuell noch namenlos), bekommen wir den Hauch einer Ahnung, wo die Reise hingeht. Der neben Parfum auch an anderen Genüssen wie Wein und gutem Essen interessierte Geoffrey Nejman spricht von der enormen Unterstützung, die der Parfumeur Jean Claude Astier als Profi-Nase in die Arbeit von Martine Micallef und Geoffrey Nejman einbringt, dort, wo zusätzlich zu ihren künstlerischen Ideen noch die parfumistische Spezialexpertise und Technik dazu kommen müssen, um aus einer Duftidee ein fertiges, herstell- und handelbares Parfum zu machen. "Jean Claude hat das Parfumeurshandwerk von der Pike auf gelernt, Martine und ich habe mit unseren Hintergründen andere Perspektiven. Zusammen erschaffen wir etwas wirklich Neues." Er erzählt von seinen persönlichen Duftvorlieben, von Ingredienzien, die er besonders spannend findet und von der großen Oud-Mode, die 2003 von Micallef ausgelöst wurde - der erste europäische Duft, in der Oud als zentrale und charakteristische Note Verwendung fand, war „Rose Aoud“. Martine Micallef und Geoffrey Nejman waren die ersten, die sich der bis dahin noch so fremden und unerschlossenen Note detailliert gewidmet haben. Geoffrey Nejman berichtet von seinen persönlichen Oud-Erfahrungen und gibt uns dann etwas reines Oudöl zu riechen, dass Micallef exklusiv für einen arabischen Adligen akquiriert. Welch grandioses, eindrückliches Dufterlebnis! Auf die Frage, welche Micallefdüfte er selbst regelmäßig benutzt, antwortet er ohne zu zögern „Shanaan“ und „Gaïac“. Bei der Antwort auf die Frage, welches Parfum der Parfumgeschichte er am meisten bewundert, überlegt er kurz und sagt dann, dass er „Eau Sauvage“ richtungsweisend findet und sehr schätzt.

Nach diesem langen. persönlichen und aufschlussreichen Gespräch wecken wir den schlafenden Hund, bedanken uns bei Geoffrey Nejmann und Martine Micallef für ihre Offenheit, Freundlichkeit und die tolle Erfahrung, die wir machen durften. Wir werden sehr großzügig beschenkt und bekommen noch viele, ehrlich liebe und herzliche Grüße für Parfumo mit auf den Weg.

Auf der Heimfahrt zu unserem Ferienhaus sind wir uns einig: Die sind wirklich so unglaublich nett, wie sie auf der Messe wirkten. Das ist keine Fassade, sondern genau das, was wir in den letzten Stunden in ihrem tatsächlichen Alltag in Grasse erleben konnten. Ja. Das ist echt.

Und seit diesem schönen Endjunitag meinen wir, sogar ein ganz winzig kleines bisschen davon in Micallefdüften riechen zu können.

Ein wenig Liebe kommt irgendwie mit in die Flakons rein.

Louce und Ronin für ParfumoBlog

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