Pionier in Sachen Tee-Duft - Palais Jamais von Etro

Man versuche sich - rein olfaktorisch – in das Jahr 1989 zurück zu versetzen: Schwaden üppigster Damendüfte wie „Coco“ oder „Poison“, aber auch süß-animalische oder ‚Lenor’-frische Schwergewichte wie „Kouros“ bzw. „Cool Water“ umwölkten unsere Sinne, und da, zwischen all diesen Duftgiganten – man hatte es halt gerne laut, manchmal schrill, vor allem aber ausladend – kommt aus Italien ein kleines Unternehmen um die Ecke, berühmt für seine Stoffe (vor allem deren Paisley-Muster) und bringt ein kleines aber feines Duft-Portfolio mit, das seltsam aus der Zeit gefallen scheint: Düfte, die uralte Klassiker neu interpretieren („Gomma“), Düfte aus der guten alten Hippie-Zeit („Ambra“, „Sandalo“ und „Patchouly“) und solche, die weit in die Zukunft weisen („Vetiver“ und „Palais Jamais“). Typische 80er-Jahre-Gewächse suchte man in dieser exzellenten neuen Duftreihe vergebens. Noch dazu kamen einige in Eau-de-Cologne Konzentration – eine weitere, vermutlich ganz bewusste Abkehr vom damals typischen Mainstream der ‚concentrée’, ‚privé’, ‚reserva’, ‚forte’, bzw. der neu-eingeführten Parfum-de-Toilette oder Eau-de-Parfum-Varianten.

So positionierte sich Etro in Sachen Duft recht geschickt zwischen Designer- und Nischenwaren, zwischen Tradition und Avantgarde, sowie zwischen Exklusivität und normal gefülltem Geldbeutel, ohne je vom Massenmarkt und dessen Dynamik vereinnahmt zu werden.

„Palais Jamais“ gehört, wie gesagt, zu den eher innovativen Düften des Hauses: ein feiner, rauchig-ledriger Chypre-Duft mit deutlich wahrnehmbaren Jasmin-Tee-, sowie dezenten Salbei-Nuancen im Herzen, beginnend mit einem frischen, bitter-fruchtigen Auftakt und in einem grün-grasig-moosigem Finish endend.

Bergamotte, Birkenteer und Eichenmoos lassen gemeinsam eine Art Cuir-de-Russie-Reminiszenz aufscheinen, die allerdings im Zusammenspiel mit den rauchigen Tee-Noten und den grünen Vetiver-Akzenten im Fond ein gänzlich neues Gesicht bekommt.

Überhaupt waren Düfte mit deutlichen Tee-Aromen damals noch weitgehend unbekannt: Bulgaris „Eau Parfumée au Thé Vert“, Artisans „Tea for Two“ oder auch Annick Goutals „Eau du Fier“ entstanden erst Jahre später. Der Duft von Etro war somit eine Art Vorreiter dieser Gattung, ein Pionier unter den bald allseits beliebten Tee-Düften.

„Palais Jamais“ allerdings allein unter dem Begriff ‚Tee-Duft’ zu verorten würde ihm nicht ganz gerecht – er ist mehr, viel mehr, denn die grünen, die bitter-fruchtigen und die rauchig-ledrigen Komponenten charakterisieren den Duft mindestens ebenso, wenn nicht gar mehr, aber sie bilden ein gewissermaßen traditionelles Gerüst, auf dem sich die Tee-Nuance als avantgardistisches i-Tüpfelchen in Szene setzen kann.

Heute mag „Palais Jamais“ im Kreise all der eben genannten Düfte - und vieler mehr – nicht mehr gar so zukunftsweisend wirken, ja, die Zukunft hat ihn im Grunde schon längst eingeholt - aber, wie gesagt, man bedenke in welcher Zeit und in welchem Umfeld er entstand!

Kreiert wurden die frühen Etro-Düfte und somit auch „Palais Jamais“ von dem in Grasse ansässigen Unternehmen ‚Robertet’, und vermutlich auch von dem wohl bekanntesten für diese Firma tätigen Parfumeur: Jacques Flori. Für „Palais Jamais“ ist Monsieur Floris Autorenschaft zwar nicht verbürgt, kann aber durchaus angenommen werden, zumal später entstandene und ihm zugerechnete Etro-Düfte wie „Shaal Nur“ oder „Messe de Minuit“ eine ähnliche Handschrift aufweisen.

Vor einiger Zeit – das nur der Vollständigkeit halber – wurde der Duft, wie vermutlich alle halbwegs alten, oder älteren Düfte, einer notwendig gewordenen Reformulierung unterzogen, mit ausnahmsweise recht positivem Ergebnis: der Duft hat zwar etwas an Volumen eingebüßt, dürfte aber durch seine nunmehr etwas frischere, transparentere Aura leichter als zuvor Bewunderer mehr finden.

Ansonsten ist „Palais Jamais“ delikat wie eh und je: ein eleganter und anspruchsvoller, ledrig-grüner, nur leicht würziger Chypre-Duft mit einer charakteristischen Tee-Note.

Für all jene (Männlein wie Weiblein im Übrigen, der Duft ist absolut unisex), die Annick Goutals „Eau du Fier“ nachtrauern, denen „Duel“ aus demselben Hause zu brav ist, die Bulgaris „Eau Parfumée au Thé...“-Reihe zu flüchtig empfinden, für alle Liebhaber von Chypre-Düften im Allgemeinen und klassischen Cuir-de-Russie-Düften im Besonderen, für all jene könnte „Palais Jamais“ etwas sein.

Diejenigen aber, die orientalische Wärme und Vanille-geschwängerte Süße erhoffen: Hände, respektive Nasen weg: dieser Duft ist grün, trocken, rauchig und ledrig. Allein ein wenig Restsüße, ein kleines Stückchen Zucker im Tee vielleicht, oder die unaufdringliche Fruchtsüße der zitrischen Noten, mildert das herbe Geschehen.

Haltbarkeit und Abstrahlung bewegen sich im akzeptablen Bereich, der Duft ist ebenso wenig ein Leisetreter wie ein überlauter Rabauke, er exponiert den Träger aufgrund seines charaktervollen Auftritts ein wenig (was ihn nicht unbedingt alltagstauglich macht), aber er überfordert das Umfeld nicht wirklich (was ihn wiederum zu einem Kandidat für besondere Anlässe macht).

Bleibt die Frage: was bedeutet der Name „Palais Jamais“?

Nun, angeblich stand ein marokkanisches Gebäude gleichen Namens Pate für diesen Duft. Gefunden habe ich aber nur ein ‚Palais Jamaï’ in Fès, ein 5 Sterne Hotel-Palast in maurischem Stil und von sehr schönen, malerischen Gärten umgeben.

Vielleicht war dies ja tatsächlich der Ort, der den Duft inspirierte und ihm seinen Namen lieh.

Einer der schönsten und interessantesten Etro-Düfte.

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