Konzentrische Kreise

Einer kleinen Tradition folgend, habe ich mir anlässlich meines letzten Kommentars in diesem Jahr wieder besondere Gedanken um einen Duft für den Altjahrsabend gemacht. Vermutlich greifen wir alle heute nicht einfach in den Schrank, sondern wählen den Duft, den wir in dieser Nacht tragen wollen, mit Bedacht.

In meinem Fall kam allerdings gar nichts anderes in Frage als der selbe Duft, den ich bereits an Weihnachten trug: Ormonde Jayne Man. Seit dem letzten Parfumo-Treffen in Frankfurt, an dem ich diesen Duft, der mir in der Vergangenheit bei einem ersten Test schon einmal ausnehmend gut gefallen hatte, wiederentdeckte, bin ich von dieser Komposition restlos begeistert.

Beginnen wir die Beschreibung des Duftes mal - anders als gewohnt - aus seinem Zentrum heraus, quasi dem Innenkreis, der zuerst entsteht, wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird, in dem aus meiner Sicht die Tanne dominiert: tannengrün, nicht harzig, sondern fast balsamisch, holzig, ungeheuer sanft trotz des grünes Grundeindrucks.

Oud-Skeptiker wie ich sollten sich hier nicht schrecken lassen. Oud ist kaum erkennbar, sorgt vielleicht nur für einen runden, dunklen Nachhall. Es wäre geradezu spannend zu wissen, wie der Duft riechen könnte, wäre das Oud nicht enthalten: fast gleich - oder ganz anders? Das bleibt so verdeckt, so vergraben unter den grünen Schichten, dass man es kaum mit Sicherheit sagen kann.

Wie in konzentrischen Kreisen bzw. Wellen um dieses Zentrum entwickeln sich weitere Holzdüfte und weiten sich: Das erinnert fast ein wenig an die Sinneseindrücke in einer Holzwerkstatt oder den Geruch, wenn man an frisch gesägtem Holz riecht.

Im äußeren Kreis finden sich dann, sich überlagernd mit den holzigen und grünen Tannentönen, die frischeren Noten: Bergamotte und Wacholderbeere. Vielleicht ist es gerade diese Kombination aus Tanne (hier: Hemlock mit ihrem runden, weniger harzigen Geruch) und Wacholderbeere sowie einer dezente Vetivernote, drei meiner liebsten Gerüche, die mir diesen Duft so nahe bringen und zu meinem derzeitigen Lieblingsduft machen (neben Timbuktu übrigens, meinem Signatureduft).

Ormonde Man ist ein leiser Duft, darin Timbuktu sehr ähnlich, der sich nicht nach einem schnellen Test erschließt. Ich kann allen Interessierten nur empfehlen, sich Zeit zu lassen und den Duft in unterschiedlichen Stimmungen und zu unterschiedlichen Tageszeiten zu testen. Dabei zeigt sich, dass er ein unaufdringlicher, dezenter aber doch markanter, weil unverwechselbarer Begleiter ist. Ormonde Jayne hat keine Vorgänger und keine Nachahmer: er ist ein Singulär.

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob ein Duft nicht gleich auf Anhieb überzeugen, sozusagen den Träger oder die Trägerin spontan begeistern muss: Das ist aus meiner Sicht einzig eine Frage der Einstellung und der Laune. Grandios finde ich in diesem Zusammenhang die Listen von Lucca Turin, der in seinem berühmten (bei manchen berüchtigten), von mir geliebten „Perfumes a - z guide“ auch zwei Listen der besten „leisen“ bzw. „lauten“ Düfte zusammengestellt hat (Ormonde Jayne Man ist in diesen beiden Sparten übrigens nicht gelistet, dafür aber ganz allgemein unter den 10 besten Herrendüften: sic!). Da findet jeder Suchende den richtigen Duft zum richtigen Anlass und zur richtigen Stimmung.

Ormonde Man könnte man auch in diese Nische einordnen: ein leiser Duft mit entsprechend dezenter Sillage, dennoch aber von guter Haltbarkeit.

Der Flakon entspricht ganz und gar dem Gesamtauftritt: distinguiert, schlicht, aber elegant, ungeheuer schwer, eingebettet in eine Schmuckschatulle, dazu ein perfekt arbeitender Zerstäuber; all das hat seinen Preis: 120,00 Euro für 50 ml sind nicht gerade billig, aber letztlich vielleicht doch „Preis-wert“.

Konzentrische Kreise sind für mich übrigens auch ein sympathisches Gegenbild für das, was wir in unserem mitteleuropäisch geprägten Zeitverständnis als zugeschriebenes Ende, messbaren Zeitverlauf und terminierten Neuanfang betrachten. Zeit verläuft aus meiner Sicht vielmehr in alle Richtungen, lebt von Gleich- und Nebenzeitigkeit, von individueller Betrachtung und scheinbarer Wiederholung, déjà-vus: subjektive Wahrnehmungen und einer Wirklichkeit im Kopf des Betrachters. Geist und Sprache schaffen (oft) Wirklichkeit. So auch dieser Duft, dessen Duftentwicklung nicht linear, sondern vielmehr von vielfältigen Überlagerungen und Wellenbewegungen aus dem holzig-grünen Zentrum heraus geprägt ist, der sich mit dem Träger entwickelt.

In anderen Worten mit Frank Wedekind:

Die Glocken sind verhallt, verglommen sind

Die Feuerbrände und verstummt die Lieder;

Die alte, ew'ge, blinde Nacht liegt wieder,

Wie sie nur je auf Erden lag, so blind;

Und doch hängt das Geschick an einem Haar

Und läßt sich doch vom Klügsten nicht ergründen.

Wie werden diese Welt wir wiederfinden,

Wenn wir sie wiederfinden, übers Jahr?

(Frank Wedekind: Silvester)

Ich wünsche allen, die diese Seite gleichzeitig, nacheinander und nachzeitig besuchen, Glück, Ausgleich und Frieden: jetzt und immer.

Ein Kommentar von Yatagan

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