Belle Haleine - Der Duft der Kunst

Dass man Kunst nicht nur sehen, sondern auch riechen kann, beweist die Ausstellung "Belle Haleine - Der Duft der Kunst" im Museum Tinguely Basel.

Gerüche sind ja nun kein allzu häufig anzutreffendes Medium künstlerischer Werke – zu flüchtig sind sie, zu volatil. Andererseits provozieren und stimulieren sie uns, rufen je nach kultureller Konditionierung unterschiedliche Emotionen und Assoziationen wach. Von daher erstaunt es auch wieder nicht, dass es KünstlerInnen gibt, die die Auseinandersetzung mit ihnen suchen, um brisante Fragen unserer Zeit aufzugreifen.

Bei "Belle Haleine“ (= „schöner Atem“) handelt es sich also nicht um eine Duft-Ausstellung, wie die Organisatoren klarstellen – dennoch: Wenn es rund um Gerüche und Düfte in einem Museum geht, ist es Ehrensache für eine in der Grenzregion lebende Parfuma, dass sie auf einem Familienausflug nach Basel besteht.

Schon beim Hereinkommen werden wir von Düften begrüßt, die sich nicht an die Vorgaben halten und die aus den ihnen zugewiesenen Museumsräumen entweichen. Der Geruch von Kurkuma, Nelken, Pfeffer, Ingwer Safran und Kreuzkümmel wabert schon durch die Garderobe. Erst später erfahren wir auf unserem Rundgang, dass die Wohlgerüche von der riesigen Textilinstallation „Mentre niente accade“ des Brasilianers Ernesto Neto stammen, die einen großen Raum nicht nur olfaktorisch füllt.

Riech- und Augenweide: Ernesto Netos Duftinstallation „Mentre niente accade


Das erste rein optisch wahrnehmbare Kunstwerk, auf das wir beim Betreten des Museums treffen, ist die Videoinstallation von Jenny Marketou („Smell you, smell me“), bei der verschiedene Menschen Statements zu ihrem subjektiven Geruchserleben abgeben: „Hi, ich bin Freddy aus Hollywood – den besten Geruch meines Lebens fand ich in einem holzgetäfelten Hotelzimmer in Banff“ – solche subjektiven Statements zu prägenden Geruchserlebnissen lesen wir auf unserer Lieblingsplattform zur Genüge, ist für mich also erst mal nicht so originell.

Auch sonst gibt es einiges Erwartbares, so die um Provokation und Tabubruch bemühten, selbstreferentiellen Werke wie Künstler-Kacke in Dosen (Piero Manzoni) oder die in einem edlen Flakon als Parfum „Eau Claire“ konservierten Vaginalsekrete der Künstlerin Clara Ursitti.

Ekel – Angst – Toleranz

Zur körperlichen Grenzerfahrung – und zum für mich beeindruckendsten Erlebnis auf der Ausstellung – ist dagegen der Besuch eines komplett leeren, weiß tapezierten Raums: “The FEAR of smell – the Smell of FEAR”. Die norwegische Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas hat den Angstschweiß von elf Männern, die an schweren Phobien leiden, synthetisiert und die Wände damit präpariert. Man muss nahe an die Wände treten, um die unsichtbaren Geruchportraits der einzelnen Menschen zu erschnuppern. Man fühlt die Angst durch den Raum ziehen. Tolaas‘ Titel spielt auf unser ambivalentes, von Furcht und Ekel geprägtes Verhältnis zu Gerüchen an, das hier auf den realen Geruch der Angst trifft.

An anderer Stelle formuliert Sissel Tolaas: „This is what my work is about: It’s about tolerance. Nothing stinks – only thinking makes it so!“

Um Toleranz geht es auch in der witzigen Installation von Raymond Hains: Das volatile Element lässt sich nicht ab- oder begrenzen. Dies drückt er mit Hilfe seines Grenzpostens (auf dem ein Papagei Wache hält) und dem Wortspiel „Oder-Neisse <> odeurs naissent“ (Gerüche entstehen) aus.


Einerseits haben Gerüche etwas Subversives, sie wirken grenzüberschreitend. Andererseits gibt es eine soziokulturell unterschiedlich geprägte Bewertung von Gerüchen – wir alle kennen die Einteilung in positive und negative Gerüche, die teilweise sogar rassistisch geprägte Grenzen zwischen Menschen aufbaut. Gesellschaftskritische Gedanken wie diese beschäftigen mich als Mutter zweier afrikanisch-stämmiger Kinder natürlich besonders.

In diesen Kontext passt auch das ausgestellte Eau de Toilette „Démocratie“, das "demokratische Parfum" von Martial Raysse (übrigens bei Parfumo gelistet!): Es soll sich dabei um den Geruch nach Schweiß, den "Duft des einfachen Arbeitervolkes" handeln und somit als ironische Provokation gegen Parfum als Status- und Luxussymbol zu verstehen, das sich nur wenige leisten können.

Zurück zur Natur

Der Hauptfokus der Ausstellung liegt auf einer Auswahl von Kunstwerken aus den letzten zwanzig Jahren, die entsprechend aktuelle Themen behandeln. Einige Arbeiten rücken die Diskrepanz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit in den Vordergrund und plädieren für eine sensiblere Wahrnehmung der Umwelt mittels unserer Nase.

In der Installation „Moss Bed, Queen“ verpflanzt die der Land Art verpflichtete US-Künstlerin Meg Webster verschiedene Moosarten auf ein Queensize-Bett. Man nimmt den eher imaginierten als tatsächlich vorhandenen Geruch eines feuchten Waldbodens wahr. Auch die monochromen Bilder im Hintergrund stammen von ihr, bei denen sie anstelle von Farbpigmenten gemahlene Gewürze verwendet hat.

Immer wieder wird auch mit der Grenze zwischen „verführerischem Duft <> Überdosierung, Gestank“ gespielt.

Bei der “Fainting Couch” von Valeska Soares handelt es sich beispielsweise um eine harmlos aussehende Ruheliege im nüchternen Design, die ein Geheimnis birgt: Statt eines Bettkastens hat diese Liege ein Schubfach, in dem sich Stargazer-Lilien befinden – eine sehr intensiv duftende Blumenart. Besucher können sich auf die Liege legen und den Geruch auf sich wirken lassen. Eine Ohnmacht soll mit Lilienduft kuriert werden – die Überdosierung wirkt aber „intoxicating“. Zumindest ich konnte es auf der Couch in dem üppigen Blumenduft keine Minute lang aushalten.

„No text – No explanation – Smell and Think“ Oswaldo Maciá

Das ironische Spiel mit „erwartetem Geruch“ und „tatsächlich vorhandenem“ spricht meine Kinder besonders an. So ist ihr Lieblingsobjekt eines von Oswaldo Maciá. Man öffnet eine feine asiatische Porzellandose – und wird mit einer stark nach Knoblauch riechenden Seife konfrontiert.

„Quien limpia a quien“ (wer wen reinigt) – Oswaldo Maciás Knoblauchseife


Dass die Wahrnehmung von Gerüchen sehr individuell ist, wissen wir. Mir wird es wieder deutlich, als ich mein Lieblingsobjekt finde: Ein völlig dunkler, U-förmiger Raum, vor dessen Betreten man eine Atemmaske aufziehen muss und sich im Dunkeln barfuß durch eine dicke Puderschicht tastet, bis man am Ende zu einer Kerze vordringt. In der Luft hängt Gasgeruch, der als Warngeruch dem Haushaltsgas beigemischt ist: „Du hast Angst, dass der Raum explodiert, doch die Angst schärft auch die Sinne. Du wirst aufmerksamer für dein Umfeld“, kommentiert der brasilianische Konzeptkünstler Cildo Meireles seine Idee zur Balance aus behaglichen und unangenehmen Erfahrungsqualitäten. Das haptische Erleben des weichen Puders an den Füßen, der Geruch von Talk, das sanfte Licht – mir gefällt das sehr. Dies kann man auch ganz anders empfinden, es gibt Besucher, die berichten, dass sich bei ihnen Unsicherheit und Angst, gar Assoziationen an die Schrecken des Holocausts einstellen.


Eine Kerze in Talkpuder – und in der Luft Gasgeruch: Cildo Meireles' „Volátil“


Es gibt also viel zu entdecken – die einzigartige Ausstellung wird noch bis 17.05. gezeigt und der Ausflug nach Basel allen Parfumos empfohlen!

Eines der wenigen nicht-riechenden Kunstwerke: Aura Soma (Sylvie Fleury)



Vielen Dank an Paskal für diesen interessanten Beitrag!

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