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So ging es uns Mitte der 1990er, wir schleppten die von unserem ersparten Geld gekauften 1210er Plattenspieler aus dem von Mama geborgten Auto. Der Weg über das stillgelegte Fabrikgelände war mit Teelichtern in Omas alten Einweckgläsern markiert. Schnell musste es gehen, Kisten voller Schallplatten folgten, jeder brachte Technik von zu Hause mit, Vaters Verstärker sollte erstmals die Blüte seines bisherigen Lebens erreichen, die staubige Diskokugel vom grossen Bruder, das selbst gebaute Stroboskop, geklaute Rundumleuchten.
Am Mittwoch hatten wir die Flyer in den Plattenladen gebracht, das letzte Geld für die neusten Scheiben aus Detroit ausgegeben, schwarz mit der Bahn nach Hause, versucht alles vorzubereiten, aber was sollten wir den planen? Vielleicht kommt morgen früh die Abrissbirne und die gross angekündigte Party am Freitag fällt aus, oder die Zivis haben Wind von der Sache bekommen und lassen uns auffliegen. Der Physikfreak hatte es geschaft, die rote Lampe ging an, ein Druck auf den Start Knopf und der erste Beat weckte Vaters alten Marantz aus dem Schlaf.
Wir waren anders, zumindest dachten wir das und gingen wir davon aus, Autechre's ANTI brachte das auf den Punkt, die Engländer waren mit ihrem experimentellen harten Acid Sound auf Sommer-Tour, mit ihren umgebauten Kleinlastwagen und den integrierten Anlagen machten sie Party wo sie wollten, Polizei kam auch, meistens gingen sie wieder, was wollen zwei Streifenhö****en gegen 400 tanzende und feiernde junge Leute machen? Das liebten unsere verrückten englischen Freunde an Deutschland, mit ihren Bobys hatten sie Anfang der 90er immer ärger. Allein der hypnotisch schlagende Beat trug uns durch die Nacht, ein Stück ging ins andere über. Wir waren getrieben von der Idee mit unserer eigenen Musik die Welt zu ändern. Mann trug auch langen Wickel-Rock, wegen den Buffalos konnte man die Körpergrösse schlecht beurteilen, wir wollten schliesslich hoch hinaus mit unseren Träumen. Der harte Macho war für uns Geschichte, wir wollten anders sein, anders als unser grossen Brüder mit ihrem nervtötendem Gitarrensound. Wir waren die erste wirklich coole Generation, zumindest glaubten auch wir das. Weicher, einfühlsamer und sanft.
Für Frieden und Liebe fuhren wir im Sommer in Berlin, London und Zürich mit Autos über die Strasse und feierten tagsüber auf der Strasse. Am Abend ging es in den Reichsbahnbunker in Berlin, ein paar DJs und Produzenten vom Detroiter Label Underground Resistance hatten sich angesagt, sie waren unsere Kumpels und Vorbilder zugleich, es gab keine echten Stars der Musik und niemand suchte einen. Die Schlange am Eingang wuchs ins unermessliche, rein kommt wer in der Szene bekannt ist, es machte die Runde, die Stadt hatte es auf das Gelände abgesehen, wir wussten das es ein Ende haben wird. Ein letzter Samstag oder vielleicht noch nächstes Wochenende, keiner wusste es. Feier den Moment als könnte es dein letzter sein. Ich stehe neben dem DJ Pult, von der Decke tropft ein Gemisch aus Kondenswasser und Schweiss, ich schaue auf die feiernden Leute, neben mir philosophiert Mad Mike Banks über Kraftwerk und den deutschen Einfluss auf den Detroit-Techno-Sound, global Music, global Weekend, global Party. Ich bin aufgeregt, Rolando Ray Rocha reicht mir den Kopfhörer, erste Scheibe, pitchen, den Regler am Mischpult nach oben gezogen, der Bunker bebt.
Mir kriecht ein Hauch von JPG Classique in die Nase - meine Freundin feiert tanzend neben mir, ich suche ihre Lieblingsscheibe und lege sie auf den Plattenspieler, Kopfhörer auf CH2, einpitchen, ein kurzer und schneller Schwenk mit dem Mischpultfader, zwischen den beiden rotierenden Platten, nur ein Beat der nächsten Platte ist zu hören, sie lächelt mir zu, ich rieche das neue Le Male an mir, wir sind glücklich über den Augenblick.