ElfeLotta
ElfeLottas Blog
vor 3 Jahren - 18.09.2021
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The Quest

Gibt es eigentlich eine treffende deutsche Übersetzung für den Begriff „quest“? Ich kenne keine. Aber dies ist die Geschichte einer Quest:

Es war einmal vor langer, langer … hm, okay, vor 15 Jahren etwa.
Das Abi in der Tasche und „alle Türen offen“. Und eine junge Frau, die sich noch lange nicht erwachsen fühlte, stand vor der völligen Überforderung. Was sollte sie denn nun mit dem Rest ihres Lebens anfangen? Also, erstmal Praktikum. Wo? Um Himmels Willen, noch eine Entscheidung?! Na dann, einfach mal reinstürzen – in die Theaterwelt, Backstage: Kulissen, Kostüme, Regieassistenz… Wie verloren sie sich vorkam! Faszinierend war es auch, klar. Und stressig. Und draußen wurde es immer dunkler, kälter und trister…
Und dann gab es da diesen Absatz im Treppenhaus – so ein kühles, grau-weißes, im hinteren Teil des Theatergebäudes – dort hing ein Geruch in der Luft, der für einen Moment die gesamte Adrenalinproduktion ihres Körpers zum Stillstand brachte, sie in einen sanften, wärmenden Schleier hüllte und ihr mit einem verschmitzten Lächeln zuflüsterte: „Alles gut.“
Wie hat sie sich jedes Mal gefreut, wenn ein Weg sie wieder durch dieses Treppenhaus führte! Hin und wieder nahm sie gar einen kleinen Umweg, bloß um noch einmal dort vorbei zu kommen.
Wie es dort roch?
Sie könnte es nicht mehr beschreiben. Als würde sich die Erinnerung jeglichem bewussten Zugriff entziehen, geschweige denn einer menschenverständlichen Versprachlichung…
Von besagtem Absatz des Treppenhauses ging der Flur ab zur Maske. Ahnungs- und erfahrungslos wie sie war, vermutete sie, dass es der Geruch von Theaterschminke oder einem ganz speziellen Haarspray sein mochte, wenngleich sie fand, dass es nicht im mindesten wie Haarspray roch oder wie die Karnevalsschminke, die sie noch aus Kindheitstagen kannte. Aber was wusste sie schon? Zumal ihr dann an Halloween der gleiche Geruch plötzlich erneut begegnete – diesmal, als sie einem (vermutlich) männlichen Wesen mit komplett geweißtem Gesicht und streng zurückgegeelten Haaren gegenüber stand. Theaterschminke oder Haarspray…
Nicht im Traum wäre es ihr eingefallen zu fragen…

Jahre später und die nun erwachsene Frau ist von der Vorstellung abgerückt, dass es sich um den Geruch von Theaterschminke oder etwas ähnlichem gehandelt hat. Inzwischen haben es nicht nur Parfüms ins ihr bewusste Bild der Welt geschafft, inzwischen weiß sie auch, dass die nicht nur von Frauen getragen werden. Könnte sie dem fast-jugendlichen, ahnungslosen Mädchen von damals eine einzige Botschaft zukommen lassen, sie würde durch die Zeit rufen: „Um Himmels Willen, frag! Was ist das für ein Parfüm?!“

Die Frau wandert weiter durch ihr Leben, nun fernab der Theaterbühnen, und in unregelmäßigen Abständen - alle ein oder zwei Jahre mal - durchfährt es sie plötzlich und sie bleibt wie vom Donner gerührt stehen, bevor ihr Verstand registriert, dass sie gerade diesen unbeschreiblichen Duft wieder gerochen hat. Bam! Alles wieder da! Ein wilder Gefühlscocktail bricht wie ein Vulkan durch die Decke der Erinnerung. Im Gegensatz zu damals springt die Adrenalinproduktion jetzt auf Hochtouren. Da ist Aufregung, Verlockung, Geheimnis und wilde Freude – und mitten im Zentrum dieses wohlig-warme, leicht verschmitzte, aber unerschütterliche „Alles gut.“
Sie hat den Duft nie wieder einem Träger zuordnen können. Oft genug ist niemand mehr in der Nähe. Vor ein paar Monaten hat er sie wieder erwischt – in einer Bahnhofunterführung. Weit und breit kein Mensch zu sehen oder zu hören. Inzwischen würde sie fragen. Aber da ist niemand. Sie seufzt, als sie denkt, dass sie wohl nun wieder lange wird warten müssen, bevor sich ihr die nächste Chance auftut…

Aber diesmal überlegt sie es sich anders.
Sie macht sich selbst auf die Suche.

So beginnt ihre Reise – ihre ganz persönliche Quest – durch die Parfümerien, die Drogerien, wo auch immer sie eine Auswahl an Düften entdeckt.
Wenn sie anfangs in ihrer Ahnungslosigkeit hier und dort mal das Fachpersonal mit ihrer Suche konfrontiert, gibt man sich wiederholt alle Mühe, sie zu entmutigen ob der schieren Unmöglichkeit einer solchen Mission. Es fällt ihr nicht schwer, das zu glauben. Und außerdem: Zu Hause ist es doch auch ganz schön. Viel sicherer und wärmer und weniger fremd als in der wilden Welt da draußen.
Aber er lässt sie nicht los.
Na klar, vermutlich ist es gar nicht „der eine“ Duft. Vermutlich gibt es andere, ähnliche, die je nach Situation, Träger und ihrer eigenen inneren Stimmungslage, diese alte Erinnerung in voller Wucht wieder wach rufen. Einen davon zu finden würde ihr doch schon reichen…
Und selbst, wenn sie ihn nicht direkt finden sollte, so könnte sie doch vielleicht unterwegs genug über Düfte lernen und ihre Nase ausreichend schulen, damit sie – wenn sie dann plötzlich wieder mitten im Lauf gestoppt wird und der Vulkan ausbricht – zumindest ein paar zentrale Duftnoten erschnüffeln und identifizieren kann. Und wer weiß, was sich mit einer solchen Information dann anfangen lässt…!

Also bricht sie wieder auf. Ahnungslos ist sie noch immer, aber inzwischen etwas mutiger und gelassener, wenn sie Papierstreifen und Stift zückt, hier und dort nach einem Flakon greift und nach Lust und Laune schnuppert, bis die Grenzen ihrer olfaktorischen Toleranz erreicht sind.

Manchmal denkt sie, dass die Suche unmöglich gelingen kann. Dass der Duft sie hin und wieder mal findet, wenn es ihm gerade passt. Nicht umgekehrt.

Manchmal fragt sie sich, ob das Mysterium nicht aufregender ist, als die Lösung des Rätsels.

Und manchmal denkt sie, dass es inzwischen vielleicht gar nicht mehr darum geht, diesen Duft wiederzufinden. Die Türen sind aufgestoßen zu einer großen Welt, in der sie sich nun nach Herzenslust austoben und so viel faszinierendes, neues entdecken kann!

Eine Welt wie ein Maskenball. Lange, lange saß das schüchterne Mädchen am Rand, hat sich nicht mal umgeschaut, kam nur zum Tanz wenn es alle Jubeljahre von einem Wesen mit einer solch außergewöhnlichen, mysteriösen Maske aufgefordert wurde, dass es nicht ablehnen konnte.
Heute betritt die Frau den Ballsaal und beschließt zu tanzen – um des Tanzens Willen, weil es sich gut anfühlt, leicht und beschwingt, und kraftvoll und wild. Lebendig!
Und wer weiß, vielleicht begegnet ihr irgendwann mal wieder die wundersame Maske von damals.
Ob sie dann dahinter schauen will?
„Wer weiß“, denkt sie und zuckt mit einem Anflug von verschmitztem Lächeln die Schultern.
Alles gut…

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