Hannilein
Hannileins Blog
vor 7 Jahren - 10.04.2017
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Mainstream und Eindimensional

Ich habe heute viele Parfumkommentare gelesen. Dabei fielen immer wieder die gleichen Worte: Mainstream und Eindimensional. Sobald ein Parfum, nicht mindestens aus dem Jahr 1932 kreiert oder in einer Manufaktur mit maximal 5 Mitarbeitern, entstand, wird dies mindestens in einem Kommentar als Mainstreamduft betitelt. Der infationäre Gebrauch des Wortes Mainstream ließ meine Gedanken schweifen. Warum ist Mainstream eine Beleidigung und wird dazu verwendet, Düfte abzuwerten? Was bedeutet es eigentlich?

Ich versuche hier auf unterschiedliche Art und Weise mich dem Begriff zu nähern: Einerseits aus ökonomischer/ marktmechanischer Sicht andererseits auf der Ebene der Bestandteile eines Mainstream Duftes.

Fange ich mit dem ersten Bereich an- die Ökonomie. Was bedeutet Mainstream in diesem Teil? Mainstream trifft den Geschmack einer großen Masse der Gesellschaft. Im Endeffekt heißt es, die Nachfrage eines Produktes ist signifikant hoch, weshalb das Angebot auch relativ stark steigt oder sich auf einen hohen Niveau bewegt. Könnte es nicht auch einfach ein gutes Produkt entsprechen? Kann sich die Masse so stark irren? Wieso ist es dann eine Beleidigung? Nach dieser Definition ist jedes Parfum, was nicht in einer minimalistischen Marge produziert wird, Mainstream. Tada, alles ist Mainstream. Wieso es dann als abwertendes Wort gilt, verstehe ich immer noch nicht. Wäre es nicht eher ein Lob? Vielleicht liegt es eher daran, dass wir als Individuum wahrgenommen werden wollen. Wir wollen einzigartig sein. Unser Duft soll dies untermauern. Wir wollen halt nicht wie alle riechen. Aber wie soll das mit einem massen produzierten Parfum in Einklang stehen? Gar nicht! Punkt, Aus, Ende im Gelände! Ätsch, Blogeintrag fertig.

So einfach mache ich es mir dann doch nicht. Wahrscheinlich ist eher den Dufttrend gemeint. Es gab und wird immer einen bestimmten Trend geben. Sei es, dass alle plötzlich Schlaghosen tragen, Senfgelb "In" ist, jeder Frozenjoghurt isst oder man leckere/süße Düfte trägt. Schauen wir uns doch mal die verschiedenen Baustile oder die literarischen Werke der Epochen an. So gleich sie auf den ersten Blick scheinen, so unterschiedlich sind sie für sich genommen. Die Besten unter ihnen bleiben als Vorzeigebild jener erhalten. So ist es wahrscheinlich auch mit dem hier hoch gelobten Shalimar von Guerlain. Das Original stammt aus dem Jahr 1925 und reihte sich wahrscheinlich auch in den Dufttrend der Zeit an. Wir kennen es heutzutage vielleicht nur, weil es das Meisterwerk der Duftrichtung war. So wird es in 20-40 Jahren unseren heutigen Düften gehen. Welches dieser Mainstreamdüfte werden echten Parfumverrückte wohl so in den Himmel loben, wie heutzutage Shalimar?

Vielleicht definiert die Mainstreamdüfte ihre Zusammensetzung? Liest man sich viele Kommentare durch, wo das wort Mainstream auftaucht, entdeckt man immer die gleichen Worte: "Zuckerwasser" und "chemisch". Zucker ist toll, wir haben schon vor Urzeiten Lebensmittel mit Zucker haltbar gemacht. Jeder isst Zucker, der eine mehr, der andere weniger. Es gehört zum Leben dazu wie die Luft, die uns umgibt. Kann es also einerseits so toll und elementar und auf der anderen Seite schlecht sein? Zu mainstreamig? Was ist eigentlich chemisch? Wie riecht chemisch? Ich habe meinen Chemieunterricht dank der vielen Experimente geliebt, es hat immer wieder anders gerochen: Mal verbrannt, schwefelig, ätzend etc.pp. Oder meint man mit chemischen Geruch den Plastikgeruch, wenn man einen Primark betritt? Hier kommen wir zur anderen Sichtweise: Die Bestandteilchen. Woraus besteht also der Mainstreamduft? Von der Duftpyramide sehe ich auf den ersten Blick keinen genauen Zusammenhang. Dies könnte man mittels künstlichen neuronalen Netzwerken genauer untersuchen, aber es ist spät Abends und dies sprengt wohl auch den Rahmen meiner gegenwärtigen Neugier. Wenn wir es auch ganz platt ausdrücken wollen, besteht doch sowieso alles aus Quarks, Higgs-Bosonen und Leptonen. (Bis in den 60ern gingen wir von Elektronen, Protonen und Neutronen aus. Bis wir merkten, dass diese auch wieder aus kleineren Teilchen bestehen.) Nimmt man eine Schüssel und schmeißt da ein paar Elementarbestandteilchen rein kann man sich alles auf Erden bauen, sei es eine rote Rose oder Boeing 747. Im Endeffekt besteht doch alles aus den gleichen Elementarteilchen oder nach Albert Einsteins Formel E=m*C² aus Energie, weil jedes Teilchen das Ergebnis der Energie ist. Da komme ich gleich zur Frage, wie riechen Elemenatarteilchen oder gar Energie? Müssten sie nicht auch einen Duft besitzen, der vielleicht einfach für unsere menschliche Nase nicht wahrnehmbar ist? Es ist wohl spät und mein Gehirn fängt an zu phantasieren. Kommen wir zurück zum Thema, vielleicht gibt es prägende Komponeten dieser Duftepoche. Aber ist nicht jede Komposition auf seine Art einzigartig, auch wenn die Bestandteile die gleichen sind (siehe Elementarteilchen und Boing 747 bzw. Rose)?

Apropros Bestandteile: Widmen wir uns den zweiten Teil der Übersicht, Eindimensionalität. Dies hört man hier auch zu häufig und hängt ein wenig mit den Bestandteilen zusammen. Dennoch konnte ich noch nie was mit diesem Wort anfangen! Eindimensional, was soll das bitte sein? Ich habe mir erst vor kurzen eine Minzpflanze gekauft. Sie steht auf den Balkon und versprüht einen wundervollen Duft. Ist der Duft von Minze eindimensional? Für mich ist er was vollkommendes, wundervolles und unbeschreiblich schönes (ich mag Minze sehr). In seiner Einfachheit so komplex. Wie sollte man einen Geruchslosen den Duft von Minze beschreiben? Es müsste in seiner Eindimensionalität doch leicht sein. Minze riecht frisch, krautig. Mir fehlen die Worte um den Duft weiter zu beschreiben und auch wenn ich die Worte habe, wie viele könnte man für andere Düfte verwenden und was wären die Primärschlüssel (= In der Informatik sind Primärschlüssel Attribute, um etwas Bestimmtes eindeutig zu identifizieren. In der Informatik handelt es sich meistens um einen Datensatz, in meinem Beispiel um die Minze). Was wären also imaginäre Worte, die nur der Minzduft besitzt? Kann etwas so vollkommendes, von der Natur geschaffendes eindimensional sein? Lass uns doch mal versuchen, diesen Duft künstlich im Reagenzglas nachzubauen. Ich vermute mal, wenn jemand nicht gerade ein Doktor in Chemie hat, wird es schwer bis unmöglich. Auch Experten können Düfte nicht zu 100% Orginalgetreu nachbauen. Vielleicht ist die Natur das einzig Perfekte. Denn sie schafft es nicht nur, die schönsten Gerüche zu kreieren sondern auch jeden einzelnen so besonders zu gestalten, dass ein kurzer Zug genügt, um den unverkennbaren Duft von Minze sofort zu erriechen. Wenn eindimensional jeden Duft betrifft, der nicht mindestens 41 Stoffe enthält, dann gestehe ich: Ich liebe Eindimensionalität. Denn für mich reichen wenige manchmal auch nur eine Zutat, um Perfekt zu sein.

Falls irgendjemand bis hierher angekommen ist, vielen lieben Dank. Ich hoffe ich habe deutlich meine Argumente dargestellt, weshalb "Eindimensional" und "Mainstream" für mich keine negativ besetzten Worte sind und ich nicht verstehe, wieso einige sie in diesem Kontext verwenden. Vielleicht sollten wir aufhören immer alles als Selbstverständlichkeit (aka eindimensional) zu bewerten und uns wieder für Kleinigkeiten zu begeistern. Vielleicht liegt genau dort ein Stück Genialität. Zum anderen sollten wir aufhören, die Masse als einen schlechten Indikator wahrzunehmen. Es wird eine Zeit kommen, da sind unsere heutigen Düfte Klassiker, zumindest die herausragenden davon. Wir werden dann über einen neuen Dufttrend lästern. Ich hoffe sehr, der neue Trend entwickelt sich nicht zu Patchouli, da dieser in hohen Dosen nach Verwesung riecht. ;-)

P.S. Dieser Betrag spiegelt meine persönliche Meinung wider. Ich akzeptiere jede andere Meinung und hoffe doch sehr, dass wir die Facetten von unterschiedlichen Positionen respektieren und erfreuen, dass es so viele überhaupt gibt.

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