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vor 3 Jahren - 05.09.2021
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Die Parfümverkostung oder welchen Duft trug wohl Walter Sedlmayr?

Ja, es geht mir schon länger nicht so gut. T. und S., ein langjährig befreundetes Pärchen, kümmern sich sehr lieb und ich möchte mich in Form eines besonderen Abends erkenntlich zeigen. Was man denn von einer Art „Parfümverkostung“ halten würde? Die beiden kennen meine geisteskranke Duftleidenschaft und besitzen jeweils auch ein paar eigene Parfums, an Neuem und Unbekannten besteht grundsätzlich Interesse. Also: Ja, sehr gerne, das klingt toll!

Ich überlege eigentlich nicht lange und gruppiere einige besonders schöne, herausragende oder bedeutungsvolle Flakons aus meiner Sammlung in passende Kategorien ein. „Schönheiten vergangener Tage“, „Sonniger Herbst“, „Animals“, „Leder“, "Livin‘ da Life“ – ich bin voll in meinem Element.

Da ich schon länger mit einem Roja liebäugle (der „Ti Amo“ soll es bitte sein) und mir die Investition zum jetzigen Zeitpunkt genau richtig und angemessen erscheint, rufe ich kurzerhand in einer die Marke führenden ortsansässigen Parfümerie an. Die beflissene Dame sagt „ja, den haben wir da.“ Jetzt kennt man in Berlin vielleicht die sogenannten Koks-Taxis, die dem Vernehmen nach den Stoff direkt an die Wohnungstür liefern. Ich denke kurz nach.

„Liefern Sie eigentlich auch aus?“

„Moment.“

„Ja, also wir könnten Ihnen den Duft in ca. 40 Minuten vorbeibringen. Bitte halten Sie das Bargeld bereit.“

„Knüller“, denke ich, sage wie toll ich den Service finde und öffne wenig später einem Mitarbeiter des Hauses die Tür, der mir sehr freundlich eine üppig bepackte Tüte voller Pröbchen und natürlich den gewünschten Roja übergibt. Geld und Ware wechseln diskret die Besitzer und ich schwebe zurück in meine Wohnung. Ich schreibe ein neues Kärtchen, mit dem ich den (wirklich wunderschönen!) „Ti Amo“ neben den anderen Düften präsentiere: YOLO.

Ding-Dong. „Gibt es auch Salzgebäck?“ S. keucht in seine Maske und zieht die Schuhe aus. Ähm, das nicht, nein, aber ich habe zur Feier des Tages eine Flasche hochwertigen Schaumwein besorgt und später gibt’s was zu Essen. Wir stoßen an, die in der Nachmittagssonne glänzenden Flakons mit ihren verschiedenfarbigen Flüssigkeiten werden wohlwollend und staunend begutachtet. „Also dafür hättest Du locker ein BMW Cabrio kaufen können!“ „Ja schon, aber ich fahr halt gar kein Auto.“ Wir lachen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, tut ja keinem weh.

Wir starten mit den Oldies und meiner großen Liebe „L’Heure Bleue“ in den verschiedenen Darreichungsformen, beim Geruch des Extraits muss ich wieder einmal fast weinen. Diese Melancholie, diese Komposition, diese Stimmung! Ernsthaft: Könnte ich ein Duft sein, ich wäre gerne genau wie dieser. Ich referiere, lasse probieren, die Anekdoten sprudeln (etwa dass – so wird kolportiert – Guerlains „Liu“ eine Reaktion auf Chanels No. 5 gewesen sein soll, als Jacques Guerlain seine Frau in flagranti mit dem Konkurrenzduft erwischt hatte). Im Hintergrund läuft passend zur Epoche Erik Satie. Mein ursprünglicher Plan, jedem Duft einen Song zu widmen, erweist sich in der Praxis als recht kompliziert, die eigens zusammengestellte CD spiegelt insofern grob vereinfacht adäquate Songs und Sounds wider.

„Vol de Nuit“ ist neben dem gleichnamigen Büchlein von Saint-Exupéry drapiert, wir würdigen den Duft, den Flakon und die literarische Parabel auf die Moderne. Ja, und natürlich „Shalimar“, das hat T. seinerzeit als junge Frau getragen. Hammer. Ihre Mutter verpestete damals mit Aromatics Elixir die Wohnung. Erinnerungen werden wach.

Zu meiner Überraschung kommt Piguets „Fracas“ sehr gut an. Wir sprechen über Tuberose-Düfte, die 40er Jahre mit ihren selbstbewussten Frauen und wie lahm und pc dagegen das Marketing heutzutage eigentlich ist. Die Themen sprudeln, der Abend läuft.

Die Musik geht über zu Depeche Mode und dem von mir ewig geliebten New Wave. Ja, die 80er. Seufz. Wir schauen uns ein paar Powerhouses aus dieser Zeit an. Ja, früher … da rochen die aber auch mal intensiver? Wir schimpfen auf unsinnige Regularien und einen bevormundenden Staat. In dieser Kategorie erweist sich übrigens „Must de Cartier“ als unangefochtener Star, finden meine Gäste. Ach ja, die 80er … immerhin die Schallplatten sind noch original.

„Ähm, wie starb eigentlich Walter Sedlmayr?“ Etwas irritierend steht plötzlich diese Frage im Raum. Wir sind inzwischen bei den Lederdüften in ihren vielseitigen Ausprägungen gelandet. Besonders gut kommen „Cuir de Russie“, der Kakao-Wildleder-Traum „Sleek Suede“ und das elegante „Cuir Fétiche“ bei den beiden an. Letzteres führt mich zu den parfümierten Handschuhen, mit denen das früher oft stinkende Leder salonfähig gemacht wurde. Wie S. hierbei den Link zu dem nach außen hochgradig biederen Volksschauspieler setzen konnte, ist völlig unklar – interessant war der Fall aber allemal, stellen wir nach einer Kurz-Recherche auf Wikipedia fest. Und der Moshammer? Auch irgendwie halbseiden. Wie die wohl gerochen haben? Es bleibt ein Rätsel. James Dean und Billy Wilder jedenfalls sollen „Knize Ten“ bevorzugt haben.

Nachdem wir noch ein paar augenzwinkernde Tussi-Düfte („Classique“, „Alien“) und eine Auswahl an Herbst-Lieblingen („Iris Fauve“, „Chergui“, „Floranilla“) probiert haben, warten jetzt die Endgegner in Form von animalischen Krachern.

Bibergeil, Hyraceum, Zibet, dreckiger Jasmin – die Erwartungen und Befürchtungen sind hoch. Soundtrack: Willy de Ville „It’s so easy“. Favorit in diesem wilden Grüppchen ist zweifelsfrei das wunderschöne „Encens Mythique“ mit seinem sanft-salzigen Amber. S. bekommt sich überhaupt nicht mehr ein und huldigt begeistert den Verdauungsvorgängen des Pottwals. Zum Abschluss zeige ich Salome. „Also der ist ein bisschen star…“, will ich zu einem kleinen Disclaimer ansetzen. T. sprüht sich beherzt drei Stöße auf eine Duftkarte, S. und ich sitzen mittendrin. Angewiderte Blicke, leises Würgen, Hass-Phantasien bezüglich unliebsamer Büro-Kollegen, die man damit sehr gut in den Wahnsinn treiben könnte. Ich grinse. „Der hat Ausdruck und ist schön-grausam. Ich find den richtig gut.“

Nach etwa vier Stunden und an die 60 getesteten Düften winke ich mit ein paar Taschenzerstäubern. „Was darf ich denn mitgeben?“

Nach hektischem Nachriechen an Papierstreifen und diversen Hautstellen, kurzen Diskussionen über Dominanz in der Beziehung und wem hier was gebührt einigt man sich auf Byredos „1996“, „Encens Mythique“, „Crème de Cuir“ sowie „Musc Ravageur“.

Noch Tage später reden wir über unsere Eindrücke, T. hat sich direkt anfixen lassen und sich gleich ein neues Schätzchen gekauft.

Was soll ich sagen: Es war ein höchst gelungener Abend und es war mir eine riesige Freude, meine Leidenschaft mit netten Menschen zu teilen. Parfum hat so viele Facetten, die über das reine Dufterlebnis hinausgehen und ist daher in den vergangenen Jahren zu einem meiner absolut liebsten Hobbys geworden.

Inzwischen kam schon eine Anfrage, ob wir das mit dem zweiten Teil meiner Sammlung bald wiederholen mögen? Nun, ich denke schon 😊

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