Jenkins
Jenkins’ Blog
vor 5 Jahren - 07.10.2019
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Geld spielt keine Rolle und Geld spielt eine Rolle und dann noch Emotionen?

Ich teste und bewerte. Das mache ich (abgesehen von fast immer schon im übertragenen Sinn) seit zweieinhalb Jahren. Ich mache das nicht für ein Forum oder ein Online-Portal. Ich mache das für eine renommierte internationale Fachzeitschrift.

Bei dem Produkt, das ich teste und bewerte, geht es – wie hier auch – um Aromen. Allerdings geht es nicht nur um Duftstoffe, also den Geruch, es geht auch um den Geschmack. Zwar ist das Aromenspektrum deutlich begrenzter als das der Parfümwelt, aber da zusätzlich der Geschmack und die geschmackliche Entwicklung zu bewerten sind, würde ich die Komplexität der Aufgabe als vergleichbar einschätzen. Bevor ich diese Aufgabe des Testens und Bewertens übernommen habe, habe ich mich gut dreißig Jahre lang intensiv mit „meinem“ Produkt auseinandergesetzt, teilweise auch professionell.

Meine Aufgabe ist es nun, das Produkt hinsichtlich seiner Beschaffenheit zu untersuchen, hinsichtlich eventueller Fehler und dann das Produkt zu charakterisieren und zu bewerten. Bewerten muss ich es innerhalb einer Skala, die maximal 100 Punkte vergeben lässt. Diese maximalen 100 Punkte sehe ich eher als theoretisch an, etwa im Sinne eines nur theoretisch erreichbaren Ideals absoluter Perfektion. Ich habe sie noch nie vergeben.

Das einzige, was mich bei dieser Tätigkeit interessiert, sind die Charakteristik und die Qualität des Produktes. Mich interessiert dabei weder der Produzent, noch der Preis. Ich kenne beim Testen weder den Produzenten noch den Preis des Produktes, denn das Testen und Bewerten erfolgt selbstverständlich blind. Alles andere wäre im Rahmen eines solchen Tests unprofessionell. Mein zu testendes Produkt trägt einen Zahlencode, den auch ein Testformular trägt. In diesem Formular muss ich ziemlich detailliert dokumentieren, wie ich zu meiner Bewertung komme. „Boah supergeiler Stoff = 100 Punkte“ ist vollkommen undenkbar!

Obwohl ich mir nun redlich Mühe gebe, das Produkt möglichst objektiv zu bewerten, werden eventuelle Schwankungen bedingt durch persönliche stilistische Präferenzen vermieden, indem es immer mehrere Tester sind, die ein Produkt bewerten. „Mein Mann sagt, auf Moschus kriege ich Durchfall und ich glaube, da ist ein bisschen was davon drin = 0 Punkte“ ist vollkommen undenkbar!

Etwa eine Woche, nachdem das Testen abgeschlossen ist, erhalte ich per Email von der Redaktion eine Liste, die es mir theoretisch ermöglicht, die Anonymität meiner getesteten Produkte aufzulösen. Diese Liste nutze ich eigentlich nur, wenn unter den getesteten Produkten welche waren, die entweder in meinen Augen qualitativ wirklich sehr herausragend waren oder stilistisch sehr ungewöhnlich ausfielen, deshalb besonders interessant waren oder mich sehr ratlos zurückließen. Was diese so dechiffrierten Produkte kosten, das weiß ich immer noch nicht, das müsste ich im Internet ausfindig machen oder warten, bis ich die Printausgabe der Zeitschrift vor Augen habe.

Nun ist es so, dass ich mir für meine private „Sammlung“ eher selten Produkte aus meiner Testertätigkeit heraus kaufe. Das mache ich schon hin und wieder mal, aber es ist die große Ausnahme. Ich präferiere wirklich gute Fachhändler, mit denen man reden kann! Das erweitert meinen Horizont, denn ich bin weit davon entfernt, alle Produkte zu kennen. Dazu ist der Markt auch viel zu groß im Vergleich zur Welt der Parfüms.

Trotzdem kann diese meine/unsere Tätigkeit natürlich Auswirkungen auf den kommerziellen Erfolg oder Misserfolg eines Produktes haben: Da gibt es Produkte, die von uns verhältnismäßig hoch bewertet wurden und sich preislich dann als absolute „Schnäppchen“ entpuppten ebenso wie sehr hochpreisige Produkte, die manchmal nur im hinteren Mittelfeld landeten. Mit ersterem werben dann (vollkommen zu Recht) Hersteller und Händler und ich würde wetten, dass es eine ganze Menge Konsumenten gibt, die ausschließlich auf solche Produkte schielen. „Warum viel Geld ausgeben, wenn es auch für wenig geht?“ Das ist nachvollziehbar und dagegen lässt sich nicht viel sagen, nur: wenn man ausschließlich so handelt, entgehen einem alle herausragenden Produkte, die keine preislichen Schnäppchen sind!

Man muss ehrlicherweise sagen, dass solche „Superschnäppchen“ ebenso die Ausnahme sind wie die „durchgefallenen“ Primadonnen. Man kann vor allem keinerlei Regeln ableiten, vor allem nicht die, dass ein bestimmter Hersteller besonders preiswert ist und ein anderer besonders überteuert, denn meist sind die Schnäppchen wie die durchgefallenen Primadonnen bereits Einzelfälle im jeweiligen Portfolio des Produzenten. Das sind Ausbrüche nach oben wie unten. Glücklich wer sie lokalisieren kann! Ob der Produzent ein ganz kleiner ist oder ein ganz großer mit internationalen Vertriebswegen, das spielt keine Rolle.

Das, was an meinem Testen und Bewerten so besonders ist, das ist die Freiheit, der dieses Testen unterliegt, denn ich muss kein Produkt verkaufen, ich muss keines empfehlen, ich muss noch weniger eines selbst kaufen und mir vor allem keine Gedanken darüber machen, ob ein Produkt einem bestimmten pekuniären Wert entspricht. Ich weiß deshalb auch nicht, ob ich es mir leisten könnte. Ich kann mich ausschließlich und bedingungslos auf das Produkt einlassen. Ganz emotionsfrei! Aus dieser Erfahrung heraus habe ich mir angewöhnt, vieles heute aus dieser Perspektive zu betrachten. Letztlich ist der Zugang ein bisschen wie ein Besuch im Museum: da kommt ja auch kein einigermaßen vernunftbegabter Mensch auf die Idee, die Bilder und Statuen nach ihrem „Wert“ zu beurteilen. Das so emotionsfrei zu versuchen kann ich nur jedem empfehlen! Denn die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse als Ausgangspunkt der Betrachtung wären bei einem Besuch z.B. des Louvres selbst für Milliardäre niederschmetternd!

Ach eines noch! Apropos Geld. Fast hätte ich es vergessen: ich war und bin immer bereit, jenseits von Materialkosten etc. für Kreativität zu bezahlen. Aber das sollte eigentlich auf einem Feld, wo es auch um Kreativität geht wie hier, eh selbstverständlich sein! Hier wird es dann mitunter auch emotional (wenngleich ich in der Lage bin, auch diese Emotionen präzise zu erklären und zu hinterfragen, so reflektiert bin ich dann schon), aber das sind meine Emotionen! Ganz allein meine! Da hat kein anderer mit seinen Banalitäten aus der Perspektive eines Geldbeutels etwas zu suchen!

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