
Parfum oder Persönlichkeitsstörung? – (D)Eine Reise vom Duschgelträger zum Duftdiktator
Letztens ging es im allabendlichen Parfumo-Chat, dem Parfumo-Ticker für Erwachsene, um die Frage: Wieviele Parfums sollte man maximal haben, ab wann ist man ein Duftmessie und macht das alles überhaupt noch einen Sinn?
Also möchte ich euch meine vier Stufen der Duft-Besessenheit erklären. Vom unschuldigen Anfänger, über den völlig euphorischen Fortgeschrittenen, bis hin zum vollentwickelten Parfumpsychopathen mit 500 Flakons und leeren sozialen Kontakten.
Als Endboss der Duftwelt…der Influencer, mit Ringlicht und einem unten in der Box verlinkten Rabattcode.
Du möchtest wissen, wie es ist, wenn man mehr als 500 Parfums besitzt und trotzdem keinen Plan vom Leben hat? Dann nimm Platz, gönne dir einen Malibu, egal ob du auf einer Party in irgendeiner Bucht bist, oder bei dir auf der Couch.
Am besten mit ein paar Sprüher Molecule 01, damit du unbemerkt bleibst.
Der erste Sprüher oder Der Weg ins Verderben
Du hast gesprüht. Einmal. Vielleicht Dior Sauvage. Vielleicht Bleu de Chanel. Vielleicht etwas, das wie Frühlingsregen auf dem Oberschenkel eines Einhorns duftet. Und in diesem Moment war es passiert: Du bist in den Abgrund gefallen.
Willkommen in der Welt der Parfums, jenem kostspieligen und olfaktorischen Kaninchenbau, in den Männer (und Frauen) fallen, wenn sie einmal „Compliment Getter“ „Pantydropper“ auf YouTube hören und denken: „Ich rieche also, also bin ich.“
Der Anfänger – Duschgelträger mit Minderwertigkeitsomplexen
Du bist frisch in der Parfumwelt. Noch riechst du nicht nach Selbstzweifel, du hast sie nur. Du möchtest gut riechen, Komplimente bekommen, vielleicht sogar ein bisschen Sex. (Spoiler: Wird nichts. Aber wenigstens riechst du gut.) Du besitzt exakt drei Düfte und hast trotzdem das Gefühl, ein wandelndes Parfumlexikon zu sein. Du weißt jetzt, dass „EDT“ nicht für „Extra Derbe Typen“ steht, und dass „Nischenduft“ nicht bedeutet, dass er im Abverkaufsregal bei dm lag.
Typische Sammlung:
Dior Sauvage – das Pflichtabitur unter den Düften.
Bleu de Chanel – duftgewordenes Bewerbungsgespräch.
YSL Y EDP – der „Ich will was anderes, aber doch das gleiche“-Duft.
Deine Routine:
Drauflos sprühen. 3 Sprüher? 8? 20? Keiner weiß es. Die Luft ist stark, der Selbstwert gering.
Und natürlich die wichtigste Frage: „Wie lang hält der bei euch?“… als wäre das Leben ein Longevity-Test.
Absolute Duftverbote:
Axe Dark Temptation (obwohl deine Ex-Freundin das immer geliebt hat).
Tabac Original, außer du bist ein 80-jähriger Zahnarzt mit Goldkette.
Jetzt schon alles unter 20 Euro. Es sei denn, du willst riechen wie „Rückgaberecht bei TK Maxx“.
Der Fortgeschrittene – Der Snob mit dem Ambroxankomplex
Du bist jetzt gefährlich. Du hast noch mehr YouTube gesehen, Fragrantica durchgelesen und bist bereit, dir in einem 4-Stunden-Duftvergleichsvideo erklären zu lassen, warum Ambroxan nicht gleich Ambroxan ist.
Du hasst Mainstream und trägst ihn trotzdem…heimlich. Du hast jetzt über 30 Düfte und lachst über Menschen mit nur einem Signature Scent. Du hast „Drydown“ und „Sillage“ in deinen aktiven Wortschatz aufgenommen und fängst an, deine Parfums nach Wetterlage, Tagesform und Mondphase auszuwählen.
Typische Sammlung:
Amouage Interlude Man – Rauch. Mehr Rauch. Noch mehr Rauch.
Encre Noire – Depression, aber bitte stilvoll.
Aventus Clone – Ananas, Eitelkeit und falsche Hoffnung…außerdem hat der Amouage schon extrem viel gekostet
Sprühroutine:
6 Sprüher, präzise wie ein Scharfschütze, das hast du ja schließlich oft genug in göttlich geprägten Videos gesehen. Einmal zu viel und du vertreibst Insekten im Umkreis von 12 km.
Verbotene Düfte:
Dior Sauvage – wurde zu oft gehypt, reichst du an jeder Ecke, Jetzt ist er dir „zu Mainstream“.
Zara – guter Duft, aber extrem schlechte Moral.
Baccarat Rouge 540 – zu beliebt. Du bist elitär und weder ein Fahrstuhl noch eine Fußgängerzone…und ja ich weiss, es heisst Aufzug, allerdings klingt Fahrstuhlmusik lustiger als Aufzugsmusik.
Der Profi – Olfaktorisches Wrack mit Regalwand oder Der Duft-Messie mit Gottkomplex
Du besitzt 500 Flakons. Jeder davon hat eine Geschichte. Keine gute, aber eine teure. Du trägst kaum noch etwas…deine Sammlung ist Heiligtum, kein Gebrauchsgegenstand. Du schenkst Flakons keine Liebe, nur Lichtschutzfolie und Klimaregulierung.
Deine Kreditkarte weint bei jedem Launch von Xerjoff, aber du beruhigst nd therapierst dich einfach selbst mit mehreren Sprühstössen Ombre Nomade.
Sammlungsauszug:
Zoologist Bat – Tropenfrucht trifft Kellerassel.
Frederic Malle Musc Ravageur – Geruchgewordener Wahnsinn.
Haibah – Duftgewordener Reichtum in Flaschenform (obwohl du Miete und drei Autoraten schuldig bist).
Sprühroutine:
Einer. Vielleicht. Wahrscheinlich gar keiner. Du trägst deine Düfte innerlich. Du bist jetzt Parfum, du brauchst keinen Duft mehr, um zu duften. Du BIST Molekül.
Du besitzt mehr Parfums als Unterhosen. Du betreibst Duftrotation mit Tabellenkalkulation und hältst Leute mit nur 50 Düften für „minimalistisch“. Du sagst Dinge wie „Diese Ambra ist eindeutig nordafrikanisch“ und meinst das absolut ernst.
Was du meidest:
Acqua di Gio – riecht wie eine gute Entscheidung…und die triffst du nie.
La Nuit de L’Homme - (immer noch, doppelt gehasst).
Alles, was glücklich macht. Emotionale Reife ist der Tod jeder Duftkarriere.
Der Duft-Influencer - Parfum als Persönlichkeitsersatz oder Wenn du nicht sprühst, sondern predigst
Du bist über den Profi hinaus. Du hast nicht nur Parfums…du hast eine Zielgruppe. Deine Wohnung sieht aus wie eine Mischung aus Douglas und Filmstudio. Du sprichst vom neuen Release, als sei es DAS Messiasparfum. Denn, du bist kein Duftträger mehr…du bist Missionar. Deine Parfums sind nicht nur Gerüche, sie sind Statements. Und deine Instagram-Story ist ein endloser Schwall von Flakons, Rabattcodes, und dem Satz: „Das ist mein neuer Lieblingsduft … für diese Woche.“
Du sprichst mit Lichtgeschwindigkeit über Ambroxan-Molekülstrukturen, hast dein Badezimmer in ein Filmset verwandelt und behauptest öffentlich, du würdest Molecule 01 “nicht mehr hypen”, während du gleichzeitig ein Reel mit deinem Scent of the Day hochlädst…natürlich Verano von Ormonde Jaye.
Must-haves:
Spirituose Double Vanille – Vanilla-Boy in Flakonform.
Bond No.9 – für das „New York Feeling“ in deinem Dorf.
Die komplette Initio-Kollektion – nur damit du in deinen Videos immer wieder das Wort „feromonisch“ sagen kannst.
Dein Alltag:
Drehst 14 Reels am Tag.
Hast 12 Rabattcodes, die du natürlich selbst benutzt…denn du hast absolut kein Gewissen mehr.
Schreibst „nicht gesponsert“ in jede Story, obwohl du mindestens drei Samples vom selben Duft bekommen hast.
Verboten:
Dior Sauvage Eau de Toilette…öffentlich: bäh. Privat: immer noch geil.
Drogerie-Düfte…du bist keine Drogerie, du bist ein Konzept.
Menschen, die fragen: „Brauchst du wirklich so viele Parfums?“ – Blockiert.
Pflichtsprühung:
1 Sprüher. Reicht. Du bist kein Träger mehr. Du bist jetzt ein Kurator und hast das alles einfach nicht mehr nötig. Treffen dich deine Fans in freier Wildbahn, wissen sie, dass du einfach gut riechst.
Verbotene Inhalte:
Alles, was du bei in der Drogerie findest, außer Kaltwachsstreifen und Bartwichse.
Alles unter 100€.
Alles, was tatsächlich gefällt, denn Geschmack ist schließlich was für Amateure.
Duft oder Delirium?
Du bist, egal auf welcher Stufe, Teil einer unfassbar sinnlosen und herrlich absurden Welt. Du jagst flüchtige Moleküle wie andere Leute ihre(n) Ex…mit extrem viel Einsatz, wenig Logik, und jeder Menge Schuldgefühlen.
Denn wer 500 Düfte besitzt, hat meist keine Antworten mehr…nur noch Nuancen.
Am Ende bleibt die Frage: Wofür das alles? Für Komplimente? Für Selbstverwirklichung? Für die Illusion, dass du durch Duft besser bist als alle anderen? Vielleicht…oder vielleicht nur, weil du dich weigerst, emotionale Reife zu entwickeln, und stattdessen versuchst, sie mit einem 1000€ Flakon voller Oud aus Dubai zu kompensieren.
Aber hey, wenigstens riecht deine Lebenskrise nach komorischem Pfeffer, laotischem Oud und Bourbon-Vanille.
Bonus-Tipp für ganz Harte:
Wenn du jemals einen Duft als „olfaktorisches Meisterwerk mit balsamischen Anklängen“ beschreibst, während mit Socken und Unterhose in der Küche sitzt…denn dann und nur dann bist du in der Duftwelt des Wahnsinns endgültig angekommen.
Edit: …natürlich sollte man meinen Blog nich immer ganz so ernst nehmen, allerdings steckt wie immer ein Fünkchen Wahrheit mit drin.
Ich bin nachdenklich geworden. Aber der Gedanke beschäftigt mich ja schon länger, ob ich alle Tassen im Schrank hab angesichts dessen wieviel Mühe, Zeit, Geld und Enthusiasmus ich in das Thema meine Beduftung stecke. Es ist genau so, wie du schreibst.
Hast du übrigens richtig toll verfasst! Klar muss man das Thema psychische Vollstörung humorvoll verpacken, da hast du vollkommen recht. So liest es sich natürlich leichter. Aber Wahrheit bleibt weniger witzig. Es ist alles andere als gesund.
Pokal für dich.
Daher: Na, und ? ;-)
Irgendwie muss man seine Zeit in diesem Jammertal ja rumkriegen. Und dabei gut duften und sich ein wenig selbst hypnotisieren, oder ? Wenn andere auch davon hypnotisiert werden, umso besser. Wenn nicht, müssen sie sich ihre Zeit eben anderswo vertreiben !
Herzlichen Dank für die herrlich unterhaltsame psychologische Satire hier oben. Selten so geschmunzelt. Ich glaub, ich les sie gleich nochmal ... bin zwar erst auf Stufe zwei, aber das alles klingt so verführerisch WAHR. Wetten, dass Du selbst circa 1000 Düfte im Regal stehen hast und selber Duftverkäufer*in bist ??
Hoffe der Beitrag bleibt erstmal auf der Startseite.
LG Karsten 🤙
Und Deine Typologie scheint auch gegendert zu sein?!
LG Karsten 🤙
😬😬😬
Oha! Das lässt natürlich Aussagen über deine Motivation zu.
🫣🤭
Gewartet wie auf die Sonntagszeitung. Es wurde abgeliefert.
Obwohl mir bei „Duschgelträger mit Minderwertigkeitskomplexen“ kurz die mulmig wurde. Ich habe doch keine Minderwertigkeitskomplexe. Oder doch? Nein, oder?
Ansonsten: wieder mal herrlich geschrieben 🏆