The Night

الليل

Editions de Parfums Frédéric Malle 2014

Es gibt Düfte, die man trägt, um Komplimente zu bekommen – und dann gibt es The Night. Ein Duft, der dich nicht fragt, ob du bereit bist. Er überfällt dich einfach.

Beim ersten Sprühen war ich kurz davor, den Notruf zu wählen. Ein animalischer Einschlag, als hätte ein Moschusochse ein Date mit einem frisch geölten Lederhändler. Das Opening ist brutal – fruchtige Himbeere trifft auf brauseartige Bergamotte, doch das Oud ist von Anfang an unverschämt dominant: barnyard deluxe. Für meine Kollegen war’s ein olfaktorischer Angriff, ich erntete verständnisloses Kopfschütteln – vollkommen zurecht.

Doch dann… dann passiert etwas. Der Duft beruhigt sich. Der anfängliche Stall verwandelt sich langsam in einen Gewürzbasar aus Tausendundeiner Nacht. Rosenwasser, Safran, Muskatnuss, Piment – alles tanzt im Herzstück orientalisch auf meiner Haut. Die Basis? Eine rauchige, dunkle Umarmung aus Adlerholz, Sandelholz, Weihrauch und Myrrhe. Schwer, warm, geheimnisvoll.

Ich habe “The Night” einmal großzügig auf meinen Kaschmirschal gesprüht – 5-6 Sprüher. Fehler oder Genialität? Schwer zu sagen. Der Duft war tagelang präsent. Die Sillage? Geisteskrank. Die Haltbarkeit? Über 12 Stunden ohne Mühe. Auf Wolle sogar noch länger – fast schon ein Parfum-Tattoo.

Einmal trug ich ihn an einem frostigen Morgen, nichtsahnend. Drei Sprüher. Dann ein vierter. Beim fünften wurde mir plötzlich schwindelig. Mein Sichtfeld verengte sich. Ich schloss die Augen – und als ich sie wieder öffnete, stand ich mitten in einer Wüste. Kamelherde, Rosensträucher, Gewürze, Hitze – alles real. Oder war es ein Traum? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn The Night fühlt sich an wie ein Trip durch den Orient, verpackt in einer schwarzen Flasche.

Er ist kein Duft für den Alltag. Kein Crowdpleaser. Eher ein olfaktorischer One-Night-Stand, der dich mit einem verkaterten Lächeln zurücklässt. Und trotzdem… will man irgendwie mehr.