Classic Collection: Voyage à Granada

Jabuticaba
17.05.2019 - 12:36 Uhr
3
8
Flakon
6
Sillage
1
Haltbarkeit
9.5
Duft

Über das Nichts oder die Funktion der Zahl Null.

Nach dem Sprühstoss auf meine eher trockene Haut entfaltet sich ein Blütenrausch mit der vegetativen Wucht einer explodierenden Samenkapsel. Eine Inszenierung von extravaganter
Üppigkeit welche die ganze Aufmerksamkeit absorbiert. Alles zeigt sich auf Anhieb, von Jasmin und Orangenblüten bis Tuberose im Verband von Tolubalsam und Vanille. Der Duft präsentiert sich mit der Dichte eines maurischen Ornamentbandes, alle Aspekte sind miteinander verwoben und verknüpft. Der Anblick der rot schimmernden Alhambra an den Ausläufern der Sierra Nevada, Flamencotänzer, deren einzelne Schritte das Auge wegen der Geschwindigkeit längst nicht mehr zu sehen vermag, die fliegenden Röcke der Tänzerinnen und ihre schnörkelartigen, grazilen Handbewegungen, die an den kalligraphischen Wandschmuck der privaten Wohnräume des Emirs in der Stadtfestung erinnern. Mosaiken, lange Wasserbecken mit regloser Oberfläche, die wie Spiegel eine Erweiterung des Gartens bilden. Kleine Brunnen überall deren munteres Plätschern trotz der Hitze die Zuversicht erhalten. In den Gassen des Albaicin dichtes Gedränge, in den Bazaren Handelsgüter aus der aller Welt: Gold aus Afrika, Gewürze aus dem arabischen Weltreich, Seidenballen aus Italien und Frankreich, Wolltuch und Leinen aus Brügge und Gent und vieles mehr. Aus der Synagoge hört man den Rabbi mit seinen Schülern und in der Klosterkirche macht man sich bereit zum Stundengebet. Das prosperierende Granada ist die schönste Stadt der Welt. Wissenschaft und Künste sowie meisterliches Handwerk florieren.
Aber plötzlich: ein Bruch.
Nach ungefähr vier Sekunden ist nichts mehr so wie es war, die Blüten sind fast zur Gänze verschwunden, in der Ferne am Horizont sind selbst Tolu und Vanille nur noch mit dem Fernrohr auszumachen. Es herrscht Stille in Moll.
Granada anno 1492 zum Ersten:
Der Emir von Granada übergibt die Stadt nach monatelanger Belagerung den "Katholischen Königen" Isabel von Kastilien und Léon und dem Gatten Ferdinand II. von Aragon und begibt sich ins Exil. Damit geht die fast 800 Jahre dauernde Ära der maurisch-arabischen Herrschaft in Spanien zu Ende, denn Granada ist die letzte muslimische Enklave. Juden und Christen genossen als Anhänger einer ebenfalls monotheistischen Religion einen Schutzstatus im Kalifat Al-Andalus, man spricht daher von der "Convivencia", der Ära des Zusammenlebens dieser drei Religionen.
Granada anno 1492 zum Zweiten:
Die Katholischen Könige verfügen im sog. Alhambra-Edikt die Vertreibung der Juden.
Granada anno 1492 zum Dritten:
Christoph Kolumbus erhält nun von den Katholischen Königen trotz seiner exorbitanten Forderungen die Finanzierung und eine Art Lizenzvertrag für die Reise nach Indien. Ihm und seiner Familie werden eine Unmenge an Rechten und Privilegien zugesichert für den Fall einer erfolgreichen Reise.
So nimmt denn der Kolonialismus seinen Lauf; er wird während Jahrhunderten Gelegenheit bekommen seine allerhässlichsten Fratzen zu entwickeln, und in seinem Schatten frisst sich die Sklaverei ihre Bohrgänge in die Seelen der Menschen.
Zurück zum Duft: So wie er sich mir präsentiert eignet er sich seiner Instabilität wegen nicht als Parfüm.
Aber vielleicht werde ich mit ihm ein Spitzentaschentuch parfümieren an dem ich beim Lesen oder Sinnieren schnuppern kann.... Und im Sommer bekommt dann auch noch der Fächer probeweise was davon ab.
3 Antworten