Beatephmc
Essenzen
vor 9 Jahren - 17.03.2015
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Zurückrudern? Neuigkeiten über Eichenmoos und Erdnußmonster.

Ich bin eine von denen. Jetzt ist es raus. Der liebe Gott hat einen deutlichen Sinn für schrägen Humor bewiesen. (Oder Rache, wer weiß das schon so genau?)

Ich, die ich so herrlich schamlos und parfumpolitisch korrekt über die EU- Restriktionen gewettert habe. Ich, die ich mich fröhlich in die endlose Menschenkette der "Früher-war-alles-besser"-Lamentierer eingereiht hatte. Ein Parfumleben ohne üppig echtes Eichenmoos? Undenkbar. Blasphemie.

Und jetzt das. Jetzt krieg ich die Retourkutsche.

PICKEL. Eine Menge davon. Und mitleidige Patienten. (Leute, Mitleid ist MEINE Aufgabe.) "Oooh, da haben Sie aber einen bösen, bösen Ausschlag auf den Händen. Hach, das stell ich mir aber UN-an-ge-nehm vor. Sie haben sicher Streß, sie Arme..."

Grr. Hab ich nicht. Ich hab Nicolai´s Vie de Chateau. Und Guerlain´s Eau de Guerlain, Vintage. Und I Profumi Firenze´s Caterina de Medici. Alles ganz großartige Superduperparfums höchster Qualität und Konzentration.

Und was haben diese Parfums, was mein Körper (der ewige Verräter) so gar nicht möchte? EICHENMOOS. Echtes. Und zwar ganz schön viel davon. In Miniwinzigdosierungen scheint meine Haut ja zu faul zu sein, sich darüber aufzuregen. Aber sobald es richtig lecker wird, legt sie los. Bläschen, Jucken, Nässen, Schuppen. Gruselig, das. So muß sich ein Fisch in konzentrierter Seifenlauge fühlen.

Also, was ist das und woher kommt das eigentlich?

Der Übeltäter ist schnell dingfest gemacht. Es ist Ebernia Prunastri (...spinn ich oder hört sich das schon schwer nach Niesen an? Ts,Taxonomen...) Das echte Eichenmoos. Je hochwertiger ein Parfum ist oder je älter sein Herstellungsdatum, desto mehr von den kleinen Toxinschleudern Atranol und Chloratranol schwimmen in den Duftwässerchen herum. Kein Wunder, daß sie lustige Kontaktallergien in allen Rottönen des Regenbogens auslösen. Denn eigentlich ist diese giftbewehrte Inhaltsstoffarmada zur Schädlingsabwehr gedacht. Da hatte die Evolution wohl die Rechnung ohne uns gierige Parfumistas gemacht. Oder vielleicht gerade MIT uns?! Denn irgendwie sind wir Parfumfreaks für diese Naturmaterialen am Ende ja manchmal tatsächlich erntzunehmende Schädlinge. Wie man unschwer am Beispiel des fast ausgerotteten echten Sandelholzes belegen kann.

So, das haben wir jetzt davon. Pickel. Und in der Folge eine neue EU-Inhaltsstoffe-Richtline, die den Zusatz verschiedener potentiell allergieauslösender natürlicher Ingredienzen streng limitiert. Deshalb also die vielen Reformulierungen, die zahlreichen käsekuchenbleichen Versionen altbekannter Preziosen. Deshalb auch der ungestrafte gallonenweise Einsatz einiger synthetischer Ersatzstoffe von so unterirdischer Qualität, daß man die besten gerade mal als semigrauenhaft bezeichnen kann. (Siehe das eben genannte Beispiel Sandelholz.)

Aber Achtung - das Eichenmoos ist sogar noch zickiger! Es läßt sich nämlich erst gar nicht synthetisch imitieren. Nein, nicht mal schlecht imitieren. Bis heute hat man rein gar nichts gefunden, was man auch nur ansatzweise so oder so ähnlich riechen lassen kann. There´s nothing but the real stuff. Markig, aber wahr. Und, ich kann mir nicht helfen, irgendwie bewundernswert. Wenn´s nach Eichenmoos riechen soll, muß Eichenmoos rein. Punkt. Punkt? Na ja, vielleicht Semikolon. Denn notfalls tut man eben nur noch klitzewinzigwenig davon rein. (Cave, Wortwitz:) Problem SOLVED??? Nicht so richtig. Riecht nämlich leider nicht mehr so gut.

Tja, und eben deshalb sind sie nötig. Die endlosen Diskussionen um Normierungswahn oder Allergiker-Eigenverantwortung. Genauso wie die Diskussionen um verdeckte gewinngenerierende Marketingstrategien. (Denn schließlich ist ein großer Nachteil an Naturmaterialien, daß sie in der Regel deutlich teurer sind als ihre synthetischen Elvis-Doppelgänger...un hisoit qui mal y pense, liebe EU =;o))

Und ich jetzt? Interessant. So als jungfräulich Betroffene kann ich auf einmal ganz gut verstehen, warum es der EU, ähem, in den Fingern juckt, für die Betroffenen Allergiker Abhilfe zu schaffen. Ich kratz mich und weiß auf einmal wovon die reden. Ja. Wirklich. Fühlt sich blöd an. Ganz ehrlich. Sehr sehr nervig. Und eigentlich möchte ich am liebsten schreien: "Jaaa, verbietet doch den ganzen giftigen Naturkram. Recht hat sie, die EU. Asche über Euer unverpickeltes Haupt. WIR LEIDEN!"

Aber ganz so egozentrisch bin ich ja nun auch wieder nicht. (Log sie.) Deshalb: man sollte hier mal ganz schön auf dem Teppich bleiben. Unangenehm ist so eine Kontaktallergie ganz sicher. Aber eben nicht tödlich. Von anaphylaktischen Schocks mit Todesfolge wird beim Eichenmoos in der Medizin jedenfalls nichts berichtet. Und, wer hätte das gedacht, die kleine, fiese Erdnuß schwingt sich da zu ganz anderen Sensenmann-Qualitäten auf. Laut WHO sterben jährlich mehrere tausend Menschen an allergischen Erdnuß-Schocks. Stephen King ist nichts dagegen. (Und das gibt übrigens der aktuellen Ikea-Save-The-Children-Spendenaktion rund um Erdnußcremepäckchen gegen Mangelernährung einen seltsam zynischen Beigeschmack...)

Also, Ball flach halten, Cortison drauf und in einer Woche schwimmen die Fische wieder im glasklaren Gebirgssee. Pusteln sind weg und in der Erinnerung riecht der Duft ja jetzt noch zehn mal besser, weil man die Schnupperleidenschaft so teuer bezahlt hat. Und schließlich hat der liebe Gott ja auch den Mantelkragen erfunden. Jep. Der Herr gibt´s, der Herr nimmt´s.

Aaaargh, Schluß jetzt und schönen Abend allerseits. Muß mich ganz dringend kratzen gehen.

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