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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 8 Monaten - 16.09.2023
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Everything's coming up roses (oder: Wie entwickelt sich unser Duftgeschmack?)

Everything's coming up roses (oder: Wie entwickelt sich unser Duftgeschmack?)

Ich mag Rosen.
Genauer gesagt mag ich den Duft von Rosen. Die Blume an sich ist für mich nur eine unter vielen, aber der Duft, der ist schon toll. Zitronen mag ich auch. Im Getränk und als Duft. Und Lavendel. Also den nun weniger im Getränk, aber hach, der Duft! Und Vanille! Und Zedernholz! Und Minze – die nun auch wieder sowohl als Duft als auch im Getränk. Und – ach! Es gibt ja so viele fantastische Duftnoten! Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll zu schnuppern!

Aber woher kommen unsere Duftvorlieben eigentlich? Und warum findet meine Nase ausgerechnet Parfums mit Minze, Zitrone und Rose ganz wundervoll, während der cremige Tuberose-Kokos-Traum im Flakon daneben sich ihr überhaupt nicht erschließt? Was prägt unseren Geschmack? Sind es Kindheits- und Jugenderfahrungen? Modeeinflüsse? Die Gene?

Beim Versuch, diesen Fragen auf den Grund zu gehen, stoße ich in den Weiten des Internets zunächst auf allerlei allgemeine Informationen zu unserem Geruchssinn und erfahre, dass gerade dieser Sinn es der Forschung nicht leicht macht. Anders als beispielsweise über unseren Seh- oder Hörsinn gibt es zum Geruchssinn des Menschen kaum belastbare Daten. Und das, obwohl das Riechen für uns und unser Leben und Überleben eine wichtige Rolle spielt: Gerüche warnen uns vor giftiger Nahrung und können sogar auf Krankheiten hinweisen. Zudem helfen sie uns, geeignete Partner:innen oder Freund:innen zu finden; „jemanden gut riechen können“ ist in unseren sozialen Beziehungen und deren Aufbau immer noch tief verankert. Und wusstet Ihr, dass man sogar die Emotionen anderer Menschen über den Geruchssinn wahrnehmen kann? All das geschieht eher unterbewusst, unter anderem über Botenstoffe wie Pheromone, und es zeigt, wie sehr wir oftmals auch in unseren modernen Zeiten noch von unserem Geruchssinn abhängig sind.

Düfte beeinflussen also unser Fühlen, Denken und Handeln, und nicht nur die Parfumindustrie hat sich diese Tatsache zu Nutzen gemacht. Neben Parfums für Menschen werden beispielsweise auch Düfte für Räume, Autos, Hotels und ganze Firmenketten entworfen. Und trotzdem hinkt die Forschung hinterher: Studien wurden durchgeführt und wieder widerlegt und niemand weiß genau, wie viele Duftmoleküle es nun eigentlich gibt und wie viele unterschiedliche Gerüche wir Menschen tatsächlich wahrnehmen können. Was man jedoch herausgefunden hat (und was jede:r Parfumbegeisterte sowieso schon längst wusste): Die Wahrnehmung von Düften unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Dies liegt nicht nur an unterschiedlichen Vorlieben (wo auch immer diese herkommen mögen), sondern auch daran, „dass die Chemorezeptoren der Riechzellen – genetisch bedingt – höchst unterschiedlich ausgeprägt sind“ (1). Diese Differenz geht sogar so weit, dass ein und derselbe Duftstoff von einer Person kaum oder gar nicht wahrgenommen wird, während er bei einer anderen Person starke Kopfschmerzen auslöst. Der Grund für diese unterschiedliche Wahrnehmung ist, „dass der für diesen Geruch unempfindliche Mensch eine nicht-funktionale Rezeptorvariante in seiner Nase hat“ (2). Dieser Mensch hat also schlicht nicht das passende Näschen für den (für ihn nicht wahrnehmbaren) Duftstoff.

Also doch die Gene! Diese kleinen Biester! Sind sie also nicht nur für meine zu blasse Haut und meine knubbeligen Knie verantwortlich, sondern auch noch dafür, dass ich keine sonnencremigen Stranddüfte mag? Das wird ja immer schöner! Wird man also mit einem festgelegten Duftgeschmack geboren, so wie man eben braune Haare hat oder blaue Augen?

So einfach ist es wohl nicht. Unsere Geruchsempfinden ist sowohl von unserer Anlage (also den Genen) als auch von unserer Umwelt geprägt. So können wir schon als Embryos im Mutterleib Gerüche wahrnehmen und im Duftgedächtnis abspeichern, was sogar dazu führen kann, „dass man später als junger Menschen [sic] einen Duft noch nie selbst gerochen hat, aber darauf reagiert“ (3). So können ganz früh schon negative oder positive Assoziationen zu Düften entstehen, sagt Professor Hanns Hatt, Zellbiologe und Geruchsforscher an der Ruhr-Universität Bochum: „Wir lernen auch Düfte bewerten, mit der Mutter sozusagen. Also Düfte, die die Mutter hasst und die bei ihr besonders negative Emotionen hervorrufen, das überträgt sich auf den Embryo. Und der speichert diesen Duft schon als ganz negativ ab." (4)
Und natürlich geht diese Prägung weiter, wenn wir als Babys auf die Welt kommen. Von klein auf lernen wir, was gut für uns ist und was schlecht oder gefährlich, und wir machen positive und negative Erfahrungen, die wir unter anderem eben auch mit unserem Duftgedächtnis verknüpfen.

Die allermeisten unserer Duftvorlieben sind also entweder durch Erfahrungen geprägt oder anerzogen, vor allem durch die Eltern bzw. durch die frühen Bezugspersonen. Hierbei lernen wir als Kleinkinder insbesondere durch Beobachten und Nachahmen, was ein angenehmer Geruch ist und was nicht. Sehen wir Mama oder Papa angewidert das Gesicht verziehen, sobald es irgendwo nach Kokosnuss oder Weihrauch oder gebratenem Speck riecht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir diesen Geruch als negativ abspeichern. Später, wenn wir autonomer werden und in der Schule oder in unserem Freundeskreis eigene Erfahrungen machen, weitet sich unsere Wahrnehmung aus und wir beziehen mehr und mehr Eindrücke und Meinungen mit ein: Was mag die beste Freundin? Was ist in der Clique angesagt? Welcher Duft zeigt vielleicht sogar eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Jugendkultur?
Ob wir dabei einen Geruch als angenehm empfinden oder nicht, hängt auch zu großen Teilen davon ab, in welcher Situation wir ihn kennengelernt haben: Der erste Eindruck zählt also auch hier. Unser Duftgedächtnis ist dabei so gut ausgeprägt, dass durch bestimmte Düfte selbst nach vielen Jahren Erinnerungen geweckt werden können, positiv wie negativ. Wir tragen also womöglich ein Leben lang die schönen Dufterinnerungen an die Sommerferien auf dem Land oder an die Weihnachtsfeiern mit der Familie, aber auch die unschöne Erinnerung an den Krankenhausaufenthalt in der dritten Klasse mit uns. Und diese Erinnerungen mitsamt all den Emotionen, die daran hängen, werden auch im Erwachsenenalter durch die damit verknüpften Düfte wachgerufen. Die gute Nachricht ist dabei: „Einen Geruch, den wir in einer schönen Situation erlebt haben, speichern wir schneller als angenehmen Duft ab als einen, der uns an ein unerquickliches Erlebnis erinnert. Der Duft von Orangen etwa wird von den meisten Menschen als gut riechend empfunden, weil Orangen oft mit Weihnachten in Verbindung gebracht wird [sic].“ (5)
Auch das ist für uns Parfumbegeisterte eigentlich ein alter Hut. Sicherlich kennt Ihr es auch: Den Lieblingsduft möchte man manchmal nicht in unangenehmen Situationen oder zu traurigen Anlässen tragen, um zu vermeiden, dass negative Erinnerungen damit verknüpft werden. Andersherum wählen wir den Duft für ein besonderes Ereignis wie eine Hochzeit oder eine Urlaubsreise oft sehr sorgfältig aus, um uns dann ein vielleicht ein Leben lang an der Dufterinnerung erfreuen zu können.

Neben den Erfahrungen und Ereignissen, die unseren Duftgeschmack prägen, beeinflussen auch andere Faktoren unser Duftempfinden. Das Land, in dem wir leben (oder früher einmal lebten), und unsere Mentalität spielen eine Rolle. So haben beispielsweise US-Amerikaner:innen im Durchschnitt einen anderen Duftgeschmack als Französ:innen und bevorzugen süßere, gourmandige Düfte, während sich in Frankreich die blumig-grünen, leichteren Düfte besser verkaufen. Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel und auch landestypische Vorlieben sind einem ständigen Wandel und wechselnden Trends unterworfen.

Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. Wir lernen früh, welche Arten von Düften in unserem gesellschaftlichen Umfeld für unser Geschlecht als angemessen gelten und orientieren uns daran. Auch dies ist abhängig von der Zeit und der Kultur, in der wir leben und geprägt werden. So können die Zuordnungen "männlich" und "weiblich" sich durchaus ändern, was man beispielsweise an der Duftnote Lavendel sehen kann: Früher als eher maskulin konnotierte Duftnote eingeordnet wird Lavendel heute durchaus auch in Damendüften verwendet. Und sowieso bricht die Einteilung in Damen- und Herrendüfte immer weiter auf und viele Herstellungsfirmen schreiben kein Geschlecht auf ihre Flakons, was ich sehr begrüßenswert finde. 

Doch nicht nur unsere Gene, Erfahrungen, unser Geschlecht oder unser örtliches und soziales Umfeld, auch die Zeit, in der unsere Duftsozialisation stattfand, spielt oftmals eine große Rolle bei der Entwicklung unseres Duftgeschmacks. Diese Duftsozialisation findet meist in unseren Jugendjahren statt. Natürlich lernen wir auch davor schon prägende Düfte kennen wie das Parfum der Mama oder ein bestimmtes landestypisches Essen, aber als Jugendlicher entdecken die meisten von uns das Produkt Parfum für sich. Man bekommt vielleicht den ersten „richtigen“ Duft geschenkt oder sucht sich zum ersten Mal selbst einen Flakon in der Parfümerie aus. Und die meisten von uns erinnern sich noch gut an ihr erstes Parfum. Meines war "ck one" und ich verbinde noch immer viele schöne Erinnerungen damit. Ein Flakon ist stets in meinem Besitz und der Duft hat für mich immer etwas Tröstendes an sich, obwohl es ja eigentlich ein eher frischer, cleaner Duft ist. Und werfe ich einen Blick in meine aktuelle Sammlung, finden sich dort viele frische Düfte; hier hat mich meine erste große Duftliebe wohl geprägt. So weit, so nachvollziehbar. Die Frage, die sich mir hier jedoch noch stellt, ist: Hätte ich einen ganz anderen Duftgeschmack entwickelt, wenn ich zum Beispiel zehn Jahre älter und somit als Teenager ganz anderen Dufttrends ausgesetzt gewesen wäre? Vermutlich hieße dann mein erstes Parfum nicht "ck one", sondern "Poison" oder "Loulou", und meine Sammlung hätte sich gänzlich oder zumindest teilweise anders entwickelt.

Ich habe nun also gelernt, dass unser Duftgeschmack durch vieles geprägt wird: Gene, Einflüsse im Mutterleib, Geschmäcker der Bezugspersonen in der Kindheit, Geschlecht, Herkunftsland, Wohnort, Assoziationen mit bestimmten Erfahrungen, Freund:innen, Kultur, Geburtsjahr und vieles mehr. Sind wir also völlig diesen verschiedenen äußeren Einflüssen ausgeliefert? Zu einigen Teilen sicherlich. Insbesondere Prägungen aus der Kindheit begleiten uns oft unser ganzes Leben lang. Die gute Nachricht ist jedoch: Wir können auch als Erwachsene noch neue Duftempfindungen schaffen und auch unseren Duftgeschmack weiterentwickeln und verändern. Die Evolution hat es nämlich so eingerichtet, dass sich unser Geruchssinn den äußeren Umständen anpassen kann, um unser Überleben zu sichern, indem etwa neue Nahrungsquellen oder Gefahren auch geruchlich abgespeichert werden können. So können wir immer wieder neue Düfte einordnen und verknüpfen und unser Duftrepertoire erweitern. Jede:r Parfumbegeisterte hat dies sicher schon festgestellt: Je mehr Düfte man testet und kennenlernt, desto offener wird man, und plötzlich mag man Parfums, von denen man es nie erwartet hätte.

Ob ich also doch noch zur Liebhaberin des cremigen Tuberose-Kokos-Träumchens werde?
Zumindest Duschgel mit Kokosduft mag ich inzwischen ganz gerne.
Das ist immerhin ein Anfang. :-)

Quellen:
(1) https://www.ardalpha.de/wissen/gesundheit/geruch-riechen-gerueche-nase-geruchssinn-olfaktorisch-duft-gefuehle-sinne-geruchsverlust-100.html (abgerufen am 10.09.2023)
(2) Ebd. (abgerufen am 10.09.2023)
(3) Ebd. (abgerufen am 10.09.2023)
(4) Professor Hanns Hatt, Zellbiologe und Geruchsforscher an der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit Gerda Kuhn, Bayern 2, zitiert aus https://www.ardalpha.de/wissen/gesundheit/geruch-riechen- gerueche-nase-geruchssinn-olfaktorisch-duft-gefuehle-sinne-geruchsverlust-100.html (abgerufen am 10.09.2023)
(5) https://www.spektrum.de/news/wie-duefte-uns-manipulieren/1347043 (abgerufen am 10.09.2023)

Aktualisiert am 17.09.2023 - 01:31 Uhr
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