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vor 9 Jahren - 15.05.2015
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Neulich in Bari - ein Duftspaziergang in drei Teilen (Teil 3)

Dritter und letzter Stop des Tages: Profumeria artistica Crabtree&Evelyn und Workshop mit Francesca Dell'Oro.

Der Besuch bei Elisabetta Minennas Nischenparfumerie war der eigentliche Grund, warum ich an diesem Tag nach Bari fuhr. Bei meinem letzten Besuch im März wollte ich ursprünglich zu einer anderen Parfümerie, die aber wie die meisten Geschäfte über Mittag geschlossen hatte. Etwas ratlos schlenderte ich durch die Nebenstraßen der Hauptader Via Sparano und stand kurz unschlüssig vor dem Crabtree&Evelyn-Geschäft. Ich überlegte noch, ob ich jetzt so große Lust auf hübsche Cremes und nostalgisch duftende Kosmetik, vielleicht auch ein paar nette Blumendüfte hätte, als vor mir zwei Damen das Geschäft betraten und mir die Tür noch einen Spalt offenhielten. Also doch rein.

Von wegen Blümchenkosmetik und duftende Handcremes! Die bekommt man auch, aber in den alten Apotheker-Regalen tummeln sich die herrlichsten Schätze, ob derer Kostbarkeit ich ganz große Augen bekomme. Friedlich nebeneinander stehen hier Penhaligons und Creeds, Memos, Phaedons und Parfumerie Generales, Xerjoffs und Re Profumos, Eau d'Italies und noch viele andere Juwelen.

Die eine der Damen, ich hielt sie ursprünglich für eine Kundin, entpuppte sich als Inhaberin und stellte mir an diesem Nachmittag nicht nur eine Menge interessanter Nischendüfte vor, sondern lud mich auch zu einem Workshop mit Francesca Dell'Oro (von der ich bis dahin noch nie gehört hatte) ein. Klar doch! Das ist spannend und interessant, und kostenlos obendrein (“se è gratis, ungimi tutto” heißt es in Brindisi), natürlich nehme ich teil.

Ich gestehe, meine Erwartungen sehen in etwa so aus: Es wird vermutlich eine nette Vorstellung der Duftreihe seitens dieser Dame aus der Modebranche (langbeiniges, gnädig versnobtes Ex-Model vermutlich), ein bisschen Rumsprühen, ein paar Anekdoten und ein bisschen offensives Marketing, in einer kleinen Gruppe kann man ja gut Kaufdruck aufbauen.

Der Workshop mit Francesca Dell'Oro findet im kleinen Konferenzzimmer der Parfumerie statt, die Fenstertür zum winzigen Hof mit Bergamott-Baum ist offen und eine lauer Frühlingswind weht hin und wieder herein. Auf unseren Plätzen liegen liebevoll angeordnet Stift und Block, zwei Arbeits-Heftchen und sieben Proben von Francesca Dell'Oros Düften.

Um kurz vor halb vier kommt sie, Francesca, “die Nase”, wie Elisabetta sie ehrfurchtsvoll nennt.

Ich gestehe, für mich klingt es immer noch eher wie ein fieser Spitzname aus der Grundschule als eine respektvolle Bezeichnung für die Erschaffer von Parfums. Vielleicht geht es Francesca Dell'Oro genauso, denn gleich nachdem sie sich vorgestellt hat “Ciao, sono Francesca”, meint sie, die Bezeichnung “Nase” sei eigentlich nicht korrekt, sie sehe sich selber eher als eine “Creatrice olfattiva”, eine “Duft-Designerin” denn als eine echte “Nase”, dazu fehle ihr die naturwissenschaftliche Ausbildung.

Dafür gibt es auf jeden Fall schon einmal Ehrlichkeitspunkte, und überhaupt muss/darf ich feststellen, dass meine ganzen Erwartungen, eine nach der anderen, NICHT eintreffen.

Das mit der Modebranche stimmt zwar, und Francesca Dell'Oro ist auch modelmäßig dünn und hat ein fein gemeißeltes Gesicht von klassischer Schönheit. Aber nix mit langbeinig, sie ist bestimmt nicht größer als 1,65, zart und quirlig. Ihr Auftreten ist so ziemlich das Gegenteil von versnobt, sie ist absolut natürlich, aufgeschlossen und unkompliziert. Vergnügt erzählt sie von ihrer Heimatstadt Lecco und dass dort die Frauen eigentlich alle groß, blond und blauäugig sind und nicht selten 1,80m groß, woraufhin ihr Mann meinte, hätte er das gewusst, hätte er sich nicht so schnell festgelegt sondern sich noch etwas umgesehen.

Und von wegen ein bisschen rumsprühen, nach 45 Minuten Kaufdruck aufbauen, abkassieren und davonflattern!

Francesca arbeitet mit uns fokussiert und diszipliniert gute viereinhalb Stunden lang die Eigenschaften von 20 Duftessenzen durch und analysiert ihre Anwendung in den jeweiligen Dell'Oro-Düften. Der Workshop ist gut strukturiert und sehr interessant, mit viel Informationen und spannenden Diskussionen. Wir bekommen von jeder Essenz (außer von dem Iris-Concrete, das ist zu fest) einen Duftstreifen, den wir erst ausgiebig beschnuppern und dann in das vorbereitete Heft mit Notizen zu Namen, Herkunft und Hauptcharakteristiken kleben, zusätzlich ist Platz für eigene Assoziationen und Kommentare: Bergamotte, Rosenholz, Safran, Galbanum, Osmanthus, Ylang-Ylang, zwei verschiedene Rosen-Absolues, Zeder, Wachholder, Jasmin (Sambac), Davana, Benzoin, Patchouly, Mysore-Sandelholz, Zistrose (Labdanum), Vanille, Vetiver und das Aldehyd-Molekül C-18 Nonolakton.

Es ist äußerst faszinierend, die Duftnoten erst zu erfassen, zu beschreiben und dann in der Komposition des fertigen Duftes wiederzufinden, und sich der dabei erzielten Effekte bewusst zu werden. Die einzelnen Düfte werden ebenfalls auf einen Duftstreifen gesprüht und in ein zweites Heft, in dem die Parfums mit der Duftpyramide aufgelistet sind, eingeordnet. Ich gebe zu, das Zuordnen und Einkleben hatte etwas von Grundschul-Feeling, aber dieses anschauliche (anrüchige kann ich ja schlecht sagen) Arbeiten bleibt sehr gut in Erinnerung. Und wenn ich nicht mehr weiß, wie jetzt Osmanthus nochmal riecht, dann kann ich schnell mein Duft-Album rausziehen und nach”sehen”.

Was die Düfte von Francesca betrifft, so muss ich gestehen, dass ich mir nicht schlüssig bin, wie ich sie letztendlich finde. Ich versuche mal eine Annäherung:

Die Francesca Dell'Oros sind eher hochpreisig (um die 150 Euro für 100ml), dafür aber alle laut Kreateurin in Extrait-Konzentration (26-30% Essenzen). Obwohl sie sehr unterschiedlich sind, finde ich, dass sie alle sehr gut ihre Erschafferin wiederspiegeln: Straight, "einfach" im Sinne von "ohne Schnörkel", hochwertig, irgendwie auch diszipliniert und fokussiert, unprätentiös und zurückhaltend kühl-sexy, ohne sinnlich-erotisch zu sein.

Dieselben Elemente charakterisierten auch Francescas Outfit:

schwarz-weiß karierte, schlichte Bluse – drei Knöpfe offen, aber so fallend, dass kein Dekolleté zu sehen war (auch irgendwie eine Kunst). Mittelkurzer enger dunkelblauer Spitzenrock, dessen Unterrock eine Handbreit über dem Knie endete (auch wieder dieses ich sehe und ich sehe nichts). Dazu sportliche flache blaue Schuhe (die mit der weißen Sohle) und ein untadelig sitzender Pagenkopf mit einer Haarsträhne, die statt ins Gesicht zu fallen, mit zementiertem Schwung perfekt das Oval des Gesichts unterstrich. Natürlichkeit und Einfachheit, perfekt inszeniert.

Bis auf einen Duft, geht es mir mit ihren Parfums wie mit einem dieser tollen neuen Appartments: groß, hell, open-space, weißes/hellgraues/cremefarbenes oder auch schwarzes/anthrazites Riesen-Ledersofa, Steinböden mit modernen Teppichen, minimalistische Tische und Akzente mit plakativer moderner Kunst, alles geradlinieg und ohne Rundungen. Ganz toll und hochwertig, ich kann auch nicht sagen, dass es mir nicht gefällt, aber irgendwie... sagt mir diese moderne Schlichtheit nichts.

Oder ich muss mich erst dran gewöhnen? Vielleicht finde ich es ja nach einer Zeit in so einem Flair toll, wenn imaginär keine Zeitschriften/Bücher/Kinderspielsachen bunt durcheinanderfliegen, und statt 6 Hauskatzen in Kartons (meine Katzen lieben Weinkartons...) eine Rassekatze dekorativ herumliegt auf einem Seidenkissen. Vielleicht ist so ein adretter, straighter Duft mal eine gute und erholsame Abwechslung zu meiner sonstigen Üppigkeit von Farben und unterschiedlichsten Elementen und wirkt straffend und beruhigend auf mein (oft auch inneres) Chaos?

Allerdings sind nach meinem Eindruck die Düfte keineswegs so neutral und schlicht, dass sie sich unauffällig dem Träger anpassen. Nein, sie haben durchaus alle eine eigene Persönlichkeit – und jeder von ihnen hat Elemente, die ich für mich persönlich nicht stimmig finde.
Der einzige Duft, der mir auf Anhieb richtig gut gefallen hat, und dessen Entwicklung ich auch bis zum Schluss mochte, ist "White Plumage", ein luftiger Weihrauch-Duft, ziemlich lang anhaltend. Ich stelle mir jedoch automatisch einen Herren als Träger vor, also würde ich ihn mir nicht selber kaufen. "Francine" hat mir auch gefallen, ein kühler grüner Duft, der recht lebendig ist und ein bisschen wie ein moderner Vintage-Duft riecht, aber abgespeckt und ohne Schnörkel. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich da nicht einfach lieber einen richtigen Klassiker nehme, der intressanter ist und vielschichtiger.

Ach ja, die Flakons finde ich ehrlich gesagt scheußlich. Sie sind zwar schlicht, aber gleichzeitig irgendwie "gewollt" aufgemacht: bisschen rund, bisschen eckig, und mit einem glänzenden schwarzen Plastik-Stöpsel, der für mich überhaupt nicht hochwertig wirkt. Wieder der gleiche Eindruck bei mir wie bei den Düften: Schlichtheit mit störenden Elementen.

Auf jeden Fall war der Workshop ein unglaublich interessanter backstage-Einblick in die Materialien und die Vorgehensweise einer Duft-Designerin, und für mich eine tolle Erfahrung und sehr bereichernd. Man merkt, dass Francesca Dell'Oro mit Leib und Seele hinter ihrer Arbeit steht und nach bestem Wissen mit den besten Materialien arbeitet, und man sieht ihr an, dass sie Wert auf Disziplin, hochwertige Materialien und kompetente Partner legt.

Fazit Parfümerie: Die Profumeria Crabtree&Evelyn von Elisabetta Minenna ist eine hervorragend ausgestattete Nischenparfümerie, die zusätzlich tolle Veranstaltungen organisiert und in dieser Hinsicht dem Laboratorio San Nicola in nichts nachsteht. Die Inhaberin nimmt sich viel Zeit zur Beratung und läßt viel testen, sie behandelt ihre Kunden nach dem Prinzip "Sie kommen als Fremder und gehen als Freund" (Anm. an die Münchner: jetzt nicht an die Ingolstädter Straße und das dortige Etablissement denken!).

Ich hoffe, der kleine Barispaziergang hat Euch gefallen und vielleicht gibt es ja mal ein Apulien-Parfumo-Treffen und wir ziehen zusammen los :-)


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