Ropanski2020
Ropanski2020s Blog
vor 2 Jahren - 08.01.2022
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Momentaufnahmen und unerwünschte Begleitumstände einer Duftreise

Liebe Parfumas und Parfumos,

vor zwei Jahren begann meine persönliche Duftreise, die bis dato anhält. Und es ist schon spannend und bei näherer Betrachtung auch irgendwie seltsam, mit welchen Fragen ich mich konfrontiert sah, sobald etwa die gezielte Wirkung von Parfums zum Thema wurde.

Für jede Begebenheit soll und muss ein spezieller Duft herhalten: ob für den Besuch im nächstgelegenen Café, für das Aufsuchen eines Barbiers/ Friseursalons, für die tägliche(n) Fahrt(en) mit den ÖPNV, für Restaurantbesuche, für die romantischen Momente zu zweit, für den Paketzulieferer an der Wohnungstür oder für den abendlichen Späti-Besuch. Selbst der obligatorische Gang zu den Müllbehältnissen außerhalb der eigenen vier Wänden ist hiervon nicht ausgenommen. Jeder Gang macht bekanntlich nicht nur schlank, sondern muss auch gebührendlich, d.h. in olfaktorischer Weise, zelebriert werden.

Parallel hierzu ist in den sozialen Netzwerken zu beobachten, wie das Tragen von Parfums zum exklusives Statement hochstilisiert wird, das der eigenen Reputation und Persönlichkeitsentwicklung förderlich erscheinen soll. Der Druck, der hierdurch beim Konsumenten – insbesondere beim jüngeren Publikum – entstehen kann, sucht seinesgleichen. Es geht um (Selbst-)Optimierung, (Selbst-)Inszenierung, Etikettierung und das Erfüllen von zum Teil abstrusen Erwartungshaltungen, die fadenscheiniger kaum sein können.

Gegen die Steigerung des eigenen Selbstwertgefühls durch die Verwendung von Surrogaten ist prinzipiell nichts weiter einzuwenden, sofern hiermit eben nicht die Erfüllung von irgendwelchen Erwartungshaltungen verknüpft ist. Sobald etwas einem gesellschaftlichen Diktat unterworfen ist, so verliert es mit der Zeit jenen Zauber, der sich in dem Moment einstellt, wo man sich für eine bestimmte Sache begeistern kann.

Reicht heutzutage ein gepflegtes Äußeres (gefühlt) nicht mehr aus, um beim Gegenüber zu >punkten<, wird nach allem Ausschau gehalten, was auch nur im Entferntesten vermeintliche Individualität verspricht. Neben körperlicher Ertüchtigung (Fitness) und diversen kosmetischen Eingriffen, als radikalste Form dessen, halten früher oder später auch die wohlduftenden Wässerchen her, um das eigene Selbst wie gewünscht (wenngleich künstlich) aufzuwerten. Die Suche nach dem einen (richtigen) Parfum, das in konkreten Situationen ein Alleinstellungsmerkmal zusichern soll, ist die folgerichtige Quintessenz. Sobald jedoch die äußerliche Erscheinung durch künstliche Eingriffe zusehends verfälscht wird, setzt eine Manipulations-Synergetik ein, die den gewünschten Effekt verfehlt: durch Individualität zu glänzen.

1. Du bist einzigartig, aber bitte vergesse für einen Moment, dass ich dir soeben einen Duft empfohlen habe, dessen DNA so gewöhnlich und so massentauglich ist, dass man nicht Gefahr läuft, sich in seinem Hang nach Individualität und Besonderheit zu verlieren.

Wenn (aber) jeder jeden in seinem Wirken irgendwie manipuliert, indem Gewünschtes permanent gespiegelt wird, wie viel zählt dann überhaupt noch die Meinung des Gegenübers, weiß doch jeder, was der andere in jenen Momenten hören will und auch erwartet? Welchen Wert hat dann die bloße Äußerung, der erhoffte Effekt als solcher? Und wieso sollte mich die Meinung des Gegenübers dann überhaupt noch interessieren? Die Selbsttäuschung ist (dann) nahezu vollkommen.

Als vor einem Jahr mein näherer und entfernterer Bekanntenkreis von meinem Hobby erfuhr, flatterten bei mir nach kürzester Zeit die allseits bekannten Anfragen rein: „Sage mal, was würdest du mir für den Zeitpunkt A an Ort B an Düften C konkret empfehlen?“ „Glaubst du, dass der Duft A im Kontext B bei Personenkreis C gut ankommen wird?“ Alsbald winkte ich nur noch entnervt ab, weil mich solche Fragestellungen überhaupt nicht interessieren.

Der Versuch, denselben Leuten zu erklären, dass die Duftwahl in erster Linie eine Frage des persönlichen Geschmackes und weniger die einer rein äußerlichen Zuschreibung ist, also vor dem Hintergrund bestimmter Erwartungshaltungen (Dritter) zu treffen wäre, stieß weitaus häufiger auf Gegenwehr als auf Zustimmung, in der Regel gefolgt von einem symbolhaften Augenrollen nebst bedröppelten Schweigen. Ein Muster, das sich auch in der Gegenwart mir unbekannter Personenkreise stetig wiederholte und nicht selten von einem seltsamen Affekt der Klage getragen wurde, die umso folgenschwerer war, je stärker das Vertrauen in die verheißungsvolle(n) Glaubhaftmachung(en) sogenannter Duftexperten in den sozialen Netzwerken wirkte.

2. Sie sind das Suchen leid? Kein Problem. Wir helfen ihnen garantiert, den für sie passenden Duft zu finden! Mit diesem Duft wird ihnen garantiert die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen zuteil.

Gewiss hat der Einsatz von Riechstoffen in Parfums von jeher die Funktion, die eigene Attraktivität zu stärken bzw. positiv zu unterstreichen, indem bspw. Körpergerüche übertüncht oder in eine gewisse Richtung verstärkt werden, zugleich steht aber auch das eigene Wohlempfinden, dessen Stärkung im Fokus, fernab von den Einschätzungen eines Gegenübers.

Insofern ist das Thema durchaus ambivalent. Jedoch scheint mir in den letzten Jahren das Pendel hauptsächlich nur noch in die tendenziell egozentrisch-exhibitionistische, >sich selbst in der Öffentlichkeit präsentieren und zelebrieren wollen<-Richtung auszuschlagen. Mit dem Ergebnis, dass sich alle Welt nur noch darauf konzentriert, ob der Verbund aus individueller Körperchemie und zugefügten Riechstoffen die unmittelbare Umgebung vollumfänglich einzuverleiben weiß.

3. Hauptsache der Duft hat die nukleare >Kraft< alles und jeden einzuhüllen...

...hört man aus den Echokammern der Marktforschung schallen. Man könnte meinen, die Industrie sieht größtenteils im hemmungslosen Narzissmus ihren primären Kundenstamm.

Wer positiv auffallen will, sollte eher an der eigenen Persönlichkeit aktiv arbeiten, als über diese kübelweise Riechstoffe niederregnen zu lassen, in der Hoffnung, aus dem Frosch werde umgehend ein Prinz etc.

In diesem Sinne:
Tragt bitte nur Düfte, die euch auch gefallen, selbst wenn das bedeutet, diese im stillen Kämmerlein genießen zu müssen. Denn in solchen Momenten seit ihr eurem >Ich< viel näher als euch irgendein Werbeslogan oder Duftratgeber weismachen will und auch kann.

Teilt mir gerne eure Meinung mit. Freue mich stets über rege Beteiligung. 😃

Wünsche euch allen ein schönes Wochenende und auch weiterhin einen guten Start ins neue Jahr.

Lieben Gruß
Ropanski2020

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