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vor 9 Monaten - 25.08.2023
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Evolution und Geruchswahrnehmung, oder: die Schlechten riechen länger

Die Pessimisten und Murphy sagen: Dinge werden schiefgehen. Und so ist es auch. Das Leben ist voller Hürden, Steine und Probleme. Shit happens und life is a bitch.
Deshalb ist es von Vorteil möglichst gute Frühwarnsysteme zu haben, um die Unbillen des Lebens schnell zu erkennen und ihnen auszuweichen. Unsere Sinne sind zum Glück genau solche Warnsysteme und wir haben gelernt, welche Signale Gefahr bedeuten. Wenn irgendwas faulig riecht, beißen wir nicht rein, wenn wir Rauch wahrnehmen, rennen wir weg. Unsere Nasen sind im wahrsten Sinne des Wortes hervorragend! Und sie haben auch einen direkten Draht zu unserer Amygdala, vorbei am jüngeren rationalen Präfrontalen Kortex, direkt ins evolutionär ältere Gefühls- und Erinnerungszentrum, was erklärt, wieso Gerüche so unmittelbar Erinnerungen reaktivieren und auch wieso uns oft die passenden Worte fehlen, wenn wir einen Duft beschreiben wollen.
Es erklärt aber auch das leidige Phänomen, dass wir Düfte, die wir nicht mögen oder als unangenehm empfinden, länger oder stärker wahrnehmen als tolle, wohlige Lieblingsparfüms. Die Sillage eines Müllautos an einem schwülen Tag ist wohl kaum zu übertreffen. Wie viel mehr wohlige Duftessenzen müsste es wohl transportieren, um eine ähnliche Wirkung in positiver Weise zu erzielen? Man sagt, Kleopatra habe die Segel ihrer Schiffe parfümieren lassen ... eine paradiesische Vorstellung. Aber welch riesige Mengen an Duftessenz, wird es gebraucht haben, dass diese parfümierten Segel auch wirklich weithin wahrnehmbar waren? War ja schließlich kein Müllauto.
Wenn ein Duft neu oder unangenehm ist, meldet das Hirn erstmal Alarm. Wahrscheinlich nehmen wir es verstärkt wahr, bis wir auseinander klamüsert haben, was da wohl so riecht und ob es Gefahr bedeutet. Und sobald das Hirn kapiert hat, ach so, nur das neue Parfüm, alles easy, Wohlfühlmodus, schaltet es sozusagen auf Durchzug. Testen wir einen Duft auf der Haut und mögen ihn nicht, können wir uns sicher sein, dass unser liebes Hirn sehr lange und zuverlässig vermeldet, dass er noch da ist und sei es auch nur ein winziges Tröpfchen irgendwo am Daumengelenk. Finden wir den Duft hingegen paradiesisch und traumhaft schön, müssen wir Glück haben und vielleicht auf die sogenannte "Performance" des Parfüms hoffen, damit uns die wohlige Wahrnehmung erhalten bleibt und nicht flöten geht. Oder wir sprühen und sprühen wie wild, immer in der Hoffnung das Gute hervorheben zu können. Aber das ist anscheinend nicht das Game der Evolution. Wer Fehler und Risiken schneller entdeckt, überlebt. Wer entspannt im Paradies ein Nickerchen hält, den holt sich der Tiger.
Insofern ziehe ich wehmütig den Hut vor der Cleverness der Evolution, und hoffe trotzdem weiter, dass der Fokus aufs Gute vielleicht auch irgendwann mal als Überlebensvorteil in die Annalen unseres Körpers eingeht, so dass es Zukunftsnasen leichter haben, die tollen Düfte so lange wahrzunehmen, wie sie wollen.

Quellen:
Edwin T. Morris: Düfte. Die Kulturgeschichte des Parfüms
Piet Vroon: Psychologie der Düfte

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