Fahrenheit Dior 1988 Eau de Toilette

Eines Abends kurz nach der Jahrtausendwende hänge ich mit ein paar der Älteren in der Innenstadt ab. Ich bin damals etwa 14 Jahre alt. Es muss Wochenende gewesen sein, denn in der Umgebung jener Bar, welche es in unserem Microkosmos zur Bedeutsamkeit erlangt hatte, taten es uns mehrere Grüppchen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gleich. Mit uns gleich tuen meine ich draußen herumlungern und Alkohol trinken. Vortrinken, um nicht so viel Kohle in der Bar lassen zu müssen, oder gänzlich draußen trinken, weil man wie ich zu jung ist und trotz aller kläglichen Versuche älter zu wirken, bestenfalls vom Barpersonal verarscht wird.
Irgendwann ist es dann wieder soweit, der Zirkus beginnt. Klassisches Szenario, wenn sich ein Haufen Halbstarker, dank lecker perliger Kaltgetränke nun mit prächtigen Biereiern versehen, an die Arbeit macht, die allgemeine Rangordnung auszuknobeln. Es fliegen die Fäuste. Mitten im Handgemenge vernehme ich plötzlich diesen Duft. Ich hatte diesen Duft zuvor schon einmal in der Nase gehabt, ich glaube es muss der Vater eines Freundes gewesen sein oder so. Ein Duft so einzigartig, vielseitig und irgendwie widersprüchlich. Es war mehr als ein Parfum, mehr als ein Duft, es war ein olfaktorische Gemälde. Ein tiefgründige Unterhaltung zwischen dem allmächtigen Gott und dem Teufel, welche sich in einer molekularen Duftkomposition offenbart und nun abermals seinen Weg von der Haut meines Gegenübers in die Tiefen meiner Nasenhöhle findet.
Dort steht er - "Türken-Thomas" nennen sie ihn. Gegeeltes, lockiges, schwarzes Haar, einer langer beige-farbender Mantel und ein schwarzer Rollkragenpulli. Er ist mit seinen etwa 18 Jahren wesentlich zu jung für seinen Look. Nachdem also auf beiden Seiten alle ein wenig kassiert haben und die Biereier nach und nach abschwellen, gehe ich auf Thomas zu, hinter die feindliche Linie, wenn man so will. Ich hab nie wieder in meinem Leben diesen Stolz in den Augen von jemandem gesehen, wie in Thomas Augen in dem Moment, als er mir den Namen von seinem Parfum nennt. Fahrenheit. Ich bin verliebt. Nicht in Thomas, sondern in Fahrenheit. Den Namen dies Duftes nun zu kennen, erscheint mir in diesem Moment, als hätte ich einen Schatz gefunden, oder eher eine Schatzkarte. Denn hier kommt das Dilemma. Das erfragen des Durftes wurde begleitet von der erschlagenden Erkenntnis, dass dieser Duft kein Duft für einen 18-Jährigen Thomas ist und schon gar nicht für ein 14-jährigen kleinen Furz, wie mich. Und so begann sie, die Reifezeit. Ich wusste, dass ich eines Tages zu diesem Duft zurückkehren würde und wir endlich zusammen sein könnten. Ich habe nie Parfum getragen. Mit Mitte zwanzig schenkt mit meine damalige Freundin Armani Code. Ich hab die halbvolle Flasche heute noch. Das Meiste davon haben mein Jungs aufgetragen. Ich bin jetzt 36 Jahre alt und habe Anfang letzten Jahres den Entschluss gefasst mir einen Duft zuzulegen. Halleluja, down the Rabbithole, ihr kennt den Scheiß. Das Fass machen wir jetzt gar nicht erst auf. Etliche hunderte Euro und zig Proben und Fomo-Käufe später zieht es mich schließlich zurück zum einzig wahren Duft, welcher immer meiner war. Ich war ängstlich, hatte Sorge enttäuscht zu werden. Hatte Sorge, ich wäre noch nicht soweit, oder noch schlimmer, alles nur Illusion, der Duft untragbar, irgendwie nicht ich, nur ein Phantom, ein Hirngespinst.. Seit Fahrenheit nun bei mir ist, erfahre und entdeck ich jeden Tag immer wieder neue Facetten, ich wache auf und freue mich auf ihn. Er offenbart sich in einer nie für möglich gehaltenen Form und fühlt sich an wie die perfekte Erweiterung meines Seins. Und ich weiß, der Duft heute ist nicht der gleiche wie der von damals, aber vielleicht musste auch er noch etwas reifen. Und vielleicht läuft mir ja mal eine Vintage-Flasche über den Weg und dann begeben wir uns gemeinsam auf eine kleine Zeitreise, in eine Zeit in der ein Parfum mich Ehrfurcht gelehrt hat.