Profumo
06.09.2011 - 07:09 Uhr
10
Top Rezension
10
Haltbarkeit
8
Duft

Ein wilder Geselle: halb animalisches Geschöpf und vibrierend vor Lust - ein Satyr eben.

Wer das Parfumforum ‚perfumeoflife’ kennt, und dessen ‚talk about perfume’ womöglich schon seit einigen Jahren verfolgt, dem dürfte Armando Martinez (alias ‚for the love of mando’ bzw. ‚Rufus T. Firefly’) bestens bekannt sein: ein ausgesprochen engagiertes Mitglied, dessen geistreiche Posts vor Witz und Humor nur so sprühen. Sein visuelles Markenzeichen: ein großer, buschiger Schnurrbart. Seine größte Leidenschaft: die großen Klassiker der Parfumgeschichte.
Eines Tages begann er damit Parfums selbst zu kreieren, zu Hause und in ganz kleinem Maßstab, mit nur einem einzigen Vertrieb weltweit: Herrn Wuchsa aus Bruchsal. Über ihn und seine Mitarbeiter sagte Armando Martinez einmal: “These guys rock!!“

Ab 2007 gab es zunächst vier Düfte: ‚Benefactor’, ‚Macquillage’, ‚Pillow of Flowers’ und ‚Satyr’. Sie waren in 50ml Apothekerfläschchen mit Pipettenverschluss abgefüllt, welche wiederum in roten Samtsäckchen steckten. In diesen verbarg sich außerdem ein minikleiner Sprühflakon, der mithilfe der Pipette befüllt werden konnte.
Äußerst neugierig auf Armandos Werke erwarb ich umgehend (und ungetestet) zwei von ihnen, und war auf das Angenehmste überrascht – dieser humorvolle und sympathische Typ hatte tatsächlich gute Arbeit geleistet! Natürlich waren die Düfte nicht vergleichbar mit der Komplexität eines Jean-Paul Guerlain, der Raffinesse eine Jean-Claude Ellena oder der stilistischen Eleganz einer Patricia de Nicolaï, aber ‚so what’ - sie rochen (und riechen noch immer) fantastisch!

Besonders ‚Satyr’ hatte es mir angetan, so gut und wohlriechend auch der Orientale ‚Benefactor’ ist – aber ich bin nun mal ein Chypre-Fan, und ‚Satyr’ ist Chypre ‚at it´s very best’. Inspiriert wurde es, wie könnte es anders sein, von den großen fruchtigen Chypre-Klassikern der Vergangenheit, solchen wie ‚Mitsouko’ und ‚Femme’ de Rochas, aber es ist wilder, ursprünglicher, rauer, animalischer: eine Sinnenfest sondergleichen!
Und Armando hat wirklich nicht gespart – hier ist Eichenmoos drin, dass einem die Sinne vergehen, hier locken saftige Früchte, dass man nur noch zubeißen möchte, und hier duftet der Wald aromatischer und verführerischer denn je (nur vergleichbar mit ‚Bois de Paradis’).
Dieser Duft ist wirklich ein olfaktorischer Satyr: halb animalisches Geschöpf und vibrierend vor Lust. Ein etwas rauer, ungestümer Geselle, ohne verfeinerte Manieren, aber auch nicht wirklich ungehobelt – ein Satyr eben, der einen mit seiner Sinnlichkeit überrumpelt, oder verschreckt.
Ich habe mich überrumpeln lassen und es nicht bereut, andere dagegen werden das Offensive als Angriff und das Lüsterne als Zumutung empfinden – ich nicht.

Dabei ist ‚Satyr’ gar nicht so ungewöhnlich konstruiert - da sind die für ein Chypre so typischen Bestandteile: zitrisch-frische Bergamotte, holziges Patchouli, bitteres Eichenmoos (gekontert mit saftigem Pfirsich - Jacques Guerlains Geniestreich lässt grüßen!) und das balsamisch-süße Harz der Zistrose. Zusätzlich aber duften in diesem wohlbekannten Reigen eine die Bergamotte stützende Zitrone und eine kräftige, würzige Nelke mit, sowie eine gute Portion ‚Ambrein’, dem aphrodisierenden Bestandteil der grauen Ambra. Gerade diese Zutaten machen den hybriden, den unrunden Charakter des Duftes aus, lassen ihn sozusagen ‚ins Kraut schießen’, und mancher wird deren Beimengung nicht ganz zu Unrecht beklagen. Doch so überflüssig sie scheinen, so charakterisierend, ja so einnehmend empfinde ich sie – anderenfalls endete der Duft als x-te Kopie der genannten Vorbilder.
So aber ist ‚Satyr’ – zumindest für mich – ein unkonventionelles, gewagtes Chypre, das sicher gesitteter und feiner ausbalanciert hätte daherkommen können, aber wäre es dann auch nur halb so aufregend?

Leider, leider hat Herr Martinez aufgehört seine Parfums zum Verkauf anzubieten. Vielleicht produziert er auch überhaupt keine mehr – ich weiß es nicht. Jedenfalls ist schon seit längerem kein einziges seiner Werke, auch nicht die später dazugekommenen ‚Kitsune’, ‚Les Fauves’ u.a., mehr erhältlich, und es scheint auch fraglich, ob wir überhaupt noch einmal in den (für manchen zweifelhaften) Genuss dieser Kreationen kommen werden.
Eine Web-Seite, ja sogar ein eigener Shop waren lange angekündigt, aber irgendwann war von all dem keine Rede mehr...
Schade.
Manche waren und sind weniger talentiert und offerieren uns bis heute wacker ihre vermeintlichen Wunderwerke. Doch Armando Christopher Martinez hat es vorgezogen sich zurückzuziehen, sein Potential nicht weiter auszuschöpfen.

Nochmals: ein ganz großes SCHADE!

Ich werde seine Düfte in Ehren halten.
2 Antworten