19.02.2014 - 13:28 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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27
Flugsalbe
Unkommentierte Düfte No. 25
„Flugsalbe, die: Unter Hexensalbe oder Flugsalbe verstand man zur Zeit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen eine Salbe, mit der sich die Hexen einrieben, um zum ,Hexensabbat‘ zu fliegen.“ Quelle: Wikipedia.
Dein Kopf dröhnt. Du kannst dich im ersten Moment des Aufwachens nicht erinnern, was mit dir geschehen ist. Um dich herum ist es dunkel, ein wenig feucht, kühl und modrig. Wie bist Du hierher gekommen? Wo bist Du eigentlich jetzt? Der Alkohol kann es nicht gewesen sein: ein einziges Glas Rotwein...doch nun beginnst Du dich zu erinnern...
Du hattest dir aus Amerika von Roxana eine Parfumsalbe ihres Duftes „Figure 1: Noir“ schicken lassen. Nach der Arbeit hast Du dir, glücklich, dass dir der freundliche Postbote das lang ersehnte Paket überreicht hat, die Salbe vorgenommen, ein Glas Rotwein vor dich gestellt und voller Vorfreude etwas auf deine Haut gestrichen. Die Haut beginnt sich ein wenig zu erwärmen, wird heiß, nicht unangenehm jedoch; seltsame, nie gekannte Düfte steigen in deine Nase. Du willst noch einmal zu deinem Rotwein greifen, siehst dir aber selbst dabei zu, wie die zittrige Hand das Glas umwirft, sich der Rotwein über dich ergießt. Dann wird es schwarz, so dunkel wie die seltsame Salbe mit Namen Noir, mit der Du dich gerade bestrichen hattest.
Nun liegst Du in dieser Dunkelheit, bist aber bei Sinnen, kannst dich mit den Augen orientieren, noch aber nicht aufstehen. Da bricht ein kleiner Schein Mondlicht hinter einem Wolkenhaufen die Dunkelheit entzwei; Du musst im Freien sein. Deine Augen beginnen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen: ein Wald. Sehr dicht ist es hier, die Bäume, überwiegend Nadelgehölz, stehen so eng, dass Du den Himmel über dir anfangs nicht bemerken konntest. Jetzt erst begreifst Du, dass Du offenbar nicht allein bist. Um dich herum bewegen sich Silhouetten: Tiere? Deine Angst wächst. Du spürst erste Anzeichen von Panik: Angstschweiß, der kühl deinen Nacken herab läuft, ein Druck in der Magengegend, Bewegungsunfähigkeit. Erst nach einer Weile nimmt dein Überlebensdrang so stark zu, dass Du aufspringst, etwas wacklig noch auf den Beinen stehst und zu laufen beginnst, erst langsam, dann schneller.
Gedankenfetzen kreisen in deinem Kopf: Wie konntest Du so leichtfertig sein, diese Salbe zu bestellen. Du hattest verschiedenes von dieser amerikanischen Marke gehört: über die wunderbaren Düfte, denen man eigentümlich verfalle. Natürlich hast Du nichts davon ernst genommen, hast geglaubt, dass all dies nur Metaphorik der Werbung und überzogenen Lyrik von Enthusiasten sei. Du bist rational begabt, ein nüchterner Mensch, aber widerstehen konntest Du doch nicht. Und nun rennst Du hier durch diesen Wald, den Du nicht kennst, fühlst dich umkreist, umringt, umstellt: Einbildung?
Während diese Gedanken wie ein wildes Heer durch deinen Kopf rasen, spürst Du, dass dein Fuß auf eine Wurzel tritt, Du den geraden Halt verlierst. Deine Beine schwanken und Du stürzt vornüber.
Statt klare Gedanken zu fassen und die Flucht fortzusetzen, bleibst Du liegen und lauschst. Alles ist ruhig. Die Silhouetten um dich her sind offenbar verschwunden. Es ist so dunkel wie zuvor, aber so still, dass Du das Nichts hören kannst. Du entschließt dich, still liegen zu bleiben und zu hoffen, dass dich im Düsterdunkel des nachtschwarzen Waldes niemand entdeckt.
Dann nimmst Du plötzlich in Ermangelung anderer Sinneseindrücke die Gerüche um dich herum wahr. Langsam beginnst Du zu begreifen: alles hier riecht wie die Duftsalbe, die Flugsalbe, nach Dunkelheit, nach Erde, nach Feuchtigkeit, dem Geruch eines Waldes, der so dicht ist, dass kein Licht einzudringen vermag. Bist Du zu Hause oder in diesem Wald?
Wie ist das möglich? Der Duft soll doch Kakao und Schokolade enthalten, Moschus und Patchouli. Ein wenig hattest Du befürchtet, dass es sich um einen Gourmand-Duft handeln könnte. Ein Duft soll für dich nicht nach Essbarem riechen, nach einzelnen Komponenten, sondern ein Gesamtkunstwerk sein, eine Einheit. Dieser hier ist es. Die einzelnen Töne ergeben auf mystische Weise ein Ganzes: den beunruhigenden, aber auch betörenden Geruch von Wald.
Bitter muss sie wohl sein, die enthaltene Schokolade, und auch der Kakao; so bitter, dass kein Gefühl der Süße zurück bleibt.
Der Patchouli muss von der erdigen-braunen, grünen Art sein; so erdig, dass die patchoulischwangere Erinnerung an das fröhliche Hippie-Festival, das Du im Sommer besucht hast, ein Menschenalter entfernt scheint.
Der Moschus ist nicht von der feinen, seifigen Art, sondern eher animalisch und doch irgendwie dezent, gerade so, dass er die weiche Grundierung dieses Waldbodens bestimmt, sich mit deinem Angstschweiß zu einer merkwürdig betäubenden Mischung verbindet, eine Mischung, die dich hierher gebracht hat: Flugsalbe.
Voller Unruhe, Angst und erfüllt von rasenden Gedanken schläfst Du irgendwann aus Erschöpfung ein.
Warnung an Schwankende: wenn Du nicht zum Opfer dieses Duftes werden möchtest, meide seine Aura!
„Flugsalbe, die: Unter Hexensalbe oder Flugsalbe verstand man zur Zeit der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen eine Salbe, mit der sich die Hexen einrieben, um zum ,Hexensabbat‘ zu fliegen.“ Quelle: Wikipedia.
Dein Kopf dröhnt. Du kannst dich im ersten Moment des Aufwachens nicht erinnern, was mit dir geschehen ist. Um dich herum ist es dunkel, ein wenig feucht, kühl und modrig. Wie bist Du hierher gekommen? Wo bist Du eigentlich jetzt? Der Alkohol kann es nicht gewesen sein: ein einziges Glas Rotwein...doch nun beginnst Du dich zu erinnern...
Du hattest dir aus Amerika von Roxana eine Parfumsalbe ihres Duftes „Figure 1: Noir“ schicken lassen. Nach der Arbeit hast Du dir, glücklich, dass dir der freundliche Postbote das lang ersehnte Paket überreicht hat, die Salbe vorgenommen, ein Glas Rotwein vor dich gestellt und voller Vorfreude etwas auf deine Haut gestrichen. Die Haut beginnt sich ein wenig zu erwärmen, wird heiß, nicht unangenehm jedoch; seltsame, nie gekannte Düfte steigen in deine Nase. Du willst noch einmal zu deinem Rotwein greifen, siehst dir aber selbst dabei zu, wie die zittrige Hand das Glas umwirft, sich der Rotwein über dich ergießt. Dann wird es schwarz, so dunkel wie die seltsame Salbe mit Namen Noir, mit der Du dich gerade bestrichen hattest.
Nun liegst Du in dieser Dunkelheit, bist aber bei Sinnen, kannst dich mit den Augen orientieren, noch aber nicht aufstehen. Da bricht ein kleiner Schein Mondlicht hinter einem Wolkenhaufen die Dunkelheit entzwei; Du musst im Freien sein. Deine Augen beginnen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen: ein Wald. Sehr dicht ist es hier, die Bäume, überwiegend Nadelgehölz, stehen so eng, dass Du den Himmel über dir anfangs nicht bemerken konntest. Jetzt erst begreifst Du, dass Du offenbar nicht allein bist. Um dich herum bewegen sich Silhouetten: Tiere? Deine Angst wächst. Du spürst erste Anzeichen von Panik: Angstschweiß, der kühl deinen Nacken herab läuft, ein Druck in der Magengegend, Bewegungsunfähigkeit. Erst nach einer Weile nimmt dein Überlebensdrang so stark zu, dass Du aufspringst, etwas wacklig noch auf den Beinen stehst und zu laufen beginnst, erst langsam, dann schneller.
Gedankenfetzen kreisen in deinem Kopf: Wie konntest Du so leichtfertig sein, diese Salbe zu bestellen. Du hattest verschiedenes von dieser amerikanischen Marke gehört: über die wunderbaren Düfte, denen man eigentümlich verfalle. Natürlich hast Du nichts davon ernst genommen, hast geglaubt, dass all dies nur Metaphorik der Werbung und überzogenen Lyrik von Enthusiasten sei. Du bist rational begabt, ein nüchterner Mensch, aber widerstehen konntest Du doch nicht. Und nun rennst Du hier durch diesen Wald, den Du nicht kennst, fühlst dich umkreist, umringt, umstellt: Einbildung?
Während diese Gedanken wie ein wildes Heer durch deinen Kopf rasen, spürst Du, dass dein Fuß auf eine Wurzel tritt, Du den geraden Halt verlierst. Deine Beine schwanken und Du stürzt vornüber.
Statt klare Gedanken zu fassen und die Flucht fortzusetzen, bleibst Du liegen und lauschst. Alles ist ruhig. Die Silhouetten um dich her sind offenbar verschwunden. Es ist so dunkel wie zuvor, aber so still, dass Du das Nichts hören kannst. Du entschließt dich, still liegen zu bleiben und zu hoffen, dass dich im Düsterdunkel des nachtschwarzen Waldes niemand entdeckt.
Dann nimmst Du plötzlich in Ermangelung anderer Sinneseindrücke die Gerüche um dich herum wahr. Langsam beginnst Du zu begreifen: alles hier riecht wie die Duftsalbe, die Flugsalbe, nach Dunkelheit, nach Erde, nach Feuchtigkeit, dem Geruch eines Waldes, der so dicht ist, dass kein Licht einzudringen vermag. Bist Du zu Hause oder in diesem Wald?
Wie ist das möglich? Der Duft soll doch Kakao und Schokolade enthalten, Moschus und Patchouli. Ein wenig hattest Du befürchtet, dass es sich um einen Gourmand-Duft handeln könnte. Ein Duft soll für dich nicht nach Essbarem riechen, nach einzelnen Komponenten, sondern ein Gesamtkunstwerk sein, eine Einheit. Dieser hier ist es. Die einzelnen Töne ergeben auf mystische Weise ein Ganzes: den beunruhigenden, aber auch betörenden Geruch von Wald.
Bitter muss sie wohl sein, die enthaltene Schokolade, und auch der Kakao; so bitter, dass kein Gefühl der Süße zurück bleibt.
Der Patchouli muss von der erdigen-braunen, grünen Art sein; so erdig, dass die patchoulischwangere Erinnerung an das fröhliche Hippie-Festival, das Du im Sommer besucht hast, ein Menschenalter entfernt scheint.
Der Moschus ist nicht von der feinen, seifigen Art, sondern eher animalisch und doch irgendwie dezent, gerade so, dass er die weiche Grundierung dieses Waldbodens bestimmt, sich mit deinem Angstschweiß zu einer merkwürdig betäubenden Mischung verbindet, eine Mischung, die dich hierher gebracht hat: Flugsalbe.
Voller Unruhe, Angst und erfüllt von rasenden Gedanken schläfst Du irgendwann aus Erschöpfung ein.
Warnung an Schwankende: wenn Du nicht zum Opfer dieses Duftes werden möchtest, meide seine Aura!
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