NARCOTIQUE
15.10.2024 - 15:15 Uhr
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10Duft 9Haltbarkeit 9Sillage 10Flakon 7Preis

Die Masquerade aus 1001 Nacht

„Ich schämte mich, als ich bemerkte, dass das Leben ein Maskenball ist, und ich mit meinem wahren Gesicht teilgenommen habe.“
— Franz Kafka

Gedimmtes Licht flackert in der Abenddämmerung Venedigs, während ich auf meine Rückfahrt aufs Festland warte.

Plötzlich wird die Stille durch ein wildes Gemurmel durchbrochen. Ein stilbewusster italienischer Herr erklärt einer ebenfalls wartenden Dame etwas und gestikuliert dabei stark. Er trägt ein marineblaues Sakko, eine weiße Hose und dazu braune Lederschuhe. Seinen Hals ziert ein rotes Satintuch. Mit jedem Windzug weht ein warmer Duft aus Tabak & und Zimt in meine Nase.

Die Dame, die mit dem Herren sprach, wendet sich zu den Wartenden und beginnt zu sprechen. Sie blickt in die Masse und sieht dabei direkt zu mir, weshalb ich meine Kopfhörer aus dem Ohr ziehe, um zu lauschen. Sie erklärt in einem sehr gebrochenen Englisch, dass alle öffentlichen Verkehrsmittel inklusive unserer Fähre aufgrund eines Streiks ausfallen und wir die Insel somit nicht verlassen können.

Ihre Worte mischen sich mit der noch laufenden Musik meiner Kopfhörer. Eine melancholische Melodie mit arabischen Klängen umschmeichelt die Dramatik ihrer Worte und dem Gefühl, dass ich wahllos ausgesetzt bin.

Alle Wartenden strömen seufzend in das Innere der Stadt. In der Ferne erkenne ich noch den adretten Herren von vorhin und steuere auf ihn zu, als wäre er ein Kompass oder Wegführer. Die Melodien in meinem Ohr begleiten mich und versetzen mich Gasse für Gasse in eine tiefere Ungewissheit.

Ich folge dem Herren Schritt für Schritt, Brücke für Brücke durch die Fußgängerzonen Venedigs, bis er in eine dunkle Gasse abbiegt, kurz Halt macht und anschließend durch eine Tür hineintritt. Als diese aufgeht, erstrahlt die dunkle Gasse in einem warmem Licht und der Lautstärke von Instrumenten, die denen meiner laufenden Playlist gleichen.

Eine Anziehungskraft und ein undefinierbares Urvertrauen überkamen mich. Ich folge dem Unbekannten; unwissend, was mich gleich erwarten wird.

Die große schwere Tür war eigentlich eine riesige Pforte, die sich kaum öffnen ließ. Meine Mühen, das Innere dieses mysteriösen Ortes zu erblicken, wurden aber belohnt. Das, was ich erblicken durfte, als ich letztendlich hineintrete und die dichten Samtvorhänge passiere, gleicht den farbenfrohen Märchen aus meiner Kindheit - nicht irgendwelchen Märchen - nein, jenen aus 1001 Nacht.

Ein Orchester, das aus Männern mittleren Alters besteht, spielt arabeske Musik. Rhythmisch und sinnlich bewegt sich eine Bauchtänzerin, gekleidet in einem dunkelblauen Kostüm, geziert von goldenen Ornamenten. Bei jeder Bewegung klimpern die angenähten Münzen und unterstreichen die instrumentellen Klänge. Ihr tadelloser Körper lenkt mich derart von ihrem Gesicht ab, dass ich erst Augenblicke später bemerke, dass sie eine venezianische Karnevalsmaske trägt. Mein Blick schweift in den Raum: Moment mal, alle tragen eine.

Die nächtliche Magie riecht nach Pflaumenwein und Gewürzen - war das Zimt? Eine sanfte Hand unterbricht meine Gedanken: mein Kompass - äh, der Herr. Ich erkenne in seinen Augen, dass er mich identifiziert hat. Er lächelt und reicht mir eine Maske, als hätte er mich bereits erwartet. Mit einer Handbewegung lässt er das Orchester erkennen, dass sie ein anderes Lied aus ihrem Repertoire einstimmen sollen. Hallender Gesang ertönt im Saal.

Er begleitet mich an einen Tisch, nein, an eine Tafel, die üppig gedeckt ist und einem Stillleben gleicht. Feinstes Porzellan, befüllt mit Vorspeisen - „Mezze“ - die bereits von Zuhause familiär sind, exotische Obstarrangements und frische Blumenbouquets in stiller Begleitung des betörend süßlichen Duftes vom frisch eingeschenkten Pflaumenwein.

Die Masquerade im Arabesque war ein Fest der Sinne, das trotz sprachlicher Barrieren, eine unvergessliche Nacht bescherte, zwar ohne den fliegenden Teppich, dafür aber mit jeder Menge Magie. Wir aßen, tranken, tanzten und lachten - ohne Sprache zu verwenden und ohne den rationalen Versuch, uns mit weltlichen Attributen beschreiben und kennenlernen zu müssen.

Hier war jeder gleich:
ein fremder Willkommener, durch eine Maske anonymisiert - jedoch gleichzeitig ein Freund, der dein eigentlich unmaskiertes Ich erblicken durfte.
6 Antworten
ToniErdmannToniErdmann vor 11 Monaten
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Woww, was für eine Kurzgeschichte. Bin begeistert! Den Duft soll ich kennen lernen..
NARCOTIQUENARCOTIQUE vor 11 Monaten
@ToniErdmann freut mich, dass du dir die zeit genommen hast ✨ hoffentlich zieht er dich in seinen olfaktorischen bann!
KilogrammKilogramm vor 11 Monaten
Dank deiner tollen Rezension, kaufe ich mir den Duft.
NARCOTIQUENARCOTIQUE vor 11 Monaten
du wirst es nicht bereuen 🤞🏻
HimbeerOudHimbeerOud vor 1 Jahr
1
Schöne Rezension. Noch schöner, dass mein Lieblingsschriftsteller zitiert wurde!
So wie es aussieht brauche ich den Duft in meiner Sammlung:)
NARCOTIQUENARCOTIQUE vor 1 Jahr
1
das sind so viele zeichen - hol ihn dir!