Qi Nan Ghalia Ensar Oud

Im Sommer 2022 sollte es auf große Reise gehen. Nach über 14 Stunden Flugzeit inkl. einer Pariser Stadtdurchquerung vom Aéroport Paris-Charles de Gaulle zum Aéroport de Paris-Orly und anschließendem Weiterflug sollten wir schon bald in Saint-Denis den warmen, dennoch frischen Inselwind von Réunion spüren dürfen. Wanderungen durch dichtbehangene Nebelwälder hinauf zu den schwindelerregenden, teils Restschnee-bedeckten Höhen des Piton des Neiges (3070 m), das Eintauchen in die straßenlose Naturschönheit des Mafate-Talkessels, das schwerelose Reisen durch die vielen Mikroklimata der Insel - fast wie durch viele verschiedene Orte und doch so nah beieinander - das sollten wir erleben. Sollten...
Leider wurde die Reise aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten kurz vor Antritt abgeblasen und ich ärgere mich bis heute, dass die Dinge so gekommen sind, wie sie kamen.

"Qi Nan Ghalia | Ensar Oud / Oriscent" ist der erste Duft, der mir das Gefühl gibt, an einen anderen Ort der Erde zu reisen und damit Versäumtes nachholen zu können. Ganz einfach so! Ohne Flugstress und Organisation. Réunion ist nur drei Swipes Öl entfernt. Das ist schon cool, oder?

Dabei startet der Duft zuerst ein kleines bisschen schroff und der minzfrische Kinam-Wind bläst einem kurz um die Ohren. Haben sich die umher wehenden Noten nach ein paar Minuten wieder gesammelt, geht für mich die Duftreise so richtig los. Der blaue Lotus beginnt sich allmählich zu zeigen. Er wird getragen durch die frischen Noten der Zypresse und der Wacholderbeere und diese Kombination ist wirklich schön! Nahezu schwerelos scheint er, wenige Zentimeter über der Haut zu schweben wie der mystische Nebel im Forêt de Bébour im Herzen der Insel. Einzelne Sonnenstrahlen schneiden durch die Blätter der Baumkronen. Folgen wir dem Pfad tiefer hinein in den Nebelwald, so tut sich eine grüne Apfelnote auf. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dieser Eindruck aus dem Zusammenspiel des frischen Rosmarins mit dem fruchtig angehauchten Oud aus Kambodscha und nicht zuletzt dem traumhaften Lotus entsteht. Gewürzartige Regenwald-Holzanklänge umgarnen die Sinne. Abgerundet wird der Duft zu diesem Zeitpunkt durch den zurückhaltenden Einsatz von Ylang-Ylang, die ebenfalls auf besagter Insel anzutreffen ist und ein vanilleähnlich-versöhnliches Bild abgibt, das entfernt an Obst erinnert, welches in Form von "Rhum Arrangé" konserviert wurde.
Nach dieser Pause (soviel Genuss muss sein) zieht es uns raus aus dem verträumten Nebelwald mit seinen alten, weisen Wurzeln und den feuchten Moosen auf den Piton de la Fournaise (2632 m). Am weitläufigen Krater des zu deutsch "Feuergipfel" genannten Schildvulkans wird die Brise des Anfangs wieder ein wenig spürbar. Diesmal ist jeglicher Hauch von Zahnpasta verflogen. Der erkaltete Lavastein in der Hand strömt ein eigenes mineralisches Aroma aus. Und so bleibe ich sitzen mit dem Blick in die undefinierte Ferne auf der sonnengewärmten Bank, die aus chinesischem Oud geschnitzt zu sein scheint. So schön duftet es hier oben.

Ich war nie auf Réunion und vielleicht werde ich es auch nie sein. Es gibt genug andere Weltregionen, die es gilt zu entdecken, zu bereisen, zu verstehen und zu lieben. Der Duft aber bildet alles ab, was ich mir vorstelle, im Sommer 2022 verpasst zu haben und das ist für mich eine wahre Schatzkiste nie dagewesener Urlaubserinnerungen.
-----
Ensar hat im "Qi Nan Ghalia | Ensar Oud / Oriscent" ein wunderschönes Bild eingefangen, das viele Facetten zwischen grün, holzig, rauchig, ätherisch, balsamisch, blumig, fruchtig, hell und dunkel, trocken und doch feucht aufleben lässt. Ich stimme Caligari hier vollkommen zu, dass man das Öl erleben muss, um es zu verstehen und halte es wie Pallas damit, dass es mir sogar besser gefällt als die PP-Variante. Was bei "Qi Nan | Ensar Oud / Oriscent" noch an manchmal störendem Pfeffer-Beiwerk und Basis-Moschus verwendet wurde, lässt Ensar in "Qi Nan Ghalia | Ensar Oud / Oriscent" aus der Dichte der hochwertigen Essenzen und Öle entstehen und lässt den ruhenden, geheimnisvollen Wald für sich sprechen, anstatt die Gewürzmühle klappern.
Hoch lebe der tiefgrüne Sud!