15.11.2020 - 19:00 Uhr
FvSpee
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Colonialwaren XV: Von Feigen und Tabakblättern
In Berlin gibt es einige Orte, man mag es glauben oder nicht, die vollkommen dörflich sind. Mit Ententeichen, Dorfangern, kleinen Feldsteinkirchen und bisweilen etwas windschiefen, dreihundert Jahre alten einstöckigen Wohnhäusern mit Holz-Klappläden vor den Fenstern. Solche Orte findet man im ehemaligen Westen (etwa in Lübars) und Osten (in Mahlsdorf etwa), manchmal mitten im Gewühl der Großstadt (da, wo ein ehemaliges Dorf von der wachsenden Großstadt einfach geschluckt, sein Ortskern aber nicht abgerissen wurde, wie in Alt-Tempelhof oder Alt-Rixdorf), aber meistens in den Außenbezirken. Einer dieser dörflichen Außenbezirke ist das alte Wannsee, vom Restaurant "Mutter Fourage" an südwestlich, Richtung Kohlhasenbrück und Steinstücken.
Etwa dort, allerdings in noch minimal städtischerem Ambiente, weil direkt an der Königstraße, die Potsdam mit Zehlendorf verbindet, liegt die Schneiderei und Reinigung "Coton", mit einem T, sehr netten und kompetenten Inhabern und daher wärmstens zu empfehlen. Dort im Regal, bei der abzuholenden Wäsche, stehen mit unklarer Zweckbestimmung, womöglich feilgehalten zum Verkauf im Nebengewerbe, seit geraumer Zeit auch etwelche Packungen eines türkischen Barbiersprodukts. Und vier oder fünf Kartons eines Kolonyasi, also eines türkischen Eau de Cologne, der Marke Tariş. Der Karton ist sehr markant und ansprechend, etwas retro, der Schriftzug wie auf dem Flakon, aber die Glasbaustein-Anmutung des letzteren vermeidend. Ich nahm diesen Umstand zunächst ataraktisch hin.
Als ich allerdings vor guter Wochenfrist nach längerer Pause den "Öz-Gida Multi-Kulti-Supermarkt" (das ist der offizielle Name) in Schöneberg besuchte und ich eben dasselbe "Tariş" im Regal erblickte, den 300-ml-Flakon für fast nichts, konnte ich dann doch nicht widerstehen und erwarb eine Flasche der Duftvariante "Tütün", also Tabak.
Der Duft ist schnell beschrieben. Er duftet nicht nach Tabak, sondern nach "Tabac Original", dem deutschen Kultprodukt von Mäurer&Wirtz, das viele altmännermäßig finden, was ich aber erstens vehement bestreite und was mir zweitens auch sowas von egal wäre, wenn es stimmen würde.
Das Tariş ist das zweite türkische Tütün-Kolonyasi, das ich probiere (nach dem vom Eyüp Sabri Tuncer) und beide riechen fast gleich. Nämlich nach Tabac Original. Da mir die anderen beiden Colognes sehr gut gefallen, gefällt mir auch dieses. Es ist wie das von EST und anders als das deutsche Original von sehr kurzer Haltbarkeit und vielleicht ein bisschen ruppiger und kantiger gestrickt als die beiden anderen.
Es ist daher davon auszugehen, dass auch dieses Cologne, ebenso wie die beiden anderen, eine zitrisch-grünkräuterige Kopfnote, eine blumige Herznote und eine Basis mit Moschutschuli, Vanille-Tonka-Schnuckelzeug und allenfalls einer Prise Tabak enthält. Über die genauen Inhaltsstoffe erfahren wir auf der Internetseite des Herstellers Tariş, die es für mich glücklicherweise nicht nur in einer türkischen Fassung gibt, sondern auch in einer in schlechtem Englisch, nur vage Andeutungen.
Dafür sehr viel über die gesundheitsfördernden Wirkungen der Feige auf den menschlichen Organismus und die grundlegende Bedeutung des Anbaus der Feige für die Entwicklung der Weltzivilisation. Der Grund für diese im Parfümeriebereich eher überraschende thematische Schwerpunktsetzung ist, dass der Hersteller dieses Colognes (das u.a. auch in 80-ml-Sprayflakons und, sehr türkisch, in 5-Liter-Plastikkanistern, angeboten wird), Tariş İncir Birliği, gar kein Parfümeriebetrieb ist, sondern eine gigantische landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft von Feigenbauern in der Region Izmir.
Allerdings werden auf den hinteren Seiten des Katalogs (auf den vorderen finden sich u.a. Feigen, Feigen, Feigen und Feigen, daneben Feigen, seit Jahrzehnten auch mit Bio-Zertifikation, wenn gewünscht, weiters Feigenmus, Feigenmarmelade und derlei mehr), wie in einem Anhang, auch etwa zehn Sorten Cologes und ein After Shave recht liebevoll beworben. Eines davon ist, inzwischen wenig überraschend, ein Feigen-Cologne.
Eine Internet-Tiefenrecherche bringt es an den Tag: Die Kooperative produziert aus den C-Früchten, die zu angegammelt oder schadhaft zum Verkauf (und sogar für die Marmelade) sind, in großem Stil auf eigenem Gelände Alkohol. Und aus dem Alkohol (das Kolonyasi hat 70%, es genügt also auch gerade so als Coronavirenkiller) wird, um die Wertschöpfungskette voll abzuarbeiten und den Profit nicht den Kapitalisten draußen zu überlassen, Kolonyasi hergestellt. Dafür gibt es in der Türkei (und in Wannsee und Schöneberg) immer einen Markt. Und es macht sich für die Kunden der Genossenschaft, denn Feigenfreunde gibt es in allen politischen, weltanschaulichen und religiösen Kontexten, wesentlich unverfänglicher im Anhang so eines Katalogs als z.B. Raki.
Den restlichen Platz überlasse ich gerne der Firma Taris, denn so schön, poetisch, und menschheitsallumfassend wie diese Genossenschaft über die Feige könnte ich nie über Parfüms sprechen. Ich sage an dieser Stelle Tschüss und Hoşçakal und erteile das Wort dem Genossen Texter von Tariş İncir Birliği:
Fig is one of the miracles of the Mother Nature. With incomparable flavor of its fruit, it has been rewarding to humanity for thousands of years. It has always been considered the symbol of affluence and plentifulness.
In the ancient Greek Civilization, crowns which were made of fig leaf were worn on the heads with the honor as the symbol of fertility. Giving fig leaf as a gift had always been regarded as a way of honoring someone for centuries. Fig had such great importance for human being that it had been mentioned as the Fruit of Heaven in sacred sources.
Siddharta Guatama was also said to have formed the basics of Buddhism while he was sitting under a fig tree, which in a way inspired him.
Old Testament, which often mentiones about fig, is full of imageries and metaphors inspired by fig. Sitting under the shade of a fig tree or tasting the fruit of a fig tree meant the existence of peaceful and tranquil life.
The Jewish people, even currently, eat a fig as a traditional food at the celebration of their Passover Festival, and it is also being mentioned in the Bible as the fruit which is grown in Heaven and as being a sacred fruit, fig is thought to be necessary food of New Year Celebrations.
It is also said that Prophet Mohammed had a saying about fig: If I were given a chance, I would like to take fig tree with me to paradise.
Even tough fig is known to have been grown during Sumerian and ancient Egyptia Era, Anatolian lands is regarded as the homeland of fig. The historian Heredotus, in a praise worthy way, mentioned about excellent fig which grew in Anatolia in 484 B.C. ‘Ficus Carica’ , which is the name of fig in science of botanic, was originated from an ancient site ‘ Caria ‘ in the Aegean Region. Fig, in the next years, spread to Middle East, India ,China and California/USA through Anatolia and got a widespread fame all over the world.
Etwa dort, allerdings in noch minimal städtischerem Ambiente, weil direkt an der Königstraße, die Potsdam mit Zehlendorf verbindet, liegt die Schneiderei und Reinigung "Coton", mit einem T, sehr netten und kompetenten Inhabern und daher wärmstens zu empfehlen. Dort im Regal, bei der abzuholenden Wäsche, stehen mit unklarer Zweckbestimmung, womöglich feilgehalten zum Verkauf im Nebengewerbe, seit geraumer Zeit auch etwelche Packungen eines türkischen Barbiersprodukts. Und vier oder fünf Kartons eines Kolonyasi, also eines türkischen Eau de Cologne, der Marke Tariş. Der Karton ist sehr markant und ansprechend, etwas retro, der Schriftzug wie auf dem Flakon, aber die Glasbaustein-Anmutung des letzteren vermeidend. Ich nahm diesen Umstand zunächst ataraktisch hin.
Als ich allerdings vor guter Wochenfrist nach längerer Pause den "Öz-Gida Multi-Kulti-Supermarkt" (das ist der offizielle Name) in Schöneberg besuchte und ich eben dasselbe "Tariş" im Regal erblickte, den 300-ml-Flakon für fast nichts, konnte ich dann doch nicht widerstehen und erwarb eine Flasche der Duftvariante "Tütün", also Tabak.
Der Duft ist schnell beschrieben. Er duftet nicht nach Tabak, sondern nach "Tabac Original", dem deutschen Kultprodukt von Mäurer&Wirtz, das viele altmännermäßig finden, was ich aber erstens vehement bestreite und was mir zweitens auch sowas von egal wäre, wenn es stimmen würde.
Das Tariş ist das zweite türkische Tütün-Kolonyasi, das ich probiere (nach dem vom Eyüp Sabri Tuncer) und beide riechen fast gleich. Nämlich nach Tabac Original. Da mir die anderen beiden Colognes sehr gut gefallen, gefällt mir auch dieses. Es ist wie das von EST und anders als das deutsche Original von sehr kurzer Haltbarkeit und vielleicht ein bisschen ruppiger und kantiger gestrickt als die beiden anderen.
Es ist daher davon auszugehen, dass auch dieses Cologne, ebenso wie die beiden anderen, eine zitrisch-grünkräuterige Kopfnote, eine blumige Herznote und eine Basis mit Moschutschuli, Vanille-Tonka-Schnuckelzeug und allenfalls einer Prise Tabak enthält. Über die genauen Inhaltsstoffe erfahren wir auf der Internetseite des Herstellers Tariş, die es für mich glücklicherweise nicht nur in einer türkischen Fassung gibt, sondern auch in einer in schlechtem Englisch, nur vage Andeutungen.
Dafür sehr viel über die gesundheitsfördernden Wirkungen der Feige auf den menschlichen Organismus und die grundlegende Bedeutung des Anbaus der Feige für die Entwicklung der Weltzivilisation. Der Grund für diese im Parfümeriebereich eher überraschende thematische Schwerpunktsetzung ist, dass der Hersteller dieses Colognes (das u.a. auch in 80-ml-Sprayflakons und, sehr türkisch, in 5-Liter-Plastikkanistern, angeboten wird), Tariş İncir Birliği, gar kein Parfümeriebetrieb ist, sondern eine gigantische landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft von Feigenbauern in der Region Izmir.
Allerdings werden auf den hinteren Seiten des Katalogs (auf den vorderen finden sich u.a. Feigen, Feigen, Feigen und Feigen, daneben Feigen, seit Jahrzehnten auch mit Bio-Zertifikation, wenn gewünscht, weiters Feigenmus, Feigenmarmelade und derlei mehr), wie in einem Anhang, auch etwa zehn Sorten Cologes und ein After Shave recht liebevoll beworben. Eines davon ist, inzwischen wenig überraschend, ein Feigen-Cologne.
Eine Internet-Tiefenrecherche bringt es an den Tag: Die Kooperative produziert aus den C-Früchten, die zu angegammelt oder schadhaft zum Verkauf (und sogar für die Marmelade) sind, in großem Stil auf eigenem Gelände Alkohol. Und aus dem Alkohol (das Kolonyasi hat 70%, es genügt also auch gerade so als Coronavirenkiller) wird, um die Wertschöpfungskette voll abzuarbeiten und den Profit nicht den Kapitalisten draußen zu überlassen, Kolonyasi hergestellt. Dafür gibt es in der Türkei (und in Wannsee und Schöneberg) immer einen Markt. Und es macht sich für die Kunden der Genossenschaft, denn Feigenfreunde gibt es in allen politischen, weltanschaulichen und religiösen Kontexten, wesentlich unverfänglicher im Anhang so eines Katalogs als z.B. Raki.
Den restlichen Platz überlasse ich gerne der Firma Taris, denn so schön, poetisch, und menschheitsallumfassend wie diese Genossenschaft über die Feige könnte ich nie über Parfüms sprechen. Ich sage an dieser Stelle Tschüss und Hoşçakal und erteile das Wort dem Genossen Texter von Tariş İncir Birliği:
Fig is one of the miracles of the Mother Nature. With incomparable flavor of its fruit, it has been rewarding to humanity for thousands of years. It has always been considered the symbol of affluence and plentifulness.
In the ancient Greek Civilization, crowns which were made of fig leaf were worn on the heads with the honor as the symbol of fertility. Giving fig leaf as a gift had always been regarded as a way of honoring someone for centuries. Fig had such great importance for human being that it had been mentioned as the Fruit of Heaven in sacred sources.
Siddharta Guatama was also said to have formed the basics of Buddhism while he was sitting under a fig tree, which in a way inspired him.
Old Testament, which often mentiones about fig, is full of imageries and metaphors inspired by fig. Sitting under the shade of a fig tree or tasting the fruit of a fig tree meant the existence of peaceful and tranquil life.
The Jewish people, even currently, eat a fig as a traditional food at the celebration of their Passover Festival, and it is also being mentioned in the Bible as the fruit which is grown in Heaven and as being a sacred fruit, fig is thought to be necessary food of New Year Celebrations.
It is also said that Prophet Mohammed had a saying about fig: If I were given a chance, I would like to take fig tree with me to paradise.
Even tough fig is known to have been grown during Sumerian and ancient Egyptia Era, Anatolian lands is regarded as the homeland of fig. The historian Heredotus, in a praise worthy way, mentioned about excellent fig which grew in Anatolia in 484 B.C. ‘Ficus Carica’ , which is the name of fig in science of botanic, was originated from an ancient site ‘ Caria ‘ in the Aegean Region. Fig, in the next years, spread to Middle East, India ,China and California/USA through Anatolia and got a widespread fame all over the world.
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