Epigo
Bring the Science back to Scents!
vor 2 Jahren - 31.03.2022
16 20

Die Intensität eines Duftes – Wie können wir H/S bewerten?

Wie kann gemessen werden, ob ein Duft gefällt oder nicht? Hier auf Parfumo reicht dafür ein Blick auf die Bewertungen. Je mehr einen Duft bewertet haben, desto verlässlicher ist diese intersubjektive Messung. Mag es beim Duft noch um persönliches Gefallen gehen, sind Haltbarkeit und Sillage eher objektivere Bewertungen. Doch jede*r wendet wohl eine andere Methode an, um auf eine Punktzahl zu gelangen. Jetzt, wo ich fleißig Düfte teste und bewerte, wollte ich eine möglichst standardisiertes Prozedere dafür haben. Und wozu selbst was ausdenken, wenn sicherlich kluge Köpfe dazu bereits Gedanken gemacht haben.

Cortez-Pereira und Kolleg*innen haben 2012 in ihrem Bericht Sensorischen Ansatz zur Messung der Duftintensität auf der Haut“ eine wissenschaftliche Methode zur Bewertung der H/S vor. Wie bemerkbar der Duft ist, wird häufig nur mit der Performance beurteilt. Auf Parfumo wird zwischen Haltbarkeit und Sillage unterschieden. Performance kann auch anders aufgeschlüsselt werden und zwar in:

  • Wirkung: der Effekt eines Dufts in den ersten Momenten, z.B. zum Beispiel beim Schnuppern am Flakon oder beim Auftragen auf die Haut (ähnelt der Duftbewertung der Kopfnote).

  • Diffusion: die Entfernung, über die der Duft kurz nach dem Auftragen wahrgenommen wird. Die Diffusionsrate einer Substanz ist proportional zur Quadratwurzel ihres Molekulargewichts. Parfümchemikalien variieren nicht so stark, sodass die leichtesten Substanzen nur 1,5x schneller sind als die schwersten.

  • Zähigkeit: die langfristige Wirksamkeit des aufgetragenen Duftes auf einer Oberfläche, z. B. der Haut.

  • Substantivität: die Bindungsfähigkeit bzw. der Grad der Adhäsion eines Dufts auf einer festen Oberfläche wie der Haut.

  • Volumen: die Wirksamkeit über Distanz, eine gewisse Zeit nach dem Auftragen (Der Unterschied zwischen Zähigkeit und Volumen ist oft Grund für Missverständnisse zwischen Parfümeur*inen und Konsument*innen.)

  • Flüchtigkeit: die Beständigkeit eines Duftes. Die flüchtigeren Stoffe bestimmen die Kopfnote. Ein allgemeines Maß ist der Dampfdruck bei normaler Umgebungstemperatur. Der Prozess der Verdunstung tritt übrigens in komplexe physikalische Wechselwirkungen auf Papierstreifen, deswegen ist Papier leider kein gutes Beispiel für menschliche Haut.

Zwei weitere Eigenschaften gehören im weiteren Sinn noch dazu:

  • Eigengeruchsstärke: der Wert eines Geruchsstoffs in Bezug auf die Intensität

  • Geruchsvolumen: die Duftfülle im Raum im Vergleich zum Minimum, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Oder auf klug: der Quotient aus der tatsächlichen Kopfraum-Konzentration des Duftmittels zu der Schwellenwertkonzentration des Geruchsstoffs in der Luft.

Je höher die Konzentration und Substantivität und je geringer die Flüchtigkeit, desto höher die Haltbarkeit eines Duftmittels. Je höher die Diffusion, das Volumen und die Flüchtigkeit, desto höher die Sillage eines Duftmittels. Die Flüchtigkeit scheint schlecht mit Haltbarkeit und Sillage vereinbar zu sein.

Ein Duft ist dann noch wahrnehmbar, wenn er die Aufspürschwelle überschreitet, also ab wann etwas riecht im Vergleich zu etwas geruchsfreien. Entsprechend ist ein Duft dann identifizierbar, wenn er die Erkennungsschwelle überschreitet, also ab welcher Konzentration er identifziert werden kann. Ohje, jetzt wird es noch physikalischer. Das Stevens'sche Gesetz besagt, dass die wahrgenommene Intensität (I) sich gleichermaßen mit der Reizstärke (S) und der Reizkonzentration (c) verändert. Das kann als Formel angeben werden, wobei eine Kontante (k) hinzugefügt wird (Sell & Churchill, 2006):

I = cSk

oder

log I = k log S + log c

Die wahrgenommene Duftintensität von zwei Duftmitteln A und B erhöht sich mit der Konzentration (s. Bild 1). Interessant ist hier, dass die Duftintensität eines Duftmittels bei höherer Konzentration die eines anderen Duftmittels übertrumphen kann.

Bild 1. Logarithmus der wahrgenommene Duftintensität im Vergleich zum Logarithmus der Parfümkonzentration für zwei Duftmittel (A und B) (Sell & Churchill, 2006).

Normalerweise werden in der Psychologie persönliche Einstellungen mit der Likert-Skala gemessen. Bei Likert-Skalen sind die Abstände gleich zwischen den Antwortmöglichkeiten gleich groß, wie z.B. das Sterne-System bei Parfumo. Stattdessen scheinen für Düfte labeled magnitude scales (LMS),geeigneter zu sein. Eine LMS, in deutsch etwa eine beschriftete Größenskala, benutzt eine beschriftete Linie mit quasi-logarithmischen Abständen zwischen den einzelnen Beschriftungen (s. Bild 2). Inspiriert wurde das von Green und Kolleg*innen (1993), die damit orale Sensationen 😉 gemessen haben. Guerra (2002) hat LMS benutzt, um die Performance von Parfüms zu bewerten. Dabei wurde nach direkt, 1.5, 3.0, 4.5 und 6.0h nach dem Auftragen auf der Haut das Parfüm bewertet. LMS hat sich auch bei anderen Wissenschafter*innen bewährt (z.B. Dalton, 1996; Dematté et al., 2007; Macgee et al., 2004; Zalifah et al., 2008). Der Vorteil ist, dass Daten damit besser und genauer unterschieden werden können. Unter anderem können damit einfacher Untergruppen klassifiziert werden, beispielsweise nach ihrer Wahrnehmung von Bitterstoffen (Bartoshuk et al., 2004). Ein Nachteil ist, dass das obere Limit oft missverstanden wird.

Bild 2. Die orale LMS mit sechs semantischen Beschreibungen (Green et al., 1993).

Bild 3. Die Prüfung der Substantivität. Die Düfte A und B wurden auf die Haut aufgetragen, um die Intensität des Duftes über einen bestimmten Zeitraum zu messen.

Bild 4. Bewertung von Duftintensität auf der Haut zur Messung des verdeckten Basisgeruchs.


Fazit:

Was bedeutet das für uns hier auf Parfumo? Um die H/S zu überprüfen, sollte ein Duft möglichst gegen einen vertrauten Duft mit durchschnittlicher H/S antreten. So kann in regelmäßigen Abständen verlässlicher überprüft werden, wie intensiv der Duft noch riecht. Bild 3 zeigt, wie sowas aussehen könnte. Dabei sollten beide Düfte aus einem gleichen Gefäß gesprüht werden, damit die gleiche Menge heraustritt. Hierfür eignen sich kleine TZ. Eigentlich sollten auch zwei Tests vorgenommen werden, einmal mit niedriger Dosierung und einmal mit hoher Dosierung. Die Langlebigkeit der Duftpyramiden kann mithilfe einer Grafik wie Bild 4 ermittelt werden. Wer es ganz standardisiert mag, kann mithilfe eines Zollstocks für gleichbleibende Abstände sorgen. In Bild 5 habe ich das veranschaulicht. Das Kinn ruht auf dem freien Ende. Um die Sillage besser zu ermitteln, kann in möglichst gleichbleibender Geschwindigkeit für jeden Test der ausgefahrene Testteil des Zollstocks zur orthogonalen Position hochgefahren werden. Für intensivere Tests würde ich Stoffe Papierstreifen vorziehen. Socken scheinen hierfür geeignet zu sein, da sie noch relativ klein und handlich sind und wir davon in der Regel zwei identische haben. Bei Missfallen eines Dufts, kann die Socke doch noch getragen werden, denn besser als Schweißfüße wird’s in den meisten der Fälle wohl riechen und die Füße sind, am entfernsten von der Nase. Solange keine Kamasutra-Stellung ausprobiert wird, aber wer trägt da schon Socken? 😏

Bild 5. Zollstockvorrichtung zur Testung zweier parfümierter Teststreifen mit Kinnablage.


Literatur:
(zu finden über Sci-Hub [Hinweis: dies stellt eine faktische Information, keine Empfehlung zur Urheberrechtsverletzung 😇] oder Google Scholar)

Bartoshuk, L. M., Duffy, V. B., Green, B. G., Hoffman, H. J., Ko, C. W., Lucchina, L. A., ... & Weiffenbach, J. M. (2004). Valid across-group comparisons with labeled scales: the gLMS versus magnitude matching. Physiology & behavior, 82(1), 109-114.

Cortez‐Pereira, C. S., Baby, A. R., Kaneko, T. M., & Velasco, M. V. R. (2009). Sensory approach to measure fragrance intensity on the skin. Journal of sensory studies, 24(6), 871-901.

Dalton, P. (1996). Odor perception and beliefs about risk. Chemical senses, 21(4), 447-458.

Dematte, M. L., Österbauer, R., & Spence, C. (2007). Olfactory cues modulate facial attractiveness. Chemical Senses, 32(6), 603-610.

Green, B. G., Dalton, P., Cowart, B., Shaffer, G., Rankin, K., & Higgins, J. (1996). Evaluating the ‘Labeled Magnitude Scale’for measuring sensations of taste and smell. Chemical senses, 21(3), 323-334.

Green, B. G., Shaffer, G. S., & Gilmore, M. M. (1993). Derivation and evaluation of a semantic scale of oral sensation magnitude with apparent ratio properties. Chemical senses, 18(6), 683-702.

Guerra, E. C. (2002). Proposta e análise de uma metodologia para avaliação do desempenho técnico de perfumes.

Macgee, T., Purzycki, K. L., Vedantam, V. K., Tan, T. Y., & Callf, J. (2004). Malodor counteractant compositions. United States Patent Application Publication. US 2004/0248762 A1, 43p.

Sell, C. S., & Churchill, A. (2006). Measurement of fragrance perception. In The Chemistry of Fragrances (pp. 151-167).

Zalifah, M. K., Greenway, D. R., Caffin, N. A., D’Arcy, B. R., & Gidley, M. J. (2008). Application of labelled magnitude satiety scale in a linguistically-diverse population. Food quality and preference, 19(6), 574-578.

Aktualisiert am 31.03.2022 - 11:11 Uhr
16 Antworten