Marieposa
Marieposas Blog
vor 3 Jahren - 03.01.2021
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Fernweh

In den letzten drei Monaten habe ich mehr Parfum gekauft als in den letzten drei Jahren. Ich bin weit davon entfernt, eine Minimalistin zu sein, aber ich lege Wert darauf, in erster Linie Dinge zu besitzen, die mir wirklich etwas bedeuten. Für einen – vermeintlich – verzichtbaren Luxus wie Parfum gilt das noch mehr als für andere Bereiche des alltäglichen Lebens. Wenn ich nicht mehr überblicken kann, was ich besitze, belastet es mich. Deshalb bin ich immer froh, wenn ich Proben oder Abfüllungen, die ich nicht ausreichend nutze, weiterziehen lassen kann. Immer in der Hoffnung, dass sie jemand anderem ihr Geheimnis preisgeben, das sie mir verschweigen. Bei Flakons bin ich noch strenger. Oft stehen die Düfte jahrelang auf meiner Merkliste. Viele werden da wohl auch bleiben, ohne jemals unter „Habe ich“ aufzutauchen. Gut, manchmal werde ich Opfer der Torschlusspanik, wenn ein Duft eingestellt werden soll, oder ich kann nicht widerstehen, wenn er zu einem umschlagbaren Preis im Souk auftaucht, aber im Großen und Ganzen kann man mich nicht als Spontankäuferin bezeichnen.

Woher also der plötzliche Kaufrausch?

Als mir heute Morgen der Duft meines frisch erworbenen „Jubilation 25 Woman“ aus meinem Schal entgegenwehte, wurde es mir plötzlich klar: Ich habe Fernweh! Großes, unstillbares Fernweh. Und dank der Aussicht auf ein neues Jahr mit Lockdown(s), Kontakt- und Reisebeschränkungen wollen meine üblichen Strategien nicht recht fruchten: alte Urlaubsbilder, Routenplanung für die Zukunft und die gute alte Reise mit dem Finger auf der Landkarte – das alles macht das Verhängnis nur noch größer. Deshalb habe ich scheinbar unbewusst angefangen, olfaktorische Reisen zu unternehmen: Einmal sprühen, blinzeln und Jubilation schlägt eine Brücke von Paris nach Dakar, und zwar ganz ohne Staub und Dreck und Motoröl. Das sollen die Rallye-Fahrer erst mal nachmachen! Ein Spritzer „Sel Marin“ und ich finde mich an einem sonnigen Tag an der irischen Küste wieder, beobachte, wie die Möwen im Wind tanzen und nippe an einer Tasse Early Grey. Doch da geht es schon weiter: „Santal majuscule“ versetzt mich in den Palast von König Schahryâr. Ich kann die Minarette und die mit hauchfeinen Arabesken überzogenen Fayencekacheln am persischen Königshof förmlich vor mir sehen. So wie meine Haut nach Sandelholz und Rosen duftet, muss ich Scheherazade sein. Ob ich wohl auch so mitreißende Geschichten erfinden kann? Da mache ich lieber keine Probe aufs Exempel und verabschiede mich mit „Galop d'Hermès “ zurück nach Europa. Allerdings lande ich nicht in Frankreich, sondern beim Pferderennen in Ascott. Falls ihr mich auf den Pressebildern sucht, ich trage den Hut mit der breitesten Krempe. Mein Gesicht könnt ihr nicht erkennen, nur das Lächeln, das mir der Duft auf die Lippen gezaubert hat. Aber von so viel Pferdesport bekomme ich Appetit. Mit „Un Matin d'Orage“ schließe ich mich einer fröhlichen Teegesellschaft mit Gurkensandwiches und Scones in einem verwilderten Garten an. Nach einem kleinen Schauer trocknen Regentropfen auf weißen Blüten. Es wird Zeit, etwas Sonne zu tanken! „Ninfeo Mio“ versetzt mich auf eine griechische Insel. Pinienharz duftet in der Augustsonne, ein Wanderweg kreuzt einen Zitronenhain, doch ich raste erst bei einem uralten, knorrigen Feigenbaum, lasse mir die reifen Früchte schmecken und zerdrücke ein Blatt in meiner Hand, bis der grüne Saft austritt.

Wie traurig, dass man nicht für immer träumen kann. „Iris Silver Mist“ erdet mich, bringt mich zurück nach Hause und ich blicke auf mein kleines, winterliches Gärtchen. Frost hat sich über die Gräser gelegt, Eiskristalle funkeln an den verblühten Kerzen der Agastachen und der Raureif malt bizarre Bilder auf den standhaften Blättern der Schwertlilien. Aber Moment, was ist das? Der Silbernebel entflieht ins schottische Hochmoor und nimmt mich einfach mit. Schon wieder schwebe ich mit einem Duft davon.

Bin wohl doch eine unverbesserliche Träumerin.

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