Wittgenstein

Wittgenstein

Rezensionen
Wittgenstein vor 11 Jahren 10 4
5
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Ein Parfüm als Anti-Parfüm
Nun will ich mich auch mal an einen Kommentar wagen und wähle dazu das ja nun durchaus polarisierende "L'Eau" von Serge Lutens, das Parfüm, das ein Anti-Parfüm sein will. Der Begriff "Büroduft" ging mir beim ersten Riechen durch den Kopf, ein Begriff, der zumeist für unaufdringliche, unspektakuläre und gefällige Gerüche verwendet wird. Doch ich sehe dabei keine Großraumbüros oder Pausenräume vor mir, wenig heimelndes oder menschelndes, vielmehr die kühlen, mit schweren, dämpfenden Teppichen belegten oberen Etagen, das Weiß nur sporadisch von einem sündteuren modernen Gemälde (Mark Rothko vielleicht, formalistisch, abstrakt) unterbrochen. Es ist der Geruch eines Entscheidungsträgers, kühl, rationell, selbstbewusst und souverän.
Und doch, und das fasziniert mich, entwickelt "L'Eau" eine sublime Sinnlichkeit, umso näher man ihm kommt. Eine leicht chemisch-kalte Frische aus der Distanz, darunter eine pfeffrig-scharfe Note, und in der Basis eine sinnliche, lutenstypische Wärme, die hier allerdings auf eine Weise interpretiert und in einen Kontext gesetzt wird, der tatsächlich radikal ist.
Während der Renaissance versuchten Alchemisten, den Stein der Weisen zu gewinnen, die Essenz des Lebens sozusagen ( - die dann bei Einnahme unsterblich gemacht hätte, aber - anderes Thema). Und im Sinne dieses Gedankens glaube ich Serge Lutens, wenn er sagt, daß die Entwicklung von "L'Eau" 16 Jahre gedauert hätte. Bekannt wurde er durch seine opulenten, orientalischen Parfüms, und die Essenz dieser Opulenz enthält auch "L'Eau", destilliert, gereinigt, auf seinen Kern, das absolut Wesentliche und Wesenshafte reduziert. Diesen Kern, der wahrscheinlich die Philosophie Lutens', was "Parfüm" überhaupt ist enthält, behält er bei, und errichtet darum ein Schloß aus Eis. Um ihn zu retten, zu bewahren vielleicht, um selbstbewusst einen freien Raum zu schaffen, der überhaupt erst wieder Entfaltung und Identität ermöglicht.

Kurzum: ein hochphilosophischer Duft in meinen Augen. Der allerdings, um wieder auf Rothko zurückzukommen, eine interessante Eigenschaft mit avantgardistischer Kunst teilt: massives kommerzielles Potential. Wie ein Mondrian jede Zahnarztpraxis mit Akademikerflair adelt, ohne anstrengend zu werden, so ist die kultivierte Kühle von "L'Eau" überraschend tragbar. Ein Anzug ist allerdings unabdingbar, befürchte ich.
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