Poison Girl 2016 Eau de Parfum

Crisch2012
21.10.2016 - 16:57 Uhr
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Top Rezension

Mehr Girl als Poison!

Zielgruppen-Fishing:
Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, mir eines der klassischen "Poisons" anzuschaffen. Vielleicht deshalb, weil Poison schon auf dem Markt war, als meine Parfumliebe im Teenageralter begann und schon dort von mir eher in die "Damen-Liga" eingeordnet wurde und somit für mich als Begleiter nicht in Frage kam. Zwanzig Jahre später hatte sich an meiner Einschätzung immer noch nicht viel geändert: Bis heute tummeln sich in meinem Parfumregal die hippen Trenddüfte, Klassiker wie beispielsweise Chanel No.5 sucht man trotz meiner fast Mitte Dreißig in meinem Badezimmer ebenso vergeblich wie Bleistiftröcke und Twin-Sets in meinem Kleiderschrank. Nach so langer notorischer Ignoranz der Poison-Reihe schlug die Werbekampagne von "Poison Girl" inklusive des in mein Jagdschema passenden Flakon-Designs sofort bei mir ein und verleitete mich zu einem Testschnuppern. Die Rechnung des Hauses Dior, nach Perlenketten-abstinenten Käuferinnen zu angeln, die sich einfach nicht die Bezeichnung "Miss" gefallen lassen wollen, scheint also voll aufzugehen.

"Girl" - Typ oder Alter?
Stutzig gemacht hat mich allerdings der Untertitel "Girl". Ein Girl bin ich nun wirklich nicht mehr, aber wer ist das schon? Mit viel Selbstironie vielleicht die unter 20-Jährigen? Oder ist vielmehr nicht eine eng umrandete Altersgruppe, sondern augenzwinkernd ein ganz bestimmter Frauentypus angesprochen, so wie das Label Chloé die Trägerinnen seiner Mode von 20-99 einfach pauschal in Boheme-Manier als "Chloegirls" bezeichnet? Ist vielleicht einfach in ähnlicher Weise der Typ Frau jeden Alters gemeint, der sich selbstbewusst nimmt, was ihm gefällt, der sich gesellschaftlichen Konventionen widersetzt - moderne Hedonistinnen und Avantgardistinnen, womit auch die 60-Jährige beispielsweise aus der Kunst- und Musikszene gemeint ist? Der bezeichnende Schluss des Werbespots "I am NOT a Girl, I am a Poison" lässt jedenfalls Raum für diese Interpretation, dass sich Poison Girl gerade an Frauen wendet, die Girl bestenfalls im Hinblick auf ihre jugendliche Denkweise, aber nicht im Bezug auf ihre erotische Ausstrahlung sind.

Das Parfum:
Das Parfum ist ein typisch blumiger, auf Vanille basierender Gourmand-Duft, der an sich nicht besonders neu und originell ist. Ganz spontan erinnerte es mich enorm an Joops "All about Eve" und "Thrill" und Lacostes "Touch of Pink". Im Zentrum steht das Duo von Rose und Vanille: In der Kopfnote ist nur für Sekunden eine undefinierbare Orangenfrische zu erahnen, dann folgt das dominante Rosen-Vanille Gemisch, das in der Tat ein wenig an Kaugummi (den pinken Hubba Bubba), ich würde aber auf meiner Haut eher sagen: an in Rosenwasser getränktes Marzipan erinnert. Das wirkt nicht so warm und zurückhaltend wie die meisten Gourmands in der Herznote, sondern ist von seinem Charakter her laut und schrill, eher Szenelokal als Weihnachtsmarkt. Nun gut, dass allein die Kaugummi-Note nur Teenies als Zielgruppe entpuppt, ist ebenso wenig schlüssig wie die etwaige Behauptung, Zuckerwatte und Bonbon-Noten hätten Kindergartenkinder im Visier, nur weil diese die Hauptkonsumenten jenes Süßkrams sind. Viel entlarvender ist meiner Meinung nach die Basisnote: Hier kommt ein durchaus gefälliges und facettenreiches Wechselspiel von Vanille, Marzipan und (gefühlt) Kokos (vielleicht ist es die Tonkabohne?) zum Tragen. Nicht schlecht - aber - die Frage stellte sich mir sogleich: Wo bleibt bei all dem Süßkrams die Erotik einer erwachsenen Frau? Wo der Moschus, wo der Amber, wo das Sandelholz, wo die provokante Würze, die einer erwachsenen Frau die "Schärfe", ja das Poison-artige geben? Ich wartete vergeblich auf diese würzige Provokation, die ich an meinen anderen Parfums wie Bonbon von Victor & Rolf oder Candy von Prada so liebe. Irgendwie kam ich mir bei Poison Girl schlussendlich vor wie der enttäuschte Liebhaber, der erst angemacht und dann vor die Tür gesetzt wird, bevor es richtig losgeht.

Fazit:
Leider musste ich zu meiner großen Enttäuschung feststellen, dass dieser Duft entgegen seines eigenen Slogans doch mehr Girl als Poison ist. Richtig erwachsen, richtig provokativ und abgründig wird er an keiner Stelle, ich empfinde ihn eher als "harmlos", im nachhinein "Touch of Pink" am ähnlichsten. Insofern muss ich meine Eingangsfrage, ob "Girl" Alter oder Typus meint, (leider) doch zugunsten des Alters beantworten. Er richtet sich wohl doch eher an die ganz jungen, höchstens knapp über 20-jährigen Frauen, die einfach sexy-hexy-girlielike riechen wollen aber (noch) nicht wie eine femme fatale, ein "Poison" ohne "Girl". Insofern fällt Poison Girl für mich als Begleiter heraus - schade, dass Dior nicht eine etwas breitere Zielgruppe anvisiert hat. Aber für Teens und gerade-eben Twens ein durchaus schöner Duft, der mit Sicherheit viele Trägerinnen finden wird.
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