Jasmiralda 1917

Trollo
18.07.2023 - 03:01 Uhr
12
Sehr hilfreiche Rezension
6
Preis
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Die Femme Fatale Guerlains oder wie ein Duft eine literarische Figur thematisieren kann

Die Narcisse Noir Daltroffs gilt für viele als Inbegriff eines Duftes für die Femme Fatale. In der Originalversion kann die schwarze Narzisse mit einer gehörigen Portion Indolik durch Narzisse (unterstützt durch Jasmin und vor allem Orangenblüte) und viel Animalik durch Zibet und Moschus aufwarten. Jasmiralda vermag diese Animalik wie auch die Indolik der Narcisse Noir zu Beginn noch steigern.

Im Auftakt ist Jasmin präsent, SEHR präsent, ebenso wie die sie unterstützende Orangenblüte. Es entsteht fast ein fleischlicher Eindruck weißer Blüten, insbesondere durch die ebenfalls direkt lostobende Animalik speziell des Moschus. Hirschhornmuschus wird hier in der Duftpyramide genannt und das könnte sein; eine alte Vintage-Probe des nur wenige Jahre älteren Après l’ondée der ersten Formulierung hatte leichte Ähnlichkeiten. (Eine minimale Ähnlichkeit könnte übrigens auch durch die genannte Bouvardia hergestellt worden sein, die ich nicht einzeln ausmachen könnte, aber in beiden Duftpyramiden genannt wird.)
Daneben gibt Ambra dem Duft Tiefe und Zibet verstärkt die Animalik nur noch. Zugleich ist aber bereits ein sanftes Harz (Benzoe) zu spüren. Die Vanille gibt sicherlich einen Gutteil der Süße dieses Duftes und bleibt linear vorhanden, auch bei einem recht überraschenden plötzlichen Richtungswechsel Jasmiralda: Plötzlich ist das Veilchen da, es ist einfach da, sehr vernehmlich, ebenso wie die Rose. Vermutlich waren sie die ganze Zeit da, sind aber von Indolik und Animalik zur Seite gedrängt worden, verdeckt worden. Jasmin ist ein steter Begleiter, aber eben nur das, ebenso wie die nur latente Animalik. Etwas holziger Vetiver trägt sicherlich zur Beruhigung bei. Tonka steigt allmählich auf, wohingegen das Benzoe weiter abflacht und Vetiver und Tonka Platz macht. Tonka verbindet sich mit dem holzigen Akkord, während das genannte Moos eher nur den dezenten Hintergrund bietet und den Duft erdet.

Jasmiralda ist nicht nur einfach (wie) eine Femme Fatale mit Guerlain'scher Ausprägung. „Jasmiralda“ soll sich aus „Jasmin“ und „Esmeralda“ zusammensetzen und spielt damit auf die weibliche Romanfigur aus dem Glöckner von Notre Dame Victor Hugos an. Wie die Romanfigur auch, hat Jasmiralda zahlreiche Facetten und Eigenschaften, die man beim ersten Eindruck und Blick niemals auch nur vermutet hätte: Sie verwandelt sich auch nicht in die "Unschuld vom Lande", sie bleibt sinnlich, aber niemand hätte hinter der rassigen Schönheit zu Beginn diese edle, verhaltene und eigentlich alltagstaugliche Sinnlichkeit auch nur erahnen können - beide benötigen dazu die Chance, sich "im normalen Leben" zu entfalten. Esmeralda hat sie im Roman Hugos nicht bekommen - und Jasmiralda letztlich auch nicht; schon vor Jahrzehnten wurde sie vom Markt genommen.
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