Verveine d'Eugène

dermeier
22.08.2012 - 14:15 Uhr
5
Hilfreiche Rezension

Früchtique!

Der kleine, elterliche Reihenhausgarten am Stadtrand ist seit meiner frühesten Kindheit ein wunderlicher Urwald mit allerlei Kräutern, Sträuchern, einer echten, unenglisch ungepflegten Wiese, auf der sich Hummeln und Bienen austoben dürfen und an so mancher Ecke sprießt und wuchert Pfefferminze, Eisenkraut, Lavendel und Oregano, gesäumt von zumeist beerigen Obstbäumchen. Noch heute liebe ich es, durch den Garten zu schlendern und alles, was schimmernd in er Sonne lecker glänzt, zu pflücken:

Leicht unreife, kleine Walderdbeeren, die nichts mit den wässrig überzüchteten Industrie-Früchten zu tun haben. Noch nicht ganz reife, knackige, herb säuerliche Stachelbeeren, bevor sie zu zuckrig überreif bei einem Biss explodieren. Der herbe Rhabarber, dessen Biss eine angenehm prickelnde Säure offenbart, die voller Frische ist, zugleich aber die Geschmacksknospen im Mund zusammenzieht. Die feinen, säuerlichen, roten Johannesbeeren, auch die weissen, etwas süßeren Johannesbeeren, die niemals zu süß, niemals zu klebrig, zu zuckrig sind und stets die erfrischend ausbalancierte Säure haben, die bei totgekochter Marmelade längst verloren ist. Auch Pflückobst liebte und mochte ich am liebsten, wenn sie noch kurz vor der Reife waren... Der Kern einer Pflaume muss sich schwer vom noch nicht zu saftigen Fruchtfleisch lösen, um den perfekten Zustand nach meinem Geschmack zu haben, so dass man die Frucht und den Duft spürte, schmeckte und genießen konnte, bevor die Süße der reifen Frucht dominiert.

Bereits beim ersten Schnuppern im Münchner 'Sündhaft' gefiel mir der minimalistische, klare Ansatz von Heeley's Verveine so gut, hatte mich aber dann für 'Tribal Black Tea' entschieden, da dieser Duft noch puristischer, noch klarer, noch einfacher, aber ebenso erfrischend sommerlich war. Nachdem sich ebendieser Flacon aber langsam leert, wagte ich dank einer sündhaften Probe Verveine mehrfach und sofort weckte der gar nicht so dezente Duft die Assoziationen an meine Kindheit und das Sammeln saurer Früchte, die Entscheidung fiel ohne langes Überlegen und seit heute darf ich den großen Flacon mein eigen nennen und bin nach wie vor sehr angetan und verliebe mich gerade, denn...

Der erste Augenblick 'kickt' sofort, bei diesen hochsommerlichsten Temperaturen erfrischt dieser Duft die Sinne, wie ich es von konventionellen, zitrischen oder minzigen Parfums so nicht kenne. Das 'Grün' empfinde ich als zurückhaltend, stattdessen ist die Verbene sofort erkennabr und bleibt erhalten, während sich Augenblicke später die Bergamotte und der Rhabarber einen Weg durch das Kraut bahnen, nur sanft und sehr vorsichtig durch die schwarze Johannisbeere begleitet, die stets höflich und dezent im Hintergrund bleibt, aber dennoch nie so ganz verschwinden will. Es bleibt nach kurzer Zeit eine angenehme, unglaublich erfrischende Säure, so dass meine ungeschulte Nase weder den Jasmin noch den Moschus entdeckt, stattdessen taumle und bade ich trotz der verschwitzten Temperaturen in purer Frische, die eine, ähm, (ex)-Freundin aus Frankreich mal so ganz wunderbar mit ihrem niedlichen Akzent als 'früchtique' beschrieb. Was sie im übrigen genau bei den säuerlichen Früchtchen so gerne sagte. Zu keinem Zeitpunkt entdecke ich eine klebrige Süße, zu keinem Zeitpunkt etwas 'Pudriges', zu keinem Zeitpunkt wirkt der Duft zu feminin, stattdessen ist er klar, minimalistisch, natürlich, so vollkommen unsynthetisch und so wunderbar einfach in seiner Klarheit und Erkennbarkeit.

Ein perfekter, verträumter Duft für warme, heisse und sehr heisse Tage, der auch so wunderbar 'alltagstauglich' und zugleich ungewöhnlich und charaktervoll genug ist, um auch außerhalb des Büros in den Abendstunden in einer Bar, in einem Restaurant oder auf der grünen Wiese beim Picknick mit seiner Liebsten zu wirken und zu funktionieren, ohne niemals aufdringlich zu werden. Ganz im Gegenteil, nach etwa zwei Stunden verbleibt ein nur noch sehr, sehr zarter Hauch, der gerne dazu verführt, vorsichtig nachzulegen und das Spiel der sofortigen, säuerlich angenehmen Frische von vorne zu beginnen.
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