Undine
05.02.2012 - 17:20 Uhr
Sehr hilfreiche Rezension
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
4
Duft

Die perfekte Orange, sonst (fast) nichts

Diese Orange! Sie ist nicht von dieser Welt.

Sie braucht ein Weilchen, bis sie sich aus dem diffus säuerlichen Auftakt herausgelöst hat. Aber dann gewinnt sie Kontur, so mild, klar und rein, wie ich noch nie eine Orange gerochen habe. Solchen Duft verströmen noch nicht mal reife Früchte direkt vom Baum. Nein, das hier ist keine Fundsache; den Unwägbarkeiten und Unzuverlässigkeiten der Natur hat der Parfumeur nicht getraut. Er wollte Vollkommenheit. Und hat sie geschaffen: die perfekte Orange – aus der Retorte.

Mag ich das riechen? Ja, durchaus.
Mag ich so riechen? Lieber nicht. Höchstens eine Kopfnotenlänge lang.

Dieser Duft, so zeigt sich freilich, hat einen großen Kopf. Einen riesigen. Da steht sie, die perfekte Orange, ein glatt gebügelter Mond, der nicht untergeht. Zwei Stunden, drei, vier. Na gut, ist ja auch ein Kunstmond. Ein Theatermond. Aber warum ist er so lange solo auf der Bühne, wenn das Stück doch "Osmanthe Yunnan" heißt? Eine exzentrische Regie verwehrt der Hauptperson den Auftritt – das Publikum grummelt.

Nach fast sechs Stunden lässt sich Osmanthus, der Hauptdarsteller, endlich blicken. Der Zuschauerraum ist da schon leer (so lange dauert selbst Wagners "Parsifal" nicht, das wohl längste aller langen Bühnenwerke ;-)…). Ist auch besser so, denn dem Hauptdarsteller hat das lange Warten die Stimme verschlagen; sein Auftritt ist jetzt ausdrucksschwach.

Ach ja, fast vergessen: Etwas Teeflüstern war während des Mondsolos auch dabei. Passend dazu habe ich mir nachmittags Pai Mu Tan aufgebrüht, "weißen" Tee, so genannt, weil der würzige Aufguss fast farblos ist ;-)…

Bleibt die perfekte Orange. Nicht von dieser Welt. Aber um dieses Kunst-Stück ging es mir nicht.
1 Antwort
LionesstaraLionesstara vor 10 Jahren
Brillanter Kommentar.