Blumenblut
21.12.2013 - 06:29 Uhr
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Top Rezension
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Duft

Ohne Rauch geht's auch

Ich werfe den Wasserkocher an, hole den Teebeutel aus seiner Aromaverpackung, halte ihn mir kurz unter die Nasenlöcher, atme ein und lasse mich flashen. Ganz früher hätte ich einfach nur „Wow!“ gedacht, später: „Das wär jetzt mal ein megacooles Parfum!“ Seit ich mich aber mit dem Gedanken trage, einen Kommentar zu Tea for Two zu schreiben, denke ich mir jedes Mal: „So (!) riecht Chai-Tee nämlich in Wirklichkeit!“

Ich vergewissere mich noch ein letztes Mal, dass er für mich auch fertig aufgebrüht (mit Milch und Honig) weder nach Tea for Two riecht noch so schmeckt, wie das Parfum riecht — zumindest nicht auf meiner Haut. Derjenige, der es mir nämlich vorgestellt hat, hat mir seine Abfüllung mit den folgenden Worten überlassen: „An dir kommt er toll, bei mir riecht er nur nach Chai-Tee.“ Den Gedanken konnte ich nicht nachvollziehen („Okay, und wo ist das Problem?“) und habe die Probe aufs Exempel nicht gemacht, auch weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er bei ihm anders riechen sollte. Und es war mir auch egal, dass er mich weder an Chai noch an sonst irgendeinen meiner Lieblingstees erinnert (Earl Grey, Vanille-Tee von Twinings). Ich war auch so schon hin und weg, und zwar von der Einzigartigkeit der Gesamtkomposition und vom einhüllenden Wohlfühlcharakter, ohne den Duft in seine Bestandteile zerlegen zu wollen oder — damals noch — zu können. Als meine Abfüllung ein paar Tage später aus dem bei einem Flug undicht gewordenen Reiseflakon ausgeronnen war, schmierte ich mich mit den Resten ein und behielt den Transport-Ziplock noch so lange, bis ich den Duft nur mehr erahnen konnte.

Hätte ich Tea for Two damals nicht in real life, sondern virtuell kennengelernt, hätte es mein Interesse trotz der oft zu lesenden Assoziation mit Chai-Tee wohl nicht geweckt. Die in ihrer Gesamtheit sehr widersprüchlichen Beschreibungen hätten mich irritiert, und vor allem hätte ich mich als Nichtraucherin an der länderübergreifend wahrgenommenen „Aschenbechernote“ gestoßen. Die häufige Erwähnung von Tabak hätte den Duft für mich aus demselben Grund uninteressant werden lassen, wie auch der Hinweis darauf, dass er „geräuchert“ rieche. Dabei ist es gerade das Räucherige, das diesen Duft für mich so sensationell macht. Den Tabak nehme ich besonders intensiv wahr, und er löst bei mir sehr positive Gefühle aus: den Dufteindruck einer frisch geöffneten Zigarettenschachtel oder der Hand eines Rauchers empfinde ich trotz meiner Anti-Haltung als sehr angenehm und beruhigend. Gleichzeitig bleibt Tea for Two lange ätherisch frisch. Und ist am Anfang auch recht süß — einen Tee, der so süß riecht, könnte ich nicht runterbekommen (ich schaue oft nach dem Geruch, ob ich schon Honig bzw. Zucker reingetan habe, und neben Tea for Two riecht mein Honig-Chai einfach nur ungesüßt). Irgendwann im Duftverlauf rieche ich auch kühle Blüten. Insgesamt finde ich den Duft sehr tiefgründig, intelligent, charaktervoll und ausgeglichen. Er fängt einen toll auf.

Mein Abfüllungsgeschenk bekam ich damals mit dem Hinweis, Tea for Two sei nicht mehr erhältlich. In den letzten Wochen ist er auf der offiziellen Seite ein paarmal aufgetaucht und wieder verschwunden. Momentan scheint er in der 50-ml-Größe auf, allerdings nur im französischsprachigen Teil der L’Artisan-Seite, die bei mir in Safari nicht mal so dargestellt wird, dass man die Sprachoptionen etc. sieht (Chrome geht). Glücklicherweise konnte ich über Parfumo vor kurzem einen 100-ml-Flakon erstehen und bin sehr glücklich, den für immer verloren geglaubten Tea for Two endlich wieder mein Eigen nennen zu können. Die Menge wird bei meiner schon recht umfangreichen Duftauswahl wohl lange genug reichen, trotzdem ist es interessant, über Alternativen nachzudenken, falls Tea endgültig aus dem Programm genommen werden sollte.

Tobacco Vanille finden viele, mich eingeschlossen, von der Richtung her sehr ähnlich. Die Situation ist untypisch: beim Vergleichstest der beiden geht es mir nicht darum, ob das billigere Tea for Two ein annehmbares Surrogat für das ca. 3mal so teure Tobacco Vanille ist, sondern ob Tobacco Vanille trotz seines Preises und der Plastikverpackung für mich als Ersatz für ein eingestelltes Tea for Two in Frage käme. Tobacco enttäuscht mich jedoch auf ganzer Linie: zu süß, zu schrill, zu unspektakulär und im Vergleich zu "schal". Das Räucherige fehlt ihm gänzlich. Next! Die Rauchnote scheint das Geheimnis zu sein: The Smell of Weather Turning! Mmmmh... Genau... Doch im Grunde weiß ich: so sehr ich Weather liebe, ich würde es nicht nachkaufen, wenn es leer ist. Vielleicht ist gerade dieser Lagerfeuer-Rauch zu speziell und die Dufterfahrung dadurch einfach intensiv genug, um nach einem geleerten Flakon noch lange davon zehren zu können. Diese Art von Düften eignet sich vielleicht gut für eine intensive Lebensphase, aber sein ganzes Leben lang will man vielleicht doch nicht so riechen. Insofern... Smart von Andrea Maack deckt für mich den Intelligenz- und Kuschelfaktor von Tea for Two ab und hat mit ihm meiner Meinung nach auch den (nicht angegebenen) Zimt gemeinsam. Vom Charakter her ist er verglichen mit Tea fast schon business-like, bleibt für mich aber ein ausgesprochener „Seelenschmeichler“. Jeux de Peau deckt für mich den Gourmand-Aspekt ab. Es ist weich und spritzig — ein Gute-Laune-Duft. Die beiden sind mir in Kombination dann doch wichtiger.

Fun Facts:

Fun Fact Nr. 1: Folgende Tea-for-Two-Noten befinden sich im Umlauf und dienen als Wahrnehmungs- und Kommentargrundlage:
Artisan-Webseite: Ingwer, geräucherter Tee, Honig
Der Beschreibungstext erwähnt noch: Kaminfeuer, würziges englisches Teegebäck, Honigtoasts, Ledersessel, Zigarren und trockenes, brennendes Laub.
Parfumo: Bergamotte, Sternanis, Tee, Gewürze, Ingwer, Zimt, Honig, Vanille
Fragrantica: Parfumo-Noten + Ingwerbrot, Leder, Tabak

Fun Fact Nr. 2: In den deutschsprachigen Parfumo-Kommentaren findet man nichts über Leder, in englischsprachigen Fragrantica-Reviews heißt es dagegen z.B.: „I smell the leather tones right away“, „opens quite spicy and leathery“, „slightly smoky and leathery upon initial application“, „the beginning is very smoky and leathery“ (insgesamt 7,6%). Keiner der 77 russischsprachigen Fragrantica-Reviewer nimmt Leder wahr, zwei gehen sogar darauf ein, dass sie keines herausriechen können. Beim Noten-Ranking, bei dem man die Wahrnehmbarkeit der vorgegebenen Duftnoten bewerten kann, steht Leder zwar an letzter Stelle, dennoch haben es immerhin 34 User auf der englischen bzw. 14 User auf der russischen Seite angeklickt.

Fun Fact Nr. 3: Kirschmarmelade kommt nirgendwo vor, wird aber in 19,5%, sprich in jeder fünften der 77 russischen Fragrantica-Reviews erwähnt. Demgegenüber stehen 0% in den 92 englischsprachigen Reviews und ebenfalls 0% in den 14 deutschsprachigen Parfumo-Kommentaren. Wie kommt das? Viele Russen trinken ihren Tee zu Hause traditionellerweise mit (Kirsch-)Marmelade. Die Ergebnisse der Google-Bildersuche zu „Tee mit Marmelade“ (auf Russisch) zeigen, wie typisch das ist: bit.ly/1ftoqbv, d.h. allein schon der Tee im Parfumnamen löst bei den Reviewern kulturell bedingte Assoziationen aus.

Fun Fact Nr. 4: Nach dem Lesen der ganzen Kommentare habe auch ich vor ein paar Tagen die verdammte Aschenbechernote gerochen! In dem Moment wurde mir klar, was für ein wandelbarer Duft Tea for Two ist. Daraufhin habe ich versucht, ihn wieder so wie früher zu riechen. Das Ganze ein paarmal abwechselnd wiederholt. Es hat wunderbar geklappt.
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