Nikolai
22.10.2021 - 07:15 Uhr
9
9
Preis
9
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Kein oriental-overkill. Zum Glück!

Taif T04 ist eigentlich kein Duft, den ich mir selber sofort zugeordnet hätte. Ich halte mich nicht für jemanden, der dominantes Oud tragen kann und zugegeben - ich mag es auch nicht besonders. Dennoch hege ich keine gemeingültige Aversion gegen Oud, nur um das klarzustellen!

Als ich also auf Taif al Emarat gestoßen bin und mich durch die verschiedenen Kreationen geklickt habe, war ich schon fast traurig, dass ein Großteil der Taifs doch augenscheinlich einen sehr starken orientalischen Touch hat und allesamt vor Oud und scharfen Gewürzen triefen, was nun so gar nicht meinen Geschmack trifft und mir wohl auch nicht wirklich steht.
Ich stieß jedoch schlussendlich auf Taif T04. Honig ist für mich meistens schon ein Blindbuy-Grund, ich stehe total auf den Honiggeruch und die nun eher ungewöhnliche Kombination mit Oud und einer allgemein (zumindest für mich) unkonventionellen Note der Cranberry, weckte bei mir doch die Neugier. Hierfür reichten bereits die genannten Zutaten, mit Prunus dasycarpa kann ich selbstverständlich nichts anfangen und die Basisnoten fielen mir beim Lesen gar nicht großartig auf.

Bei meiner Recherche darüber, woher und vor allem zu welchem Preis ich denn ein Fläschchen von dem gelben Elixir bekommen könnte, hielt ich meinen Traum jedoch zunächst wieder für geplatzt. Knappe 100€ auf 75ml sind inzwischen längst unter meiner Schmerzgrenze - 93€ für den Versand aus der UAE leider nicht.

Durch einen sehr glückliches Zusammenspiel einiger unwahrscheinlicher Zufälle, gelang es mir aber tatsächlich bereits am nächsten Tag einen halben Flakon T04 in der Hand zu halten, ganz ohne die horrenden Versandkosten bezahlen müssen.

Doch kommen wir nun nach der doch eher länger ausgefallenen Vorgeschichte zu ein paar kurzen Lobpreisungen auf den Flakon, zum Duft selbst:

Der Flakon ist wertig, schwer und sieht sehr ansehnlich aus. Die renngelbe Flüssigkeit passt meiner Meinung nach nicht zur sonst so edlen Aufmachung des Ganzen, wird aber durch den hervorragenden Zerstäuber und die tolle, aufwendige Verpackung wieder wett gemacht.

Und nun zum Duft:
Sprühe ich T04 auf meine Haut, so rieche ich in erster Linie eine Note unverkennbar und nackt, in seiner ganzen Fülle. Oud. Zu meiner Freude, stieß es mich jedoch nicht ab, sondern traf genau ins Schwarze. Dieses Oud, verhält sich wie Oud das ich sehr schätze. Es ist weniger beißend animalisch, als holzig-luftig, ohne dabei auch nur eine Spur Muffigkeit innezuhaben. Tatsächlich erinnert mich die Kopfnote des Taifs unverwechselbar stark an Oud Wood Eau de Parfum.
Das ist vermutlich nichts für Animalik-Fanatiker und Oud-Puristen, die jedoch im Portfolio von Taif al Emarat wohl trotzdem fündig werden.

Voller Spannung wartete ich auf den Honig, der zu meiner Enttäuschung nicht derartig süß und vollmundig beikommt, wie ich ihn mir erhofft habe. Vermutlich ist jenes jedoch nichts als ein Gewinn für den Duft. Durch einen Honig wie im Honigglas liefer er vermutlich Gefahr, von dieser Süße kombiniert mit Vanille völlig in die Masse der süßholzigen Gourmands gerissen zu werden. Denn genau das ist der T04 nicht: Süß.

Klar, er ist wohl eher süß als frisch und eher süß als rauchig oder beißend ledrig, doch wirklich süß? Nein.

Ich würde diesem Duft primär die Eigenschaft der Ausgewogenheit zuordnen. Ausgewogen im Sinne von „alle Noten sind ähnlich deutlich wahrnehmbar“, ebenso wie ausgewogen im Sinne von der Duftpyramide und ihrer Entwicklung: Für mich lässt sich hier nach einer Zeit keine klare Einteilung in Kopf, Herz und Basisnote vornehmen. Beim Auftragen ist es zwar eindeutig - das Oud dominiert zu Anfang, Honig, Cranberry (ebenso wenig süß, eher herb-bitter) gesellen sich dazu, lösen aber das Oud nicht ab. Ebenso lösen alle Teile der Basisnote, keine der Vorgängernoten ab. Im Drydown ergänzt der Duft sich lediglich selbst um Fragmente seiner DNA und endet mit einem harmonischen Miteinander aller aufgelisteten Noten. Eine kleine Unausgewogenheit rieche ich lediglich zwischen dem Oud - das ohnehin mit kleinem Abstand die Dominanteste Zutat ist - und Patchouli, welches ich leider praktisch gar nicht erschnuppern kann.

Zur Haltbarkeit: Spitze der Oberklasse. Der
T04 bleibt den ganzen Tag sogar für einen selbst wahrnehmbar auf der Haut und wird dabei nicht unangenehm.

Zur Sillage: Höchstens obere Mittelklasse. Komischerweise ist die Sillage im Kontrast zur hervorragenden Haltbarkeit weniger beeindruckend. Sie ist nicht schwach, aber man muss sich schon nahe sein, um den Duft tatsächlich wirklich wahrnehmen zu können.

Ohne andere Taif al Emarats getestet zu haben, kann ich mir vorstellen, dass T04 der softeste und gefälligste, zumindest dieser Reihe aus dem Haus ist. Ein Crowdpleaser ist er dennoch nicht, da ich sehr gemischte Reaktionen auf ihn erhalten habe. Befindet man sich auf der Suche nach der totalen orientalischen Gewürzbombe oder dem Urinstinkt-triggerndem Oud-Overkill, ist man mit T04 falsch.
Möchte man einen zumindest in Deutschland doch sehr außergewöhnlichen Duft, der unverfälschlich orientalisch anmutet und durchaus den ein oder anderen Versuch braucht, ihn zu mögen, ist T04 wohl eine gute Wahl. Ich rate jedem, dem sich eine Gelegenheit zum Kauf oder Tausch ohne die kriminellen Versandkosten bietet: schlag zu!

Achso, er ist meiner Meinung nach übrigens relativ deutlich männlich, jedoch mit der richtigen Ausstrahlung auch von einer Frau zu tragen!
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