"Der Ursprung von allem ist Duft"
„Der Ursprung von allem ist Duft“
Ein kleiner Ausschnitt aus einem Duftleben (Gekürzte Version)
Düfte haben schon früh in meinem Leben erreicht, das sie eine grosse und berechtigte
Aufmerksamkeit von mir bekamen. Und sie waren bereits sogar schon in meinem Leben, als
ich noch ein winziges Spermium war. Denn, so sagt die Wissenschaft heute, gibt es bereits
als Same auf dem Weg zur Eizelle so einiges zu riechen, noch lange bevor ich eine Nase
und ein ausgebildetes Riechzentrum besass. Duft war für mich also schon als kleines
zappelndes Spermiumwürmchen der Wegweiser, der heimliche Begleiter während meines
Tauchgangs zum mütterlichen Ovarium.
Es wird heute angenommen, das ein Aldehyd, das wie Maiglöckchen riecht, tief in meiner
Mutter, ja in allen Müttern, mich möglicherweise dazu angespornt hatte, meine Fähigkeiten
als einer von 100 - 300 Millionen Schwestern und Brüdern aufs grösstmögliche
auszuschöpfen, um als flinkster und als der wohl Duftverrückteste von allen als erster in
dieses Maiglöckchenfeld fallen zu dürfen, in dieses errochene Paradies welches mir winkte,
wenn ich all meine Kräfte und meinen ganzen Samenwillen zusammennahm, und schwamm
und kraulte wie ein Verrückter, um erster zu sein, um Millionen andere hinter mir zu lassen,
koste es, was es wolle (eine wohl prägende und bleibende Eigenschaft, die heute noch gilt
was zum Beispiel den Erwerb eines ersehnten Parfums betrifft).
Wie hat es dann einige Zeit später, mein Ziel längst erreicht, und nach dem Verschmelzen
mit der Eizelle in der Gebärmutter bereits zu einem stattlichen Fötus herangewachsen, wohl
für mich gerochen, gemundet, geschmeckt? Schwimmend in einem warmen unendlichen
Meer von Fruchtwasser war das Riechen durch die Nase und das Schmecken durch den
Mund nach Erkenntnissen von Wissenschaft und Forschung bereits wohl möglich. Was ich,
sollte diese Annahme zutreffen, wohl gerochen habe: Knoblauch, Spargel, Bier, Ananas,
Vanille, Zigarette, Schweiss, Urin, Pfefferminze, Hefe, Chemie? Als kleiner Fötus hatte ich
dann wohl bereits den Geruch und den Geschmack meiner Mutter instinktiv durch das
Einatmen und das Schlucken des Fruchtwassers, in dem ich als kleiner Geniesser in einem
eigenen Universum schwamm, ausmachen können! Mutter als Duftbild, als innige
Vorstellung, als grosse chemische Vision, als Verlangen meiner fötalen Sehnsucht.
Vielleicht war es da bereits möglich, selbst das Parfüm der Mutter auszumachen, welches
sie damals trug; besonders die Rosenakkorde, von denen noch die Rede sein wird.
Die Überzeugung in mir ist gross, bereits lange vor dem Samensein selbst ein Duft gewesen
zu sein. Vielleicht ist ja alles, bevor es in die Welt der Erscheinungen tritt, ein einziger Duft,
noch vor allen anderen Eigenschaften, noch bevor eine Welt überhaupt in Erscheinung tritt,
also noch vor der Schöpfung. Vielleicht ist die alles erschaffende schöpferische Energie
selbst ein Duft. Vielleicht ist die ganze Schöpfung nur ein energetisches Aroma, aus dem
alles entsteht, aus dem dann auch die Welt, die Pflanzen, die Menschen, ja gar alle Galaxien
für eine kurze Zeit aufkommen, aufleben, in Erscheinung treten, bevor sie wieder mit
diesem ewigen Moment als ein leises Wehen verschmelzen. Vielleicht sind Leben, die
Liebe, vielleicht der Tod „nur“ ein flüchtiges Bouquet, eine zarte Liebkosung, ein subtiler
Atemstoss der göttlichen, der duftenden Kraft. Vielleicht ist Sterben lediglich das sanfte
Verwehen eines Odeur, vielleicht das Leben, ja das ganze Sein nur aus einem, grossen
Triumph aller Facetten ewig tanzender Moleküle, bestückt mit allen Akkorden von je
gewesenem, von allen gegenwärtigen und künftigen Noten, welche wir ach so winzigen
kurzlebigen Wesen so lieben oder auch ablehnen, in einem fort, bevor bald schon eine Brise
Nachtluft uns nimmt und küsst und wieder eins macht mit allem!
Sind wir nicht selbst als Mensch ein einziger, fleischiger, knochiger, sinnlicher Flakon,
unaufhörlich Düfte absondernd, ohne Ende Botschaften aussendend, lockend, verlockend,
abstossend, anziehend, durch eine Aura aus Schweiss, Atem, Haut, Sekret, Fett, Blut,
aufgetragenem Parfüm oder getrunkenen Alkohol?
Alleine schon am Duft der Kleidung von Menschen können wir oft so vieles bewusst
ausmachen: einen starken Raucher, der neben dir in der U-Bahn sitzt; eine schwitzende
Joggerin. Und wo arbeitet dieser oder jener Duftgenosse, jene Genossin der riechenden
Welt: in einer Döner- oder Frittenbude, täglich den herum schwebenden Fettpartikeln der
Fritteusen unerbittlich ausgesetzt; als Bauarbeiter mit einem Mix aus Schweiss, vielleicht
Rauch, Leim, Betongeruch, Deo, Farbe in seinem Blaumann; als Arzt, eine Fahne aus
Desinfektionsmittel und dem ersten starken Morgenkaffee, dem Geruch der
Latexhandschuhe hinter sich herziehend; als Verkäuferin einer Parfümerie, als
Schornsteinfeger, diesem Glücksbringer, der nach Rauch und Russ, Holz und Kohle, Metall,
Staub und nach Asche duftet; als Pfarrer, dem täglichen weihräuchern und alten Gemäuern,
dem Schreiben auf wertvollem Papier mit Tinte, und dem Kerzenwachsduft ausgesetzt; als
Gärtner oder Floristin, als KFZ Mechatroniker, als Bademeister, als Modell. Hat ein Mensch
gerade Angst, ist er gestresst, ist er oder sie noch ein Baby oder ein alter Mensch, riecht er
oder sie sauer, süss oder ist ein Mensch verbittert, gekränkt oder verliebt.
Alles hat seinen Geruch, alles seine Ausdünstung, alles seine Duftfacetten! Es bedarf
lediglich meiner Aufmerksamkeit, um dem allem auf die Spur zu kommen, um seine
Einladung anzunehmen, einzutreten in ein tiefes Erleben. Eigentlich ist wirkliches, zu
tiefstes, saftiges, rundes und stets einen neuen Zauber, ein neues Wunder zu entdecken
wollendes Leben ohne eine kompromisslose Aufmerksamkeit, ohne die Wachheit eines
ewig Verliebten nur sehr begrenzt möglich. Ohne diese Wachheit und Aufmerksamkeit
riecht und sinnt der Mensch meist im Trüben, läuft er duftblind, laut schwatzend und
„webbend“ durch die Gegend, wie ein verirrtes Huhn durch sein Leben, ohne je die Fülle
und den schaurigen Schauer des ganzen Lebens und seinen Ausdünstungen in einem
einzigen Moment erfasst zu haben.
Ja: Schöpfung ist offensichtlich eine Parfümkomposition, allerdings mit nicht immer den
gleichen Akkorden, sondern sich ständig und unaufhörlich und in einer rasenden
Geschwindigkeit ändernd. Kreation, Schöpfung, ein Kommen und Gehen ohne Anfang und
Ende in einem einzigen ewigen, chemischen Moment, in einer einzigen alles beinhaltenden
Formulierung der Gnade.
Diese Schöpferenergie, diese geschlechtslosen Götterschwingungen (wenn wir diese
besagte Energie denn so nennen wollen), drücken den Spraykopf ihres flacon à parfum, und
das Wunder beginnt; das All, die Planeten, die Welt entstehen, und, wenn vorgesehen, ein
Leben, ein Haus, eine Brust, eine Katze, Krieg oder Friede, Krebs oder eine Aprikose,
Haferschleim, ein wundersamer Ton oder ein schönes Gesicht: eben alles, was des
Schöpfers/der Schöpferin Lust gerade ausdrücken soll. Und der Ausdruck dieser Lust, jenes
OM oder Tao Duftes, ist dann der Verlauf eines Lebens, der Verlauf der Welt, des Alls, des
Kommens, des Hierseins und wieder Gehens, des Gebärens und Vergehens. Götter oder
Göttinnen oder beide zusammen sind vielleicht die einzigen wirklichen Meisterparfümeure,
jene Ursprünglichkeit, von der alles ausgeht. Am Anfang war nicht das Wort, sondern ein
Duft.
Monate später und um zwei Wochen übertragen; ich hatte es endlich unter Todesangst und
Erstickungsgefühlen geschafft, mich aus einem engen und endlos scheinenden, schmierigen,
stinkenden Gang von meinem gerade noch warmen stillen Ozean hinaus ins grelle, laute
Freie zu zappeln, hatte ich hunger! Man musste mir laut Hebamme erst gar nicht den Arsch
versohlen, um mich laut schreiend und tobend ob dieser ersten Begegnung mit einem
Menschen ausserhalb des Mutterbauches als lebend bemerkbar zu machen, sondern ich
schrie schon los, und zwar vor Hunger, noch bevor ich den ersten postnatalen Missbrauch
meines Lebens erlebt hatte.
Und auch da klappte sofort die Verführung. Durch meine Mutter, und ihre mütterlichen
Tricks und Instinkte: Ihr Lockstoff, die Muttermilch, die nach Vanille roch, cremig war und
die Eigenschaft hatte, mich umgehend zu beruhigen und welche unmissverständlich die
Zugehörigkeit und Liebe zu meiner Mom signalisierte, liess mich sofort glückselig
verstummen. Und wild saugend an einem warmen, weichen, Sättigung und Lust
verschaffenden Quell eines neuen Paradieses wurde ich, in jeglicher Hinsicht, satt. (O-Ton
Mutter Jahre später: „Du saugtest und hattest, obwohl noch ohne Zähne, so stark
zugebissen, das Du leider bald anstelle der Brust die Flasche bekamst.....“. Ja: Dort bekam
ich meinen ersten Flakon hingehalten. Und vielleicht den Grund, auch heute noch das
meiste Flüssige lieber direkt und ohne Umweg in ein Glas aus der Flasche zu trinken...).
Einige Monate später dann und schon längst staunend und forschend die Welt erkundend, da
endlich des eigenständigen Gehens mächtig, zog es mich wie von einem Magnet gesteuert,
täglich und nächtlich, bei Regen, Schnee, Sonne, Wind, eben bei allen Wettern in den
elterlichen, damals für den kleinen Tom mächtig grossen Garten; ein eigenes riesiges
Universum, welches reine Freude für mich bedeutete. Dort forschte ich, dort staunte ich,
dort war ich abermals im Paradies. Mein Reich war gekommen, amen! Dort erlebte ich die
Jahreszeiten in einer Intensität, die mein ganzes Wesen bei jeder Begegnung mit
Schmetterlingen, Blüten, Blättern, Würmern, Osterglocken, Kiefernzapfen, der Kühle von
Steinen (die ich nur zu gerne und jederzeit genüsslich ableckte), zutiefst und gleichzeitig auf
angenehmste Art erschütterte. Ich stopfte alles in meinen Mund, das mir in die kleinen
Finger geriet: saftige bittere Blätter, die nicht nur grün aussahen, sondern auch grün rochen
und schmeckten; Sand, der ein bisschen nach Blut und auch nach Hitze roch und schmeckte;
Rosenblüten, die rochen, als seien sie eine Frucht zum zerbeissen, zum zerdrücken, um
mich mit ihrem Saft zu beschmieren; Kirschen, die wiederum einen rosenähnlichen
Geschmack transportierten; Schnee, der mich beim essen erschaudern und gleichzeitig
lachen liess und den ich dann im ganzen Gesicht verschmierte, um mich mit der
angenehmen Kälte des Schnees abzukühlen, um nicht durchzudrehen vor Wonne; Pilze, die
nach welkenden Blättern im Herbst und nach dem Keller des uralten Hauses schmeckten
und rochen, nach Vergänglichkeit und Angst, nach etwas sehr fremdem und unheimlichen,
sodas ich umgehend ausspucken musste (...ich landete dann trotz ausspucken und erbrechen
(schon wieder ein Geruch: erbrechen....) in der Notaufnahme). Ich kaute Tollkirschen,
Belladonna, (und landete wieder beim Arzt, mit hohem Fieber und knallrot angelaufenem
Gesicht sowie wild um mich schlagend. Und offensichtlich hatte ich, laut meiner Mutter,
ständig von einem Pferd erzählt, welches am, von mir behaupteten grünen, aber in
Wirklichkeit weisen, Gartenzaun stand und auf mich wartete).
Gras, Pfirsiche, schwarze Johannis- und Holunderbeeren, Gurken, rohe, unter grösster
Anstrengung selbst ausgegrabene Kartoffeln, Stachelbeeren, ja: Alles und noch viel mehr
gab es in diesem Garten (nur leider kein Pferd, nach dem ich noch tagelang fragte und
suchte).
Und ich merkte schnell: Wer schmeckt, der riecht auch gleichzeitig, und umgekehrt. Und so
erroch ich alles, was in meine Nähe kam. Oder auch, was von weither kam. Je nach dem,
aus welcher Richtung der Wind wehte, roch ich den Geruch der Hühnerfarm in der Ferne.
Und da wir auch eine kleine Truppe eigene Hühner im grossen Anwesen hatten, welche
damals meine absoluten Freunde und Verbündeten waren, war ich auch über den Duft, der
von der grossen Farm ab und an heran wehte, Abends in meinem Kinderbett liegend mit
meinen Hühnerfreunden verbunden. Und wenn dann im Frühling zu diesem Duft noch eine
Amsel vom Giebel des Nachbarhauses ihr Schlaflied sang, dann war mein Dasein, meine
Anwesenheit aus reinem Glück und geradezu wie das Lied der Amsel selbst.
Als Erwachsener erzählte ich dann und wann von diesen Erlebnissen, zum Beispiel den Duft
der Hühnerfarm beschreibend, und traf, wen wundert es, auf grosses Unverständnis. Wie
einem beim Gestank von Hühnerdreck das Herz aufgehen kann, das verstand keiner. Oder
wie man beim Geruch von Abgasen aus den hohen Kaminen der fernen Tapeten und
Pharmaindustrie selbst heute noch, Jahrzehnte später, in Verzückung geraten konnte und
kann...Kopfschütteln, Unverständnis, Desinteresse, Zurückweisung. Kaum einen
interessieren solche intimen Geständnisse.
Alles, was roch, war mir heilig, bis heute. Selbst das, was ich völlig ablehnte. Es war heilig,
da es mich so oder so berührte, da es etwas anregte, aufregte, erregte; Ekel oder Hochgefühl
hinterliess. Alles zu riechen und zu schmecken war mir stets wichtiger als es ungerochen,
ungeschmeckt und für mich unentdeckt zu lassen. Selbst, wenn es eher teuflisch war, was
ich da roch, schmeckte oder schluckte, es bekam meine Aufmerksamkeit! Aber dann auch
oft, nach Erkundung der Eigenschaften und des Erkennens, dass das, was ich schmeckte
oder roch meine Erfahrungen künftig nicht bereichern soll und würde, meine Ablehnung:
Ziegen und Schafskäse, Hirschragout oder Gorgonzola, Erbsensuppe, Feta, der Geruch der
Umkleidekabinen der Turnhalle mit den nackten schwitzenden Armen, Achselhöhlen und
Beinen meiner sportbegeisterten Kollegen (war ich deshalb nie sportbegeistert?). Die
stinkenden Socken eines Schulkameraden bei mir zuhause in meinem engen Zimmer, den
ich nur deshalb vehement als Freund ablehnte, da dieser furchtbare Duft wie eine
Beleidigung auf mich wirkte, wie eine Aggression und ich nichts daraus ziehen konnte, was
mich auch nur annähernd und auch in Zukunft beglücken würde. Und so machte dieser
abscheuliche Geruch auch alle Vorzüge dieses eigentlich liebeswerten Menschen völlig
zunichte.
Ein plötzlicher und lockender Duft, von irgendwo her an meine Nase geweht, kann mich
heute noch, und ähnlich intensiv wie als Kind und mit der ganzen Erfahrung eines auf Duft
ausgerichteten Lebens, zum sofortigen Stehenbleiben und Umschauen zwingen, als hätte
mich jemand beim Namen gerufen oder mir einen Schneeball an den Kopf geworfen.
Ich wurde älter, und wurde wie nahezu alle älter werdenden in Bahnen gelenkt, welche oft
nicht die waren, welche ich mir gewünscht hätte. Die meisten können vielleicht
nachempfinden, was ich hiermit zu Ausdruck bringen möchte?! Leider wurde ich auch kein
Parfümeur, mein einstiger Traumberuf. Aber ich blieb stets ein Duftverfolger, ein
Geruchsverfolger, ein Riechmönch, ein Schnüffler; fühlte mich stets einer Aromasekte
zugehörig, und war doch immer ein einsamer Wolf beim verfolgen und erriechen von
Essenzspuren, vom aufmerksamen Erwittern der Ausdünstung des Lebens, des ganzen
Universum selbst: Ob es das abbrennen von Wunderkerzen oder Tannenzweigen in der
Weihnachtszeit, oder der Geruch von Regen auf heissem Asphalt im Sommer war und ist;
Ob der Geruch des Komposthaufens im grossväterlichen Garten, oder von den im Sommer
frisch lackierten Heizkörpern, wenn sie dann, an einem kalten Herbsttag, das erste Mal
beheizt wurden und die Zimmer sich mit einem besonderen Mix von Düften und
Duftbildern nach der Heizkörperfarbe füllten, nach trocken, kreidig und staubig, nach
chemisch und leimig, nach warm und vertraut, nach Wintergrau, nach wohlig und fremd,
nach überraschend und neu.
Es war stets ein Segen, zu riechen, was es zu riechen gab. Düfte, von welchen sich mein
ganzes Sein anzogen fühlte, aber auch eben die Düfte, die sich als Gestank und als eher
abstossend mir entgegen bliesen.
Meine Mutter war gebürtige Schweizerin und liebte es, der Familie an kalten Tagen
Käsefondue zu präsentieren. Mich sah man an solchen Tagen dann zu Koch- und
Essenszeiten mit einer Wäscheklammer, welche ich auf die Nasenflügel geklemmt hatte,
herumgehen. Das leidige daran war, das ich dann den feinen Geruch von den extra für mich
gerösteten Bratkartoffeln, die ich so innig liebe, der Riechverweigerung wegen auch nicht
riechen konnte.
Käse esse ich heute mit Ausnahmen gerne. Aber es gab und gibt für mich Zumutungen wie:
Ziegen-, Schafs-, Gorgonzola-, Feta-, Schimmel- oder Parmesankäse, welche ich zwar alle
in meinem ansehnlichen Duftbrockhaus im Hirn gespeichert habe, die aber allesamt nie eine
zweite Chance bekamen, von meiner Nase aus der Nähe zu einem Liebesspiel verführt zu
werden. Bei Parmesankäse setze ich mich noch heute einen oder besser zwei Tische weiter
weg, oder ich verlasse gleich das Lokal, sollte einer oder mehrere Tischnachbarn ein Mahl
mit Parmesan bestellt haben. Beim Italiener bin ich deshalb sehr selten. Eher beim Inder,
beim Türken, beim Griechen, bei Jünne Gosch, Umami oder in einem Café mit integrierter
Bäckerei.
Düfte und Gerüche blieben immer willkommene Begleiter, da änderte auch das
Erwachsenwerden nichts daran. Denn Düfte widerspiegelten gleichzeitig Schönheit, und
alles Schöne, ob von der Nase, den Augen, den Ohren, den Sinnen wahrgenommen, zog
mich schon immer magisch an.
Das Auge riecht eben mit: Wenn Du im Fernsehen eine Kochsendung verfolgst, wenn Du
eine Dokumentation über eine Hafenstadt mit Fischern und Meer schaust....ja: mit dem
Geruchssinn, mit dem Geruchsgedächtnis, sieht man mehr. Die Ohren riechen mit: Wenn du
nur schon hörst, wie sich jemand erbricht, riechst du es auch, obwohl das Geräusch nur aus
einem Lautsprecher kommt.
Oder jetzt, beim lesen dieser Zeilen hoffe ich doch für Dich, das einige Duftbilder,
Duftworte, Duftbeschreibungen Dich abholen und hierher bringen, ins Leben, in diesen
Moment der unendlichen Verlockung.
Geruchswelten zu erschauen, zu erstaunen, zu erträumen und mich durch sie in diesen ewig
einzigen Moment begleiten zu lassen, in dem alles auf einmal zu geschehen scheint; Wenn
sich die Zeit als menschengemachte Dummheit herausstellt, die vielleicht nur dazu dienen
soll, Spontanität zu unterdrücken, mich in ein Konzept zu zwingen, in eine Rolle, in eine
Abfolge, in eine Welt voll Regeln, in eine die Sinne unterdrückte Wirklichkeit. Zum Glück
funktionierte diese Domestizierung bei mir äusserst dürftig!
Als Kind war ich von diesem Erwachsenenkram frei. Ich liebte es, ohne Zeit, einfach im
Moment zu sein, der für mich alles war, was zählte. Ich wusste damals bereits, und erfuhr es
in jedem Augenblick in jeder Körperzelle, das Intimität, Intensität, Schönheit, Wahrheit nur
im Moment wirklich wahrgenommen werden kann, spontan, überraschend, lebendig. So sah
ich leidenschaftlich gerne und oft, auf dem elterlichen Bett sitzend, meiner Mutter zu, wie
sie sich vor ihrem Schminktisch für einen Anlass zurechtmachte. Da gab es viel zu sehen,
und vor allen Dingen zu riechen. Die Augen sahen in vertrauter Atmosphäre, wie Mutter mit
feinen Fingerbewegungen, gleich einer Pianistin, ihre schwarzen oder hautfarbenen
Nylonstrümpfe die schönen Beine bis zum Hüftgürtel hinaufrollte, wo sie dann befestigt
und nochmals mit lustigen Fingerspielen zurecht gezogen wurden, bis die Strümpfe sich,
ohne Falten zu schlagen, dann endlich und perfekt ans mütterliche, und damals schon frisch
enthaarte Bein schmiegten. Zu sehen gab es ein fahriges im Gesicht herumtupfen, und zu
riechen den trockenen Puder, der, warum auch immer, staubend aufgetragen wurde. Gleich
darauf half meiner Mutter die Spitze eines Kammes in den Haaren herum zu toupieren,
danach folgte ein konzentriertes an den Augenbrauen zupfen. Zu riechen war Nagellack, der
für mich rot roch, da er rot war, und der aber gleichzeitig nach dem farblosen Zeug aus der
Flasche mit dem Totenkopf roch, welches mein Vater dann und wann in einen Farbkübel
kippte, um die Farbe zu verdünnen, zum Beispiel zum streichen bereits erwähnter
Heizkörper, welche ihrerseits zwar weis gestrichen wurden, für mich ob des gleichen
Inhaltes wie der des Nagellackes aber eigentlich wiederum rot sein sollten. An vorletzter
Stelle kam immer der Haarspray ins lustige Spiel, welcher nicht zu knapp und in nicht
enden wollenden Sprühst.ssen wie Gischt am Meer in den mütterlichen Haarschopf
geblasen wurde, und der dort als klebender Tau die modellierte Haartracht der Mutter für
eine ganze Nacht zum erstarren bringen sollte. Vom Haarspray wurde mir oft übel, ja
geradezu Angst kam auf, da er eine bestimmte Note beinhaltete, welcher mich an eine
zuvor erlebte Vollnarkose mit Äther erinnerte. Ich versteckte mich dann unter der
Bettdecke, bis die Haardressur ein Ende genommen hatte.
Als Letztes kam der wirklich grosse Moment für mich, der letzte Akt dieser mütterlichen
Oper: Parfüm, und auch dies nicht zu knapp, wurde in ähnlichen Sprühst.ssen wie der
Haarlack, nur viel feiner, nebulöser, genüsslicher aufgetragen. Immer, wenn meine Mutter
dann endlich zur Parfümflasche griff, spürte ich ein wunderbares Gefühl in meinem Magen,
so als wäre er bewohnt von abertausenden Glühwürmchen, die da herumschwirrten und in
meinem Innen herrliche Gefühle auslösten, in dem sie mit ihren Körpern die Magennerven
entlang zu surren schienen.
Das war der Moment, den ich am meisten liebte: wenn sich meine Mutter noch schöner
machte, als sie es für mich sowieso schon war. Plötzlich, Mutters Parfüm riechend, war ich
in einem verzauberten Zustand, voll Berührung, voll Wonne, und mit einer Art mystischem
Schmerz erfüllt. Sogleich war, obwohl der Kalender Januar anzeigte, Frühling im Garten bei
Grossvater, wo wir an Ostersonntagen die Verstecke des mysteriösen Hasen ausfindig
machen durften. Es kam vor, das ich weinen musste, weil der Duft in Verbindung mit der
Mutter so schön war, da er so sehr in die Tiefen meines intimsten Seins vordrang, das eine
Art des „mich Überkommens“ jede Kontrolle des Willens ausschaltete. All dies konnte sich
mit nur einigen grosszügigen Pumpstössen aus der Parfümflasche meiner Mutter zeigen.
Nicht selten dachte ich, meine Mutter sei eine Zauberin, welche in diesem kunstvoll
geschwungenen Flakon, der für mich natürlich aus Gold und Smaragden bestand, einen
Zaubertrank barg, den sie mit Drücken des Spraykopfes befreite, ja eine Türe öffnete und er
dann seinen Zauber auf mich legte, der alle Märchen und Wünsche der Welt auf einmal
wahr werden liess und alle Sehnsucht nach Glück vollständig befriedigte.
Und wenn diese schöne Frau mich dann zum Abschied umarmte und mir noch mehr
schenkte: ihre warme Haut, welche von den vielen Bewegungen des Schönmachens und
trotz vorherigem waschen schon wieder ein bisschen schwitzte; ihren warmen Atem, von
dem ich vor Genuss am liebsten ein Stück abgebissen oder ihn gerne wie eine wärmende
Decke um mich gelegt hätte; ihre Kleider, welche nach bügeln und Wäschestärke, nach
Seife, nach etwas wie Gewürz und dem alten, schweren und vertrauten Holzschrank rochen,
und in deren Stoff noch ein von weit geahnter Hauch vom Rauch der Zigaretten
vergangener Partyabende webte, dann war das Leben schön! Reich und herrlich! Voll und
saftig, eine Obsession des Lebens selbst.
Und dann war da der Duft von Rosen, wie ein edler, die feinen Flügel weit ausgebreiteten
Paradiesvogel, der all die anderen Gerüche auf sich zu tragen schien, aber als einzelne Note
hervorstach wie die Dornen der Rosen selbst. Wie die Mutter, die Ihre Kleider auf sich trug,
so trugen die Rosen die anderen Düfte auf sich. Sie flogen zusammen auf dem Rücken der
Rose zu mir.
Und die Rose war noch lange im Raum, als meine Mama ihn schon lange verlassen hatte.
Ich fragte Mutter Jahre später einmal, welche Düfte sie damals, als ich u.a. auf ihrem Bett
sass, benutzte. Sie konnte sich, bereits krankheitsbedingt, an keinen Duft aus der früheren
Zeit mehr erinnern, den sie gerne trug. Nachdem sie dann auch aus diesem weltlichen Raum
für immer ging fand ich, nebst wenigen Düften neueren Datums, einen noch zu einem
Drittel vollen Vintage Flakon Dior „Diorling“ in Mutters Schrank. Nach dem Auftragen,
zuerst mit Bedacht auf einen Duftstreifen, streifte mich dann leicht meine lachende Mutter,
und ich weinte wie damals, als kleiner Junge.
Ich bin nun ein älterer Mann. Doch Düfte, Schönheit, Sinnlichkeit, Aufmerksamkeit, Liebe,
hielten mich meist wach in diesem einen Schöpfungsmoment, in dem alles geschieht. In
dem auch der kleine Junge immer noch da ist. Gerade sitzt er auf dem Bett, Mutter
beobachtend, und hoffend, von ihr nochmals, auch wenn es mir dabei wieder schlecht
würde, einen feinen Nebel Haarlack in die Nase zu bekommen!
Danke fürs Lesen! Irgendwann soll noch mehr erzählt werden...... Tom (ATOMIZER)
Für mich hängt auch fast jede frühe Erinnerung mit dem dazu passenden Duft zusammen. Sogar an mein Entsetzen über/die lautstarke Abwehr gegen die Haarspraysprühexzesse kann ich mich erinnern XD