Duesenduft
Duesendufts Blog
vor 3 Jahren - 11.04.2021
16 37

Der schmale Grat zwischen Faszination und Obsession

(©Foto: Thimfilm; Karl Fischer als Sigmund Freud, Tobias Moretti als „Der Vampir auf der Couch“)


27 Düfte in der Sammlung, 26 weitere auf der Wunschliste und eine Merkliste, die mit 180 Positionen längst jegliche Fesseln der Vernunft gesprengt hat. Ist das noch Faszination oder schon eine Obsession? Gehöre ich nach nur wenigen Wochen Mitgliedschaft auf der Parfumo-Plattform bereits auf die Couch? Und lässt mein Kontostand überhaupt noch die Finanzierung einer umfänglichen Psychoanalyse und Therapie zu? Fragen über Fragen. Nun gut, der monetäre Aspekt mag nicht die ganz große Rolle spielen. Es gibt durchaus Hobbies, die deutlich intensiver am Haben nagen. Einigen davon gehe ich ja selbst nach. Nichtdestotrotz beginne ich mir Gedanken zu machen darüber, wohin dieses Jäger- und Sammlertum führen mag. Und nein, mit der coronaverordneten häuslichen Selbstbeschränkung hat es wenig bis nichts zu tun. Ich könnte ja einfach ein gutes Buch lesen oder zwei. Oder mich den in Haus und Garten herumturnenden Sibirischen Katzen widmen. Auch wenn diese mir in letzter Zeit entweder dezent ausweichen oder die Handgelenke ablutschen, je nach getestetem Duftneuzugang.

+++

Gedankenspiel. Wie wäre es wohl gewesen, hätte ich mich mit den beschriebenen Symptomen in der Berggasse 19 eingefunden, im 9. Wiener Bezirk, irgendwann an einem lauen Frühlingsabend anno 1906?

+++

Freud: „Willkommen, mein Lieber. Wie pünktlich Sie sind.“

Ich: „Vielen Dank, dass Sie mir so kurzfristig einen Termin …“

Freud: „Aber ich bitte Sie, mein Lieber, das ist doch selbstverständlich. Wenn Sie mir ins Behandlungszimmer folgen möchten.“

Ich: „Hm, hübsch, ein bisserl altmodisch, aber hübsch. Ähem, darf ich fragen, wo dieser leckere Duft herrührt? Maiglöckchen und Veilchen und …“

Freud: „Ach so, das. Nun, das ist wohl das Parfum meiner Frau Martha. Sie hat sich verabschiedet, bevor sie mit ihrer Freundin zu einem Konzert des Wiener Philharmonischen Orchesters aufbrach.“

Ich: „Ein feiner Duft, das. Patchouli und Sandelholz schwingt mit. Guerlain?“

Freud: „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, damit kenne ich mich nicht aus. So, legen Sie sich bitte hier auf die Couch. Ich setze mich zu Ihnen, und wir unterhalten uns ein wenig.“

Ich: „Gern, natürlich.“

Freud: „Und nun erzählen Sie mir einfach, weshalb Sie zu mir gekommen sind. Frei von der Leber weg.“

Ich: „À Travers Champs! Genau, das muss es sein. À Travers Champs von Aimé Guerlain. Ein Meisterwerk!“

Freud: „Mag sein, mag sein. Aber wir wollten doch über Sie reden. Beziehungsweise Sie über sich, nicht wahr? Ich ahne da eine Obsession. Eine Obsession für Düfte, ja?“

Ich: „Ach, Herr Doktor, wenn Sie wüssten. Bis vor wenigen Wochen habe ich nicht einmal geahnt, dass es eine derartige Vielfalt von Duftnoten überhaupt gibt.“

Freud: „Gut, dann erzählen Sie doch mal von Anfang an …“

+++

Den weiteren Verlauf dieser Sitzung in Rückenlage mag sich jeder selbst ausmalen. Möglicherweise vermutete Sigmund Freud meine insgesamt aus seiner Sicht marginale psychische Störung als Ersatz für ein ungelöstes Problem der frühen Kindheit. Oder Mangelerlebnisse im frühkindlichen Alltag. Nach einem langen therapeutischen Gespräch – längst ist es später Abend – hätte er mir womöglich einen Folgetermin angeboten und durchblicken lassen, dass er meine Symptome mit den Mitgliedern seiner Psychologischen Mittwochs-Gesellschaft diskutieren möchte. Wer weiß.

Tatsächlich ist es aber wohl so, dass Sammeln eine Kulturtechnik ist. Getriggert durch den uns Menschen inhärenten Jagdtrieb. Schon als Kleinkinder tragen wir ähnliche Dinge zusammen, die uns interessieren und faszinieren, ohne dass diese zunächst einen erkennbaren Zusammenhang aufweisen. Eine Technik, die uns die Welt ringsum erklärbarer und begreifbarer macht. Als selbstwertdienliche Versteher und Erklärer der Welt und eher rationalisierend als rational ist das Sammeln für uns somit überaus wertvoll. Auch das Sammeln von Düften. Wobei hier noch eine Art Sehnsucht nach olfaktorischer Schönheit hineinspielen mag. Jagen wir nicht alle zeitlebens der Schönheit hinterher, unserem ganz eigenen Bildnis des Dorian Gray? Gottlob verbunden mit der Freude am Tausch und Austausch mit Gleichgesinnten. Zur Sucht wird unsere Form des Sammelns erst, wenn die Bindung an die Düfte größer zu werden droht als jene an die Menschen. Sofern dies überhaupt möglich ist. Verstehen wir Düfte doch als Form und Mittel der zwischenmenschlichen Kommunikation. Wir erwerben Wünsche und Sehnsüchte, zu Duft geronnene Emotionen, verneigen uns vor den Kompositeuren und Meistern ihres Fachs. Zugegeben, aus der Befriedigung des Besitzens mag sich in einer Community wie der unsrigen durchaus auch ein sozialer Status ableiten. Wichtiger aber als dies ist das Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn man endlich oder wieder einmal den einen, perfekten Duft entdeckt hat, der eine Resonanz herstellt mit der eigenen Persönlichkeit. Nur um uns dann wieder in Diskussionen zu Sillage und Projektion zu verlieren. Sei’s drum. Schlussendlich sind wir alle auf einer olfaktorischen Bildungsreise, deren Weg das Ziel ist. Das und nur das ist es, worauf es ankommt. So viel Obsession darf dann schon sein.

16 Antworten