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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 3 Jahren - 10.05.2021
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Die Crux mit dem Heiligen Gral – oder warum es nicht nur einen Duft geben kann


Hin und wieder liest man auf unserer duftigen Plattform, dass der/die eine oder andere Profumo/Profuma einen Duft als seinen oder ihren ganz persönlichen Heiligen Gral identifiziert habe. Mein lieber König Artus! Das scheint mir eine sehr vorschnelle und vielleicht sogar unüberlegte Einschätzung zu sein. Wieso? Nun, schauen wir uns doch einfach mal die literarischen und historischen Hintergründe der Gralssuche an …

Der Gralsmythos, eine wilde Mischung aus keltischen, christlichen und orientalischen Sagen, ist eng verbunden mit der mystischen Gestalt des König Artus und seiner ritterlichen Tafelrunde auf Burg Camelot. Artus, der möglicherweise auf einem für die Zeit überraschend egalitär agierenden britannischen Heerführer des Mittelalters basiert, fasziniert uns bis heute. Zum Einlesen empfehle ich Wikipedia.

Zuerst einmal hat der Gral ursprünglich gar keinen konkreten biblischen Bezug, sondern ist eine Erfindung des Hochmittelalters. Der Begriff wird zum ersten Mal erwähnt in dem unvollendeten Roman Perceval des französische Autors Chrétien de Troyes. Vermutlich zwischen 1180 und 1190 verfasst. Darin erzählt de Troyes die Geschichte eines jungen Mannes aus edler Familie, der von seiner Mutter absichtlich im Unklaren über ritterliche Lebensart gelassen wird, weil sie in den nicht gerade kriegsarmen Zeiten bereits zu viele Angehörige verloren hat. Perceval erkennt jedoch instinktiv, dass er fürs blutige Ritterhandwerk bestimmt ist, verlässt seine Mutter und zieht zum Hof König Artus. Dummerweise begeht er dort einen Mord. Auf seiner Weiterreise oder Flucht gelangt er zu einer mysteriösen Burg, wo er einer für ihn unverständlichen Zeremonie beiwohnt, bei der, so Chrétien, „ein Gral“ hereingetragen wird. Wobei der Autor nicht darauf eingeht, worum es sich bei diesem Artefakt wohl handeln mag.

Egal, damit war der Gral in der Welt.

Um 1200 greift der Anglonormanne Robert de Boron das Thema und den Begriff auf. Bibelfest und belesen verweist er auf das Matthäus-Evangelium, wo von einem Josef von Arimathäa die Rede ist, der Jesu‘ Leichnam vom Kreuz nimmt und in seinem eigenen Grab beerdigt. Robert de Boron spinnt den Faden weiter und lässt Josef mit jenem Kelch nach England reisen, mit dem Jesus zusammen mit seinen Jüngern angeblich das letzte Abendmahl feierte (siehe hierzu das Markus-Evangelium, wo es heißt: „Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“). In Britannien angekommen, verbirgt er den Kelch in Avalon, gründete, wie man dies damals so zu tun pflegte, ein Kloster, nämlich jenes von Glastonbury (dem seitdem der Ruf vorauseilt, mit dem mythischen Avalon identlisch zu sein) und stiftete diesem die kostbare Reliquie. Ist dort also der Heilige Gral zu finden? Hm, nun ja …

Vielleicht ist das Original tatsächlich unter der fröhlich rötlich sprudelnden Chalice Well im englischen Glastonbury vergraben, wie die Legende uns weismachen will? Andererseits bieten sich zahllose Alternativen an. Auch heute noch ist die Welt voller vermeintlicher Grale. So wird seit dem 16. Jahrhundert im Nanteos Mansion, einem alten Herrenhaus im Süden von Wales, eine Holzschale aufbewahrt, die von ihren Anhängern als Heiliger Gral identifiziert wird und – unvermeidlich – Wunderheilungen zu bewerkstelligen vermag. In Genua soll der Sacro Cantino, ein sechseckiger Glaskelch, mit dem Heiligen Gral identisch sein. Was man auch dem in Valencia aufbewahrten Santo Caliz nachsagt. Ebenso wie dem seit dem 11. Jahrhundert in der Basilika San Isidoro im nordspanischen Léon präsentierten antiken Achatkelch, der üppig mit Gold und Edelsteinen verziert ist. Die Historiker Margarita Torres und José Ortega del Rio schwören Stein und Bein, dass er der einzig wahre Gral sei. Dabei ist noch nicht einmal klar, welche Form und Funktion der Heilige Gral tatsächlich gehabt haben mag …

Wolfram von Eschenbach, der ausgehend von Chrétien de Troyes „Perceval“ seine eigene Fassung sponn, den Parzival, haben wir die erste ausführliche Charakterisierung des Grals zu verdanken – woher er stammt, wie er aussieht und wozu er dient. Folgt man seiner Fantasie, ist der Gral überhaupt kein Kelch, sondern ein Stein, auf dem einmal jährlich eine weiße Taube eine Hostie ablegt. Wer ihn sieht, altert nicht. Der Stein spendet Nahrung und übermittelt den Gralsrittern Botschaften von ganz oben, die als nur kurz sichtbare Schrift auf seinem Rand erscheinen. Eine Art früher Pager. Schick. Aber auch langweilig. Da hat die Vorstellung des Heiligen Grals als Kelch deutlich mehr Charme. Zumal ein solches Artefakt, womöglich aus purem Gold und besetzt mit Juwelen, deutlich eher nach dem Geschmack aufrechter Abenteurer wäre.

Abenteurer? Artefakte? Gold und Edelsteine? Da fällt uns doch etwas ein …

„Indiana Jones and the last Crusade“, (deutsch: Indiana Jones und der letzte Kreuzzug) der dritte Teil der genialen Indiana-Jones-Tetralogie von Steven Spielberg. Diese fesselnde neuzeitliche Suche nach dem Gral enthält eine Schlüsselszene kurz vorm unvermeidlichen Show-down. Indy muss in einem verborgenen Raum unter lauter Schalen die einzig richtige wählen, den originalen Gral. Eine heimtückische Aufgabe. Denn trifft er die falsche Entscheidung, wird es ihm wie seinem Widersacher Donovan gehen, der sich gierig das kostbarste Gefäß greift und, nachdem er daraus getrunken hat, vor Jones‘ Augen zu Staub zerfällt. Indiana Jones entscheidet sich für einen unscheinbaren Metallkelch ohne jegliche Zierde, den schmucklosen Trinkkelch eines Zimmermanns. Sein tödlich getroffener Vater Dr. Henry Jones (gespielt vom unvergesslichen Sean Connery) nimmt einen Schluck Wasser aus dem Kelch, und sofort verheilen seine tödlichen Wunden. Bingo!

Spannend ist über die eigentliche Sage mit ihren zig Varianten hinaus ein Grundgedanke, der sich als roter Faden durch alle Artus- und Gralserzählungen zieht und dem sich sogar Spielberg in seinem Indiana-Jones-Plot nicht zu entziehen vermochte:

„Ritter, die mit einem Makel behaftet sind, scheitern bei der Gralssuche. Der Held verändert sich während der Gralssuche, er erwirbt sich zu seinem Mut und seiner Unschuld auch Erfahrung.“ (zitiert nach Wikipedia)

Ha! Klingt das nicht exakt nach uns Duftsuchenden? Ist sie das, die Verbindung zwischen dem Heiligen Gral und unserer vermutlich ebenfalls niemals endenden Jagd nach dem ultimativen, dem einzig wahren Duft, der unserer Persönlichkeit frommt? Der Eine aus mehr als 140.000?

Welcher Duft wäre das?

Nun, Monty Python’s legendäre Ritter der Kokosnuß würden womöglich Creeds Virgin Island Water als ihren Heiligen Duft-Gral entdecken. Der eine oder andere Mit-Profumo hat sich längst für Percival von Parfums de Marly entschieden. Oder für Camelot von Extro‘. Naja, vielleicht eher nicht. Auch das holzig-ledrig-synthetische Indiana Jones von Segura erreicht nicht ganz die erwünschten Sphären.

Ich für meinen Teil denke, dass der Weg das Ziel ist. Was vielleicht ja auch der Kern des Gralsmythos sein mag. Ich bin mir sicher, niemals meinen Heiligen Gral in Sachen Duft zu finden. Ich will es auch gar nicht. Denn dies müsste konsequenterweise das Ende meiner Suche bedeuten. Und genau das mag ich mir nun gar nicht vorstellen!

Und Ihr?


(Copyright Foto: Roland Müller, abfotografierter Ausschnitt aus dem originalen Kinoplakat zum Filmstart in den USA am 24.05.1989)

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