Mirror

Mirror

Rezensionen
Mirror vor 4 Jahren 6 3
9
Flakon
7
Sillage
6
Haltbarkeit
8
Duft
Eintönig...
....brummte der V8 seinen Song gegen die Brise zwischen kühl und schwül die sich ihm, auf der von Büschen und Blumen lose gesäumten Strecke, halbherzig entgegenwarf. Seit Stunden hatte wir beide uns die schmale Landstraße am Ende der Welt entlanggeschlängelt und langsam war es mir egal, wie man 1972 darauf gekommen sein mochte, diesen kunstlederverbrämten Stahlkasten nach einer afrikanischen Antilopenart zu benennen. Die Klimaanlage saugte seit einiger Zeit nur noch den Geruch von heißem Öl nach innen, den ich durch das halbgeöffnete Seitenfenster wieder loszuwerden versuchte. Ich gab die Idee gerade auf, als plötzlich ein verwaschenes Schild am Straßenrand vorbeihuschte, welches eine Pause am hoch gelegenen Horizont verhieß.

Eine halbe Stunde später bog ich in die Einfahrt einer alten Tankstelle auf dem abgelegenen Passscheitel ein. Die schien ihre besten Zeiten schon länger hinter sich zu haben. Eine Station im Diner-Style, wie sie in den 40er, 50er Jahren an fast jeden Highway entstanden waren. Außer einem unrasierten Cowboy der wahrscheinlich schon seit zig Jahren zum Inventar gehörte, war keine Menschenseele zu sehen. Der Cowboy saß in einem zur Straße hin verglasten Büro. Er hatte es sich in einem alten Sessel bequem gemacht und schien darüber nachzudenken, ob es sich lohnte noch einen Schluck vom längst kalten Kaffee zu nehmen oder sich eine neue Zigarette anzuzünden. Auf mein Kopfnicken kam er, mit einem fragenden Blick auf die Zapfsäule aus seinem Verschlag und fing, kurz nach meinem zweiten Nicken, damit an den Wagen zu betanken. Während die Pumpe nervös zu sirren begann und der Duft der umstehenden Orangenbäume sich mit dem Benzindunst der alten Zapfpistole mischte, starrte ich gedankenversunken in den warmen Sonnenuntergang und genoss den Blick auf die, vom kupfernen Licht geflutete Landschaft unter dem abendlich gefärbten Himmel.

Der Cowboy wischte noch die Insekten von der Frontscheibe des Wagens. Er erinnerte mich daran, dass dem Motor etwas Öl fehle und der Filter der Klimaanlage wohl irgendwann kaputtgegangen war. Die Idee kam mir irgendwie bekannt vor. Auf die Frage ob er da etwas tun könne, winkte er mich mit einer lässigen Handbewegung in Richtung seiner Werkstatt und ging vor, während ich den Wagen anliess um ihm zu folgen. Die Werkstatt musste so alt und original sein wie alles hier. Trotzdem wirkte sie aufgeräumt und halbwegs sauber. Beim öffnen der Wagentür empfingen mich die üblichen Ausdünstungen von Gummi und vertrocknendem Altöl, die von den vielen Jahren zeugten als hier geschraubt, lackiert, verschrottet und repariert wurde. Ich sah mich um, während der Cowboy halb im Motorraum des Chevy verschwand. Offenbar kannte er sich aus und hier waren schon, wer weiß wie viele, Autos ausgeweidet worden. Sie hatten verlassen herumgestanden und auf ihr Schicksal, eine Reparatur oder einen neuen Käufer gewartet. Alte Gefährte(n), mit trockengefallenen Batterien und der nicht verglühenden Hoffnung in ihren metallischen Herzen, dass der Cowboy ihnen noch eine letzte Chance geben würde. Die Chance sich wieder mit dem frischen Hauch des Frühlings, dem warmen Wind des Sommers, den Herbststürmen mit ihren Regenfällen oder dem winterlichen Schneetreiben zu messen. Darauf hofften vermutlich auch die drei großvolumigen Sedan, deren rundlich-wuchtige Formen halb unter Planen verdeckt waren. Mit platten Pneus träumten sie im hinteren Teil der Werkstatt von alten Zeiten und unendlich langen Highways.

Aber dahin kam heute nur einer von uns zurück. Irgendwann, mitten in diesen Gedankengängen, war mein Wagen wieder bereit. Ich folgte dem Cowboy in sein Büro, dass von innen viel größer wirkte als ich es von außen geschätzt hatte. Die vor langer Zeit zum letzten Mal weiß gestrichenen Wände und die Sitzmöbel mit dem brüchigen Kunstlederbezug, atmeten immer noch diese Aura aus, irgendwo zwischen leise verdunstendem Lösungsmittel und altem Baumwollstoff. Die schweren, hölzernen Schränke schienen, bis zum platzen mit Aktenordnern voller Rechnungen, Lieferscheinen und Quittungen gefüllt zu sein, die wohl vor langer Zeit in Schlachtordnung angetreten waren um irgendwelchen Buchprüfern Rechenschaft abzulegen. Heute schienen sie für nichts mehr wichtig, als mit dem Geruch von staubigem, bedruckten Papier die Zeitalter dieses Büros, wie auf einem Foto festzuhalten.

Durch das Fenster tanzte das Sonnenlicht im Raum mit den Staubfasern der Luft auf den einst geölten Holzdielen und ich sah dem zu, bis mich das klirrende Krachen der alten, mechanischen Registrierkasse aus meinem Tagtraum holte. Freundlich hielt der Cowboy die Hand auf und nahm sein Geld entgegen. Ich zahlte und dankte. Dann verabschiedete ich mich und ging zu meinem Wagen. Ich hatte die Garage gerade verlassen, als der Cowboy vor meinem Kühler auftauchte. Lächelnd kam er an mein Fenster, reichte mir eine Art Visitenkarte und tippte sich mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand an seinen Stetson. Eine halbe Minute später tauchte die Silhouette meines Wagens, dumpf grollend, in die tiefstehende Sonne auf dem Highway ins nächste Tal ein, während ich die Tankstelle im Rückspiegel aus den Augen verlor.

Als ich erwachte war es heller Morgen und die Sonne hatte sich, am stahlblauen Himmel, auf den Weg zu ihrem höchsten Punkt gemacht. Ich konnte den Lärm der Stadt hören und wollte gerade aufstehen, als mein Blick auf eine vom Sonnenlicht ausgezehrte Visitenkarte fiel, die ich meiner Hand hielt. Noch halb schlafend, die leicht zerknüllte Karte dicht vor meinen Augen glattziehend, entzifferte ich mühsam: …inspired by Tom Ford, Grey Vetiver, EdP.
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Mirror vor 9 Jahren 14 7
Knallharte Hausnummer
Große Namen - dicke Bretter, Guerlain eine der ältesten noch funktionierenden Marken hat einen Klassiker am Start: "Vetiver". Von verschiedenen Kommentaren neugierig geworden, machte ich mich auf die Suche und wurde schnell im gut sortierten Fachhandel fündig. Ich war so spitz wie nie auf diesen Langzeitkandidaten. Fast schmucklos, dunkelgrün und selbstverständlich, die Verpackung. Ein im Stil der Entstehungszeit, etwas hausbacken designter Flakon des Zerstäubers. Grünlich die Farbe der enthaltenen Flüssigkeit, assoziierte erstmal die grüne Wiese, vielleicht schon ein wenig sommerlich, wartend. So wie ich.

Voll Erwartung und mit entsprechender Chuzpe an die Pumpe und der Länge nach auf den Unterarm aufgelegt. Was kann schon kommen? Das wird ne todsichere Nummer, das Zeug ist über 50 Jahre im Handel und 1959 wird man doch auch schon gewusst haben was gut ist. Kurz warten und dann ran mit dem Riechorgan ans Duftbankett. Ui….ein Duft wie… die späteren Nachkriegsjahre. Ehrlich, Zitronenlimonade zuckerfrei, leicht angewärmt von Orange, aber Citrus deutlich überlegen. Das geht leider nur kurz gut, dann schlägt eine Note zu die alte Stalingradkämpfer noch im Original erlebt haben. Eine Kriegserklärung an die Schleimhäute, irgendwo zwischen brennenden Reifen, kokelnden Fensterahmen und ausgelaufener Batteriesäure. So riecht der Todernst des Lebens, ich schwör´s. Der Pfeffer macht es eher schlimmer, weil er die Sensorik für die –ich denke es ist die Muskatnote, aufreißt. Man will nur noch weg. Das Problem: der Arm kommt mit. Okay, ich wollte es ja so und setzte mich also dennoch mit diesem unrasierten Wiedergänger der Petticoat-Ära auseinander. Kompromisslos synthetisch wie das meiste aus den 50ern, die Zeit des (in Frankreich dezenten) Wirtschaftsaufschwungs, der Kunststoffentwicklung, macht dieser Duft keine Gefangenen. Wer unvorsichtig die Augen schließt, bleibt Luft schnappend in Ruinen zurück zwischen denen die Note verbrannten Lackes hängt wie Spinnweben der Zeit. Irgendwann ist der Hauch der Zerstörung nur noch ein Menetekel auf der Haut. Während die junge Generation angesichts an der Basis zurückkehrender Citrusnoten noch von Seifentönen schwärmt, erleidet die reifere Generation beim Erstkontakt mit der Basisnote unweigerlich einen Flashback in die Kindertage. Man hat das Gefühl, man stehe wieder vor einer alten Munitionskiste auf der die Waschschüssel trohnt. Die Mutter hat ihren Lausebengel nach dem Spieltag mit den Nachbarskindern in Schutt und Scherben, von Kopf bis Fuß mit der guten alten Kernseife durchgescheuert. Davon brennen die Augen genauso wie die aufgeschlagenen Knie während man unauffällig versucht den Seifengeschmack auf der Zunge los zu werden. Die Luft ist noch lau, der Abend noch hell und jung aber man muss trotzdem ins Bett, während sich die Erwachsenen leise schwatzend im Wohnzimmer versammeln. Das ist was (mir) bleibt: Ich kann gut nachvollziehen, dass es diesen Duft noch gibt, mir persönlich ist es ein bisschen zuviel SM für die Sensorik. Er ist so bemerkenswert weil abstoßend und anziehend zugleich. Unglaublich arrogant, dekadent bis zum abwinken, der Art-House Film des Parfums. Das mag das Geheimnis sein mit dem Guerlain „Vetiver“ erfolgreich als ein modernes Kunstwerk der 50er Jahre etabliert hat. Die sind heute meist teuer aber Zitronenlimo, eine Tracht Prügel und Kernseife gibt’s auch günstiger. Erinnerungen jedoch sind so unbezahlbar wie Inspiration.
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