Plainsong
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vor 10 Jahren - 26.10.2014
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​ Zwischen den Altern

Ich bin in einer ziemlich komfortablen Situation: Ich bin noch nicht alt genug, um dem Mainstream, neuen Tendenzen oder Trends aus dem Weg gehen zu müssen. Und gleichzeitig bin ich kein junges Bürschchen mehr, an dem Eau savage oder Givenchy Gentleman riechen wie der krampfhafte Versuch, auch mal einen auf Erwachsen zu machen. Ein bisschen ist das so, als könnte ich damit einer drohenden Midlife-Crisis die Zunge rausstrecken und sagen, dass ich ja noch in der Quarterlife-Crisis stecke. Und umgekehrt genau so – existenzielle Lebenskrisen gegeneinander auszuspielen, kann durchaus Spaß machen, wenn man sich selbst nicht zu ernst nimmt.

Das habe ich mir in den letzten Monaten ein wenig zur Lebensauffassung gemacht (man könnte natürlich auch behaupten, ich hänge einfach mein Fähnchen in den Wind, kann mich nicht entscheiden und bin Weltmeister im 120 Meter Abwägen). Und man riecht das.

Als Altenpfleger und Lehrer hört man ja nie auf, Menschengucker zu sein und hat irgendwann gelernt, Dinge in der Peripherie wahrzunehmen. Und so beobachte ich natürlich die Reaktionen auf all die Fragranzen, mit denen ich meine Schüler so konfrontiere. Da kommt bemerkenswertes heraus:

Erstens tuscheln die Schüler natürlich. Das ist nicht weiter überraschend, genau so wenig wie die Tatsache, dass all diese Tuscheleien verstummen, wenn ich vorbeilaufe. Aber dass sie ihren Rüssel dann hinter mir herhalten, passiert wohl kaum jedem Lehrer. Ich finde das lustig. Da ich Altenpflege unterrichte, ist der Anteil weiblicher Schüler in meinen Kursen verhältnismäßig hoch. Und ich preise das in die allmorgendliche Auswahl mit ein.

Zweitens habe ich gemerkt, dass ich Düfte, die an das jüngere Publikum gerichtet sind, tragen kann, ohne als zwangsjugendlich aufzufallen. Das hat mich schon ein wenig überrascht, denn mein Haarwuchs ist deutlich dünner geworden – bevor mir Schüler diesen Namen geben, spreche ich lieber gleich in der dritten Person von mir als „Die Halbglatze“. Halbglatze trägt aber nicht Gammon oder Pitralon, sondern Le Male und bisweilen sogar 1 Million, wenn er ins Klassenzimmer kommt. Als während des kürzlich stattgefundenen Einführungsseminars zwei Schülerinnen an mir vorbei gelaufen sind, haben sie sich nicht leise genug „krass“ zugeflüstert.

Drittens erlaubt mir mein gemäßigtes Alter auch, alles aufzulegen, was man eher dem reiferen Herrn zugestehen würde. Meine Wunschliste ist mittlerweile voll von (unter anderem) Powerhouse-Fragranzen, ausgeprägt maskulinen Düften und markant-edlem. Den Kouros-Schock hat mein Kurs mittlerweile hinter sich, und beschwert hat sich zumindest niemand. Ich darf das, ich bin nämlich ein ausgewachsener Mann und kein Büblein mehr. Jetzt schon viel Spaß, liebe junge Hüpfer und werdende Altenpflegerinnen in Oberbayern, mit Arrogance, Gianfranco Ferré und Azzaro pour homme, die (neben ganz viel anderem) für die nächsten Monate auf der Liste stehen.

Und noch einen vierten Vorteil hat dieses ganz wunderbare Alter, in dem ich mich im Moment befinde: Ich kann jetzt erstmal gemächlich die Duft-Entwicklung der letzten zwanzig Jahre aufrollen, ohne dass mir dabei irgendetwas peinlich sein müsste – im Zweifelsfall ist die Wahl einfach biographisch bedingt. Hinein in meine Sammlung, ck one und be, Joop homme, gesellt Euch zu Hugo und Kenzo homme – nicht, weil ihr die tollsten seid (ich hab Euch damals nie getragen), sondern weil ihr zu meiner Jugend gehört. Altenpfleger müssen schließlich lernen, mit Biographiearbeit umzugehen – können sie schon mal ein bisschen üben, die kleinen Monster.

Nur einen Nachteil hat das Ganze: Meine Sammlung verliert ihren eigenen, persönlichen und klaren Stil. Da hat mir Apicius, glaube ich, noch einiges voraus. Und das wird sich wohl auch nie ändern. Schließlich gehöre ich zur Remix-Generation und kann keine klaren Aussagen.

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